Grossbritannien und die Europäische Union kommen sich wieder näher. Der russische Krieg gegen die Ukraine und die Abwendung der USA von Europa scheinen den europäischen Zusammenhalt zu fördern. Beim Gipfel-Treffen haben Grossbritannien und die EU verschiedene Abkommen unterzeichnet. Grossbritannien-Korrespondent Patrik Wülser in London und EU-Korrespondent Charles Liebherr in Brüssel ordnen ein.

Beim Brexit-Prozess gab es Reibereien. Wie war die Stimmung beim Treffen in London?

Patrik Wülser: Herzlich und wohlwollend, was sich auch am Wortschatz zeigte: Partnerschaft, Beziehung und Freundschaft wurden genannt. Attribute, die in den vergangenen Jahren in dieser zerrütteten Beziehung zwischen London und Brüssel eher selten verwendet wurden.

Was hat diesen Stimmungsumschwung ermöglicht?

Wülser: Es war spürbar, dass die aktuelle geopolitische Weltlage die Kooperation gefördert hat. Und es war klar: Kooperation ist nötig. Die Invasion Russlands, aber ebenso der Krieg im Nahen Osten haben den Willen gefördert, in London und Brüssel zusammenzuarbeiten. Ein weiterer Beitrag hat aber sicher auch der britische Premier Keir Starmer geleistet, der seit seiner Wahl gegenüber der EU mit einer neuen, höflichen Tonalität aufgetreten ist.

Legende: Der britische Premier Keir Starmer hat EU-Ratspräsident António Costa, Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und die EU-Aussenbeauftragte Kaja Kallas empfangen. Keystone/STEFAN ROUSSEAU

Warum ist gerade das Sicherheits- und Verteidigungsabkommen für die EU so wichtig?

Liebherr: Es wurden viele Abkommen unterzeichnet. Doch dieses ist besonders wichtig, weil es dringlich ist. Einerseits im Hinblick auf die Ukraine und die Verhandlungen zumindest um eine Waffenruhe. Die EU und Grossbritannien haben gemeinsam mehr Gewicht. Schliesslich kann die beabsichtigte Aufrüstung in Europa nur gemeinsam gelingen. Das Verteidigungsabkommen eröffnet dafür enge Kooperationsmöglichkeiten.

Künftig können Rüstungsgüter einfacher gemeinsam beschafft werden. Auch neue Waffensysteme können gemeinsam entwickelt werden. Die Rüstungsfirmen in Grossbritannien und der EU können einfacher gemeinsame Forschungsprojekte lancieren. Da ist das Feld riesig – und reicht bis in den Weltraum. Ohne eine enge Einbindung der Briten in diesen Aufrüstungsplan der EU-Staaten kann dies gar nicht umgesetzt werden.

Was sticht bei der Kooperation in Wirtschaftsfragen heraus?

Liebherr: Interessanterweise werden nun möglicherweise doch noch zahlreiche Lücken geschlossen, die seit dem Austrittsabkommen offenblieben. Grossbritannien soll beispielsweise dank eines Stromabkommens Teil des Strommarktes der EU werden. Das System wird so für beide Seiten stabiler und effizienter.

Auch die britische Stahlindustrie kann dank des Abkommens zur Teilnahme am Emissionshandelssystem der EU viele Milliarden Pfund Zölle sparen. Gleiches gilt für den Lebensmittelsektor und den Agrarsektor. Ergänzend zu den EU-Forschungsprogrammen soll Grossbritannien auch am Austauschprogramm für Schülerinnen und Studierende teilnehmen. Dabei gibt es viele Analogien zur Schweiz.

Angesichts der jüngsten Wahlerfolge des Rechtspopulisten Nigel Farage – kann Starmer der EU Zugeständnisse machen?

Wülser: Ja. Nach dem Erfolg von Farage bei den Regionalwahlen war klar, dass er gewissermassen als Geist bei diesen Verhandlungen auf den Schultern von Starmer sitzt, mithört und flüstert. Und er wurde auch laut, äusserte sich in den Medien und warf Starmer vorauseilende Kapitulation und Verrat vor. Grossbritannien wurde aber mit dem heutigen Tag nicht einfach wieder Mitglied der EU, sondern versucht lediglich, Schäden der vergangenen Jahre zu reparieren.

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