Hefte raus, Koalitionsklausur! Jetzt gibt es Noten für Schwarz-Rot und Nachhilfe fürs Publikum. Oder wussten Sie, dass Patrick Kyllburg aus Schnieder kommt? Sehen Sie.
Es gibt wenige Dinge, die jede Woche zuverlässig geeigneten Input für wissenschaftstreue Polit-Analysen wie diese liefern. Donald Trump beispielsweise ist so ein steter Quell der Satirefreunde und auch aus dem Twitter-Account von Hubert Aiwanger ließe sich jeden Monat mühelos ein neues Comedyprogramm extrahieren. Von Null direkt in die Ehrenloge kolumnenrelevanter Dauerablieferer hat es nun auch das erst kürzlich inthronisierte Kabinett Merz geschafft. Die etwa 18,6 Millionen Leser (repräsentative Schätzung meiner Mutter) können das an der facettenreichen Themenauswahl dieser Kolumne ablesen. Vergangene Woche haben wir uns an dieser Stelle ja bereits mit der Vorstellung der neuen Ministerinnen und Minister beschäftigt - diese Woche geht es dann nahtlos in die erste Notenvergabe. Hefte raus, Koalitionsklausur!
Auch für Sie, liebe Leser und Leserinnen, denn jetzt mal Hand aufs (Achtung!) Hertz: haben Sie vor der Berufung zum Verkehrsminister (Hertz, Verkehr, Sie verstehen?) gewusst, wer Patrick Schnieder ist? Sie können ruhig ehrlich sein. Niemand kannte Patrick Schnieder. Vermutlich nicht mal Friedrich Merz. Verständlich. Schnieder ist in Kyllburg geboren. Und da fängt das Drama ja schon an. Kyllburg kennt niemand. Besagtes Kyllburg wiederum liegt im Eifelkreis Bitburg-Prüm. Auch das (und jetzt alle) kennt niemand. Der Eifelkreis Bitburg-Prüm hingegen liegt in Rheinland-Pfalz - aber selbst das kennt man als Norddeutsche nur, wenn die Eltern früher auf dem Weg in den Sommerurlaub zu faul oder zu langsam waren, am ersten Tag bis nach Bayern durchzufahren.
Insofern: offizielle Ahnungslosigkeits-Entwarnung! Es bricht niemandem ein Wissenszacken aus der Diskurs-Krone, sollte er bis vor wenigen Wochen noch davon ausgegangen sein, Patrick Schnieder wäre vermutlich dieser Typ aus dem Fanta-4-Hit. "Ist es die da, die da, die da oder die da? - Nee, freitags ist sie Schnieder!" Man ist da in bester Gesellschaft. Würde er noch unter uns weilen, hätte ich dazu auch Karl Lagerfeld befragt und der hätte gesagt: "Ich kenne den nicht, ich habe auch Claudia gefragt und die kennt den auch nicht. Der war nie in Paris. Wir kennen den nicht!"
Muss Carsten Linnemann für seinen Wohlstand mehr arbeiten?
Als längst überfällige Antwort auf die hochgradig rassistische Pseudo-Volksweisheit "Kaum gestohlen - schon in Polen" kommt von Ihrer pathologisch durchgewoketen Staatsführungs-Aufsichtsbehörde der Herzen heute die regierungsskeptische Faktensammlung "Kaum vereidigt - schon beleidigt!" Sozusagen eine Peer-Review erster politwechselrelevanter Kabinett-Stückchen aus dem Hause Merz/Klingbeil. Ähnlich wie das wieder salonfähige Konzept "Israelkritik" wird auch diese Regierungs-Rezension wortreich, vorlaut und besserwisserisch daherkommen, zum Ausgleich dafür jedoch wenig Fakten enthalten. Aber genug einleitender Selbstbeweihräucherung, hier kommt die gnadenlose Abrechnung mit der Regierungs-Initial-Offensive.
Die legendäre Ouvertüre der Staatsoperette "GroKo" lieferte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann diese Woche bei "Caren Miosga", der inoffiziellen False-Balance-Beauftragten der ARD. Zum Thema "Müssen wir für unseren Wohlstand mehr arbeiten?" kam Linnemann noch besser vorbereitet als die Elitehochschule Harvard auf die Trollfähigkeit von Donald Trump. Linnemann bestätigte nicht nur, wir müssten tatsächlich mehr für unseren Wohlstand arbeiten, sondern konnte auf knallharte Nachfrage auch mühelos die Kernzielgruppe identifizieren, welche aus Sicht der CDU offenbar für besonders nachlässige Arbeitsmoral steht und somit als allererstes ein paar Erwerbstätigkeitsgänge hochschalten müsste. Nämlich, na klar: "Die Rentner"!
Linnemann, mach hinne, Mann!
Wobei das selbstverständlich viel zu kurz gedacht ist. Rentner, ich habe das extra gegoogelt, sind schon per Definition eher arbeitsscheu. Ich appelliere daher an die Entscheider im Politikbetrieb und damit im weitesten Sinne auch an Carsten Linnemann: Um unser Land zu retten, muss endlich progressiv gedacht werden! Die heißen Eisen angefasst! Dafür mal ein realitätsnahes Beispiel: Auch Kleinkinder könnten deutlich mehr zum Bruttosozialprodukt beitragen. Anders als Rentner, die sich nicht selten von Mini-Job zu Mini-Job hageln, um halbwegs über die Runden zu kommen, tragen Babys annähernd gar nichts zu unserem Wohlstand bei. Mein Sohn Luca beispielweise ist jetzt 17 Monate alt - und so langsam beschleicht mich das Gefühl, er wird mir noch mindestens zwei Jahrzehnte auf der Tasche liegen, bevor er mal ordentlich in die Sozialkassen einzahlt. Zwanzig Jahre! In der Zeit haben andere schon locker Unternehmen wie Apple, Amazon, Tesla oder (hihi) Northvolt aufgebaut!
Leider ist Rentner-Vogelscheuche Linnemann für derartig zukunftsepochale Jahrhundertentscheidungen nicht der richtige Mann. In der Frage, wie er die Lebensrealität kommender Generationen sieht, neigte Linnemann schon immer zu bemerkenswert skurrilen Thesen. In seinem Podcast etwa begrüßte Linnemann den Erziehungsberechtigten von Markus Lanz, Richard David Precht, einst als "Philosophen, von dem man noch in 200 bis 300 Jahren sprechen wird". Noch verwirrter irrlichtern könnte man nur mit der Aussage: "Dieter Bohlen ist der Musiker, dem Paul McCartney und Mozart alles zu verdanken haben".
Alternative für den Kreml
Neben dieser Diskrepanz zwischen Regierungsauftrag und intellektueller Tragfähigkeit implodiert durch ausschweifende Rentnermetaphern nebenbei auch das oft beschworene Vorhaben, endlich die AfD zu schwächen. Statt die gesichert rechtsextremistische Partei der (Desinformations-)Dichter und (Quer-)Denker wie angekündigt zu halbieren, kann das von den Fake-News-Stardirigenten Alice Weidel und Tino Chrupalla geführte Kreml-Orchester (das allein im Bundestag in der vergangenen Legislaturperiode mehr als 100 Mitarbeiter aus dem rechtsextremen Milieu beschäftigt hat) jetzt medienwirksam von den armen Rentnern radotieren, die von der neuen Bundesregierung quasi vom heimischen Schrebergarten direkt in den Arbeitsmarkt zwangsversetzt werden. So funktioniert sachselektive PR-Politik. Plötzlich ist die Partei, deren Wahlprogramme stets ein Gabentisch für Spitzenverdiener und Vermögensmillionäre sind, mal wieder die Partei der kleinen Leute.
Das lenkt dann auch trefflich davon ab, dass ausgerechnet ein junger Syrer diese Woche durch selbstloses Dazwischengehen einen Amoklauf am Hamburger Hauptbahnhof beenden konnte. Die Täterin soll eine deutsche Frau namens Lydia sein, während der Held dieser Erzählung ausgerechnet Muhammad al-Muhammad heißt. Was ist denn da los? Das hätte doch andersrum sein sollen! Ein Albtraum für Bernd-Höcke-Fans, die reflexartig sogleich damit begannen, das Netz mit absurden, sagen wir mal freundschaftlich, "Theorien" zu fluten: Die da oben würden den wahren Tathergang verschleiern, die Täterin sei eigentlich Palästinenserin oder Lydia ein türkischer Name - um hier nur die harmlosesten weiterzuverbreiten.
Wäre die AfD-Fanbubble beim Kreieren von tragbaren, auf der demokratischen Grundordnung basierenden Lösungen für wichtige politische Fragen genauso kreativ, wie sie es beim Erfinden von rassistischen Verschwörungstheorien ist, wäre die Partei über Nacht tatsächlich eine Alternative für Deutschland. So bleibt es ein Haufen 100 Jahre zu spät geborener Vollzeithetzer mit Schwurbelattitüde, dem inzwischen allerdings etwa ein Viertel der Deutschen ihre Stimme geben würde. Darüber sollten sich Politikbetrieb und Medien mal annähernd so viele Gedanken machen wie über Kinderbücher von Robert Habeck. Denn bei Kampf gegen die AfD wird definitiv zu wenig gearbeitet. Unter anderem von Carsten Linnemann.
Ehestreit schon im Honeymoon
Stattdessen konzentriert sich Regierungskapitän Friedrich Merz weiterhin auf große Auftritte und absurde Personalentscheidungen. Nachdem Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn, dem diese Woche vom Bundesrechnungshof erneut komplette Planlosigkeit im Umgang mit Corona-Milliarden bescheinigt wurde, sein neues politisches zu Hause als Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion fand und Philipp Amthor unser Land digital erneuern soll, wird Gender-Experte Christoph Ploß nun "Maritimer Koordinator". Eine gute Wahl. Ploß gilt als Koryphäe in den Bereichen Tempolimit und Gendern, zwei wichtige Themen der internationalen Schifffahrt. Denn niemand möchte Freddy Quinn "Auch Matros*innen haben eine Heimat" singen hören und auch die Tempolimits auf den Ozeanen müssen endlich abgeschafft werden.
Aber auch Juniorpartner SPD trägt eifrig zum gelungenen Neustart bei. Nachdem Kanzler Merz gerade jede Reichweitenbeschränkung für an die Ukraine gelieferte Waffen für beendet erklärt hatte, korrigierte Vizekanzler Lars Klingbeil, es gäbe dazu "keine neue Verabredung". Das riecht bereits romantisch nach D-Day und "Offener Feldschlacht". Und das bereits zu einem Koalitions-Zeitpunkt, als die Ampel der hoffnungsschwangeren Nation noch fleißig parteiübergreifende Wohlfühl-Selfies unerschütterlicher Einigkeit in die Social-Media-Kanäle spülte. Wie dieser erste Ehekrach von Kanzlerduo Merz/Klingbeil wegmoderiert wird, das verrate ich nächste Woche.
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