Zu alt, zu störanfällig, zu wenige Sitzplätze: Die Fernverkehrsflotte der Deutschen Bahn soll jünger werden. Doch der Fahrgastverband Pro Bahn fürchtet, dass zu schnell zu viele Züge ausgemustert werden - und die Qualität des Bahnangebots dadurch weiter sinkt.
Die Deutsche Bahn geht davon aus, dass sie die ersten vier Züge des neuen ICE L nach Lieferschwierigkeiten in der zweiten Jahreshälfte entgegennehmen kann. 2026 sollen neun weitere Züge hinzukommen, wie der Konzern mitteilt. Die Auslieferung sei aber noch von der Zulassung des Zuges durch das Eisenbahnbundesamt abhängig. Diese läuft noch.
Die Bahn hat insgesamt 79 ICE L beim spanischen Hersteller Talgo bestellt. Eigentlich sollten die ersten Züge bereits im vergangenen Herbst durch Deutschland fahren. Lieferschwierigkeiten bei Talgo führten zu Verzögerungen. Das "L" im Namen steht der Bahn zufolge für "Low Floor" und verweist auf den Niederflureinstieg.
Die Bahn will mit zahlreichen neuen Zügen ihre Fernverkehrsflotte verjüngen. Das Durchschnittsalter der ICE- und IC-Züge soll bis 2030 von zuletzt 18 Jahren auf 12 Jahre sinken - laut Konzern ein Baustein für mehr Zuverlässigkeit auf der Schiene.
Doch der Fahrgastverband Pro Bahn fürchtet, dass zu viele alte Züge ausgemustert und zu langsam durch neue ersetzt werden. Bundesvorstand Lukas Iffländer warnt vor weniger Zugangebot auf manchen Strecken.
Neues Flotten-Rückgrat
Bereits im März vergangenen Jahres wurde der letzte von insgesamt 137 neuen ICE 4 von Siemens Mobility an die Bahn ausgeliefert. Es ist der erste Fernzug mit Fahrrad-Stellplätzen. Ansonsten verfügen die Fahrzeuge über mindestens 444 Sitze pro Zug und kommen auf eine Geschwindigkeit von bis zu 265 Kilometern pro Stunde: Sie bilden das Rückgrat der ICE-Flotte. Mit ihnen hat sich die Zahl der ICE-Züge von rund 270 im Jahr 2017 auf inzwischen rund 400 erhöht.
Seit einigen Jahren läuft zudem die Auslieferung des ICE 3 Neo, einer Neuauflage der bisherigen ICE-3-Baureihen. 90 dieser Züge sollen bis 2028 im Betrieb sein. In diesem Jahr kommen 15 ICE 3 Neo hinzu, im nächsten 16, wie die Bahn auf Anfrage mitteilte. Sie zeichnen sich unter anderem durch frequenzdurchlässige Fenster für besseren Handyempfang aus.
Der Neo wird bislang auf den Hochgeschwindigkeitsstrecken zwischen Nordrhein-Westfalen und München über Frankfurt und Stuttgart eingesetzt sowie auf internationalen Verbindungen von Frankfurt nach Amsterdam und Brüssel.
Ersatz für Intercity 1
Dazu kommen die neuen ICE L, die optisch eher an Intercity-Züge erinnern als an die bekannten ICE. "Unsere Fahrgäste können sich beim ICE L neben dem stufenlosen Einstieg auf höchsten Komfort freuen", teilt die Bahn mit. "Dafür sorgen unter anderem das neue ICE-Innendesign mit neu entwickelten Sitzen, ein tageszeitabhängig wechselndes Lichtambiente sowie Steckdosen und Tablethalter an jedem Platz."
Der ICE L soll die alten Intercity-1-Züge ablösen und wird nach Auslieferung zunächst innerdeutsch eingesetzt. Er ist gleichwohl wichtiger Bestandteil der Verjüngung der Fernverkehrsflotte bei der Bahn. Die Züge sind bis zu 230 Kilometer pro Stunde unterwegs und verfügen über 562 Sitzplätze.
"Die Flottenstrategie von DB Fernverkehr hat das klare Ziel, die Flotte zu verjüngen und zu modernisieren, um den Betrieb zu stabilisieren", betonte der Konzern. Das funktioniere. Die Verfügbarkeit der ICE-4- und ICE-3-Neo-Züge sei deutlich höher als bei älteren Baureihen. Über verbesserte Wartungskonzepte habe der Anteil der Antriebsstörungen zwischen 2019 und 2024 um 58 Prozent reduziert werden können.
"Fahrzeugstrategie höchst chaotisch"
Zu mehr Pünktlichkeit haben die neuen Züge bisher allerdings nicht geführt. Nach wie vor ist mehr als ein Drittel aller Fernzüge verspätet unterwegs.
Auch den Fahrgastverband Pro Bahn überzeugen die Zahlen der Bahn nicht. "Insgesamt erscheint uns die Fahrzeugstrategie höchst chaotisch", sagte Vorstand Iffländer. Er verweist vor allem auf Ausmusterungen älterer Züge. "Auf vielen Verbindungen werden wir weniger Sitzplätze bekommen, zumindest vorübergehend, bis irgendwann mal die neuen Züge da sind."
Besonders betroffen seien die Ost-West-Verbindungen Wiesbaden-Frankfurt-Leipzig-Dresden sowie Hamburg-NRW-Bonn-Frankfurt-Nürnberg-Wien, auf denen künftig öfter der zweite Zugteil fehlen werde. "Für uns Fahrgäste bedeutet das kurz und knapp: Es wird eng und voll. Verkehrswende - nein, danke."
Bahn verkauft KISS-Züge
Konkret hat die Bahn im April dieses Jahres 14 ältere ICE 3 der Baureihe 406 aus dem Betrieb genommen. Zehn weitere Züge der Baureihe 415 - der sogenannte ICE T - gelten ebenfalls als störanfällig und wartungsintensiv und sollen schrittweise bis zum Jahresende in Ruhestand gehen.
Hinzu kommen rund drei Dutzend ICE-2-Züge, die bereits seit 1996 im Einsatz sind. Bis Ende 2027 sollen sie nach und nach aus dem Verkehr genommen werden. Schließlich hat die Bahn kürzlich 17 Doppelstockzüge vom Typ "Intercity 2 KISS" an die Österreichische Bundesbahn verkauft. Die Bahn hatte die Züge erst 2019 gebraucht erworben, "um Lieferprobleme bei anderen Fahrzeugen zu überbrücken", wie es hieß. Diese seien inzwischen behoben.
Flottenzahl wird schwanken
Es sei fraglich, ob die wegfallenden Züge durch die teils verzögerten Neuzugänge schnell genug ersetzt werden könnten, betonte Iffländer. Die Folgen seien schon jetzt sichtbar. "Der Frühzug ab Leipzig entfällt zum Fahrplanwechsel, weil er bisher mit einem fünfteiligen ICE T gefahren wird, die zum Fahrplanwechsel abgestellt werden sollen", sagte er.
Die Bahn räumt ein, dass die ICE-Flottenzahl in den kommenden Jahren infolge der Ausmusterungen und des Zulaufs neuer Züge leichten Schwankungen unterliegen werde. Mittelfristig verbleibe die Zahl aber "auf vergleichbarem Niveau bei steigenden Sitzplatzzahlen".
Iffländer ist skeptisch. "Auf dem Papier wächst zwar theoretisch bis 2029 die Sitzplatzkapazität, praktisch sinkt sie aber wegen schlechter Flottenverfügbarkeit, da auch neuwertige Fahrzeuge inzwischen oft defekt vor den Werken stehen."
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