Mit einer Sammelklage fordern Tausende deutsche und andere europäische Hotels Schadenersatz von der Buchungsplattform Booking.com. Der Chef des Hotelverbands Deutschland, Markus Luthe, erklärt im Interview mit ntv.de die Vorwürfe, ob damit nun Schluss ist, und was das für die Übernachtungspreise bedeutet.
ntv.de: Warum verklagen Tausende Hotels Booking.com auf Schadenersatz, was werfen Sie dem Marktführer unter den Buchungsportalen vor?
Markus Luthe: Booking hat seit seinem Markteintritt vor knapp 20 Jahren sogenannte Bestpreisklauseln verwendet: Jedes Hotel musste unterschreiben, dass es weder auf der eigenen Homepage noch auf anderen Buchungsplattformen einen günstigeren Preis anbietet. Später verbot Booking den Hotels nur noch, auf der eigenen Homepage einen niedrigeren Preis anzubieten. Selbst als Kartellamt und BGH diese Praxis untersagt haben, machte Booking weiter Druck: Durch komplizierte Klauseln in den Verträgen mit den Hotels, die dreifache Verneinungen enthielten, hat Booking die Hotels so verunsichert, dass sie sich trotzdem weiter an die "Bestpreisklausel" hielten. Erst aufgrund einer EU-Regelung - dem "Digital Markets Act" - strich Booking die Klauseln Ende 2024 endlich aus den Verträgen.
Warum haben Hotels das jahrelang mitgemacht, obwohl sie gar nicht mussten?
Die Hoteliers hatten Angst, andernfalls über den Ranking-Algorithmus abgestraft zu werden, also in der Trefferliste bei Suchanfragen weit unten zu landen. Booking hat außerdem durch subtile Methoden Druck aufgebaut. Wenn ein Hotel seine Zimmer bei Booking zum Beispiel für 100 Euro und auf der eigenen Homepage für 90 Euro anbot, hat Booking auf einen Teil der Vermittlungsgebühr von 15 Prozent, die das Portal von den Hotels verlangt, verzichtet. Booking bot das Zimmer dann für weniger als 90 Euro an, beispielsweise für 88 Euro. Das unterminiert die Glaubwürdigkeit des Hotels, wenn dieses angibt, auf der eigenen Homepage stets den besten Preis zu bieten. Die Hotels wollen auf der eigenen Internetseite den günstigsten Preis anbieten, weil sie dann nicht 15 Prozent Vermittlungsgebühr an ein Buchungsportal zahlen müssen.
Wie viel Geld ist den Hotels durch das Vorgehen von Booking entgangen?
Wir gehen davon aus, dass die Hotels etwa 30 Prozent zu viel Vermittlungsgebühr bezahlt haben, weil Booking durch seine Klauseln den Wettbewerb ausgeschaltet hat. Andernfalls hätten sich am Markt niedrigere Vermittlungsgebühren gebildet. Andere Portale hatten dadurch, dass alle immer den gleichen Preis erhalten, ja keinen Anreiz, niedrigere Vermittlungsgebühren zu verlangen. Fast alle Portale verlangen übrigens dieselbe Vermittlungsgebühr. Dadurch wurde außerdem verhindert, dass neue Wettbewerber in den Markt eintreten. In der Schweiz hat die Preisüberwachungsbehörde vor Kurzem entschieden, dass Booking seine Vermittlungsgebühren senken muss, weil sie missbräuchlich hoch sind. Der EuGH kam vergangenen Herbst zu dem Ergebnis, dass die "Bestpreisklauseln" den Wettbewerb behindern.
Wie hoch ist der Schaden konkret?
Als Faustregel gilt, dass Hotels fünf Prozent pro Übernachtung zu viel an Vermittlungsgebühr zahlen mussten. Außerdem wurde der Direktvertrieb über die eigene Homepage eingeschränkt: Hotels hatten wegen der durch Bookings "Bestpreisklausel" überhöhten Preise weniger Kunden. Mit Gutachten wird nun versucht zu beziffern, wie hoch hier der Schaden ist.
Haben dadurch auch die Kunden zu viel bezahlt?
Wenn Sie auch auf den eigenen Kanälen immer den Preis verlangen müssen, der eine Vermittlungsgebühr von 15 Prozent beinhaltet, führt das natürlich zu überhöhten Preisen oder entsprechendem Kostendruck. Den wenigsten Hotels dürfte es gelungen sein, die Aufschläge einfach an die Kunden weiterzureichen. Deutschland hat bei Hotelzimmern mit das niedrigste Preisniveau in ganz Europa. Im Vergleich der europäischen Hauptstädte kostet ein Doppelzimmer im Schnitt nur noch in Warschau weniger als in Berlin. Das spricht dafür, dass die Hotels den Schaden selbst geschluckt haben, also insgesamt niedrigere Preise verlangt haben, als sie eigentlich benötigt hätten.
Für Kunden halten die Buchungsportale den Preis also niedrig?
Auch das Kartellamt hat anerkannt, dass es einen preisdämpfenden Effekt gibt, ja. Trotzdem hat es sich zum Einschreiten entschlossen, weil die Klauseln von Booking auf der anderen Seite den Wettbewerb eindeutig behindern.
Ist denn mit der Wettbewerbsverzerrung nun Schluss, seit die EU die "Bestpreisklausel" verbannt hat?
Schwer zu sagen. Booking betont, dass gleiche Preise auf unterschiedlichen Internetseiten gut für die Verbraucher sind, weil sie das Preisniveau insgesamt senken. Aus unserer Sicht versucht Booking, das Verbot der "Bestpreisklausel" weiterhin zu umgehen. Zum einen werden weiterhin günstigere Preise als von den Hotels selbst verlangt, wenn diese auf der eigenen Homepage niedrigere Preise anbieten. Wir glauben auch, dass in dem Fall Hotels in der Trefferliste schlechter abschneiden. Außerdem haben Buchungsportale untereinander Verträge, dass wenn ein anderes Portal einen günstigeren Preis anbietet, dieser dann auch bei Booking gebucht werden kann - was natürlich den Wettbewerb wieder konterkariert.
Andererseits helfen die Buchungsportale den Hotels auch, überhaupt gefunden zu werden. Gleicht das daraus folgende Zusatzgeschäft die Einbußen durch die Praktiken der Plattformen nicht aus?
Es ist eine Hassliebe: Sie können nicht miteinander, aber auch nicht ohneeinander. Natürlich hat ein mittelständisches Hotel keine andere Möglichkeit, als ein solches Portal zu nutzen, um sein Haus effektiv auf Mandarin im chinesischen Markt anzubieten. Das heißt aber nicht, dass für jede Wiederholungsbuchung eines deutschen Gastes in einem deutschen Hotel 15 Prozent Kommission angemessen sind. Schafft es das Portal wirklich, mehr Nachfrage zu generieren? Wenn dort alle Hotels vertreten sind - und das sind sie zweifellos bei Booking -, dient diese Werbeinvestition dann noch dem einzelnen Hotel - oder dient sie nur dem Portal, auf dem dann immer ein Hotel zu finden ist?
Welchen Anteil am Umsatz von Hotels machen Buchungen über solche Portale aus?
Rund 30 Prozent.
Das ist ein hoher Anteil, aber bei Weitem nicht die Mehrheit.
Ja, aber es ist der stark wachsende, zukunftsträchtige Anteil. Der Trend geht eindeutig zu digitalen Buchungen. Und von diesen 30 Prozent beherrscht Booking über 70 Prozent.
Wie wird der Rest gebucht, direkt und über Reiseveranstalter und -büros?
Ja, außerdem werden Veranstaltungen, Tagungen, Familienfeiern etc. klassischerweise nicht über Portale gebucht.
Wie werden Reisende denn in Zukunft buchen, vor allem mithilfe künstlicher Intelligenz?
Das ist derzeit das große Thema, aber wir erwarten keinen fundamentalen Gamechanger. Die Buchungsportale haben so einen großen Vorteil an strukturierten Daten, dass auch die KI darauf zugreifen wird - statt Abertausende von Hotel-Websites regelmäßig zu durchsuchen. Die genauen Auswirkungen sind allerdings noch unklar.
Wie bereiten sich die Hotels aufs Buchen mit künstlicher Intelligenz vor?
Sie müssen ihre Websites anpassen, um für Sichtbarkeit zu sorgen - ähnlich, wie wir es schon bei der Suchmaschinenoptimierung gemacht haben.
Was empfehlen Sie Kunden?
Wir empfehlen immer, auch direkt auf der Hotel-Homepage nachzuschauen.
Wie geht es Ihrer Branche inzwischen insgesamt, haben die Hotels die Corona-Krise verdaut?
Der deutsche Hotelmarkt ist nicht nur wegen der niedrigen Preise ein besonderer: Geschäftsreisen machen 50 Prozent aus - deutlich mehr als in anderen europäischen Ländern. Deshalb spüren wir die seit Jahren anhaltende Konjunkturflaute deutlich. Wir sind ein Seismograf für wirtschaftliche Entwicklung - und noch nicht zurück auf Vorkrisenniveau.
Wie viele Häuser mussten wegen der Pandemie schließen?
Das lässt sich schwer sagen, die amtliche Statistik hinkt hinterher. Insgesamt kommen immer mehr Hotelzimmer dazu, aber die Anzahl der Häuser sinkt. Kleinere, mittelständische Häuser werden von größeren, oft Hotelketten verdrängt. Wir sehen einen tiefen Umbruch im Markt.
Wie läuft das aktuelle Sommergeschäft, wird es vom Regen versaut?
So kurzfristig wird in Deutschland nicht gebucht. Nach einer ersten Zurückhaltung wegen der Hitzewelle ist zwar im Moment das Wetter nicht förderlich für den spontanen Kurztrip. Wir glauben aber, dass diese Effekte mittelfristig nicht überwiegen und gehen von einer stabilen Saison aus.
Mit Markus Luthe sprach Christina Lohner
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