Wer etwas tiefer in die Geschichtsbücher schaut, wird feststellen: Die Rente mit 70, die gab's schon mal in Deutschland. Als Reichskanzler Otto von Bismarck Ende des 19. Jahrhunderts die gesetzliche Rentenversicherung einführte, lag die Altersgrenze bei 70 Jahren. Zwar fielen die Altersbezüge in diesen frühen Tagen nicht üppig aus, und viele erreichten das nötige Alter gar nicht erst. Dennoch bedeutete die Rente mit 70 damals einen großen sozialpolitischen Fortschritt.
Heute ist die Rente mit 70 ein Schreckgespenst, denn so lange will kaum jemand arbeiten. Muss er oder sie nach aktueller Gesetzeslage auch nicht: Spätestens mit 67 Jahren können heutige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Rente gehen. Aber kann das so bleiben?
Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche findet: Nein. Sie ist überzeugt, dass die Lebensarbeitszeit steigen muss, um einen Kollaps des Rentensystems zu verhindern. Es könne auf Dauer nicht gut gehen, nur zwei Drittel des Erwachsenenlebens zu arbeiten und ein Drittel in der Rente zu verbringen. Die CDU-Politikerin ist damit die Renten-Rebellin in der Regierung, denn weder Koalitionspartner SPD noch ihre eigene Partei wollen von einem späteren Renteneintrittsalter derzeit etwas wissen.
Rente mit 70 unausweichlich?
Dabei fordert Reiche nur das, was viele Experten schon lange für überfällig halten. "Eine umfassende Reform des deutschen Rentensystems ist unausweichlich", heißt es etwa in einem aktuellen Gutachten namhafter Ökonomen um den Wirtschaftsweisen Martin Werding und den Chef des ifo-Instituts Dresden, Marcel Thum. Die Wissenschaftler empfehlen darin unter anderem die "Kopplung des gesetzlichen Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung", so wie es einige europäische Nachbarn bereits praktizieren. Auch der Internationale Währungsfonds hatte Deutschland im vergangenen Jahr diesen Schritt empfohlen.

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In den Niederlanden etwa gilt schon jetzt: Steigt die Lebenserwartung um drei Jahre, müssen die Niederländer zwei Jahre länger arbeiten. 2028 steigt das Renteneintrittsalter dort daher von derzeit 67 Jahre auf 67 Jahre und drei Monate. In Finnland soll 2027 die erste auf der Lebenserwartung basierende Anpassung des Renteneintrittsalters erfolgen. Und Schweden, wo grundsätzlich ein flexibles Renteneintrittsalter gilt, will ab 2026 ebenfalls die Lebenserwartung berücksichtigen. Die volle Rente gibt es dort dann erst ab 67 statt bisher 66 Jahren. In allen drei Modellen sind weitere Erhöhungen möglich, sodass in ein paar Jahren in diesen Ländern die Rente mit 70 Realität werden könnte.
Rente mit 67 reicht nicht aus
In Deutschland erhöht sich derzeit für jeden Jahrgang, der in Rente geht, das Renteneintrittsalter um einen beziehungsweise zwei Monate. Wenn im Jahr 2031 der Geburtsjahrgang 1964 in Rente geht, ist der Prozess aber vorerst abgeschlossen. Aus der Rente mit 65 ist dann endgültig die Rente mit 67 geworden – so wie es der Gesetzgeber 2007 im "RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz" beschlossen hat.
Grund für die Entscheidung, das Renteneintrittsalter auf 67 zu erhöhen, war die demografische Entwicklung, die die Rentenkasse in doppelter Hinsicht bedroht. Zum einen durch die steigende Lebenserwartung und den damit verbundenen längeren Rentenbezug. Zum anderen durch den bevorstehenden Renteneintritt der besonders geburtenstarken Jahrgänge. Beides setzt das Rentensystem unter Druck, weil auf mehr Rentenbezieher weniger arbeitende Einzahler kommen.

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Diese Finanzierungsprobleme werden durch die Rente mit 67 lediglich abgemildert, aber eben nicht gelöst. Denn das Verhältnis von Beitragszahlenden zu Rentnern und Rentnerinnen wird sich in den kommenden Jahren weiter verschlechtern. Und schon heute finanziert sich die Rente nicht allein durch Beiträge, ein großer Anteil kommt aus dem Bundeshaushalt, also aus Steuereinnahmen.
Eine weitere Erhöhung des Rentenalters wird daher schon länger diskutiert. Die Idee hat aber auch erbitterte Gegner, zum Beispiel in den Gewerkschaften. Der Deutsche Gewerkschaftsbund betont, dass die Rente mit 70 nicht realistisch sei, weil viele Menschen – insbesondere in körperlich und mental anstrengenden Berufen – gar nicht so lange arbeiten könnten. Eine mögliche Lösung wären verschiedene Rentenalter für verschiedene Gruppen. Auch Wirtschaftsministerin Reiche sagt zu dem Thema, Menschen "die körperlich hart gearbeitet haben, sollten rechtzeitig in Rente gehen können".
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Weitere Reformoptionen für die Rente
Neben der Erhöhung des Rentenalters gäbe es auch andere Möglichkeiten, die Rentenkasse zu entlasten – die aber auch alle ihre Probleme mit sich bringen. So könnte man theoretisch einfach die Steuerzuschüsse weiter erhöhen, das Geld würde dann aber an anderer Stelle fehlen. Effektiv aber unpopulär wäre es, an die Leistungen ranzugehen. So empfiehlt die Ökonomengruppe um Werding und Thum, den Nachhaltigkeitsfaktor in der Rentenformel zu verstärken. Dieser sorgt dafür, dass die Renten weniger stark steigen, wenn sich das Verhältnis von Beitragszahlern zu Empfängern verschlechtert. Auch die Abschaffung der umstrittenen "Rente mit 63" würde die Rentenkasse entlasten. Zudem empfehlen die Ökonomen, künftige Rentensteigerungen an die Inflation zu koppeln und nicht wie bisher an die Lohnentwicklung.
Das Problem: Abgesehen von den verbalen Vorstößen der Wirtschaftsministerin zeigt die Bundesregierung bislang keinerlei Elan, auch nur einen dieser Punkte umzusetzen. Im Koalitionsvertrag hat sie sich zur Beibehaltung des Renteneintrittsalters bekannt. Statt Leistungen zu kürzen, hat sie versprochen, das Rentenniveau zu stabilisieren und die Mütterrente sogar noch auszuweiten. Auch die abschlagsfreie Rente nach 45 Versicherungsjahren ("Rente mit 63") wird nicht angetastet.
Geplante Neuerungen wie "Frühstartrente" (Mini-Zuschuss in aktienbasierte Altersvorsorge für Kinder) und "Aktivrente" (Rentner können steuerfrei hinzuverdienen) lösen die Finanzierungsprobleme nicht. "Bislang wurden die schweren Entscheidungen in die Zukunft verlagert, was jedoch die Problematik weiterhin verschärft", urteilen die Ökonomen um Werding und Thum. Und so wird auch die Debatte um die Rente mit 70 nicht verstummen.
Der Artikel erschien erstmals am 5.2.2025 und wurde umfassend aktualisiert
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