Es begann mit einem flehentlichen Appell von Christian Lindner im Jahr 2022. Es war der Tag der Abstimmung im EU-Ministerrat über das sogenannte Verbrenner-Aus, also die Vorschrift, dass ab 2035 keine neuen Autos mehr zugelassen werden sollen, die klimaschädliche Abgase ausstoßen. An diesem Tag wandte der Bundesfinanzminister und FDP-Chef Lindner sich mit einer eindringlichen Bitte an Oliver Blume, den Vorstandschef von Porsche:
Christian Lindner:
"Lieber Herr Blume, gerade lese ich auf der dpa [...] zum Verbrennerverbot. Vielleicht wäre auch eine andere Stimme ratsam, die auf das Potential von E-Fuels hinweist? Ich kann da durchaus argumentative Unterstützung gebrauchen. Beste Grüße, Ihr Christian Lindner."
Ein Bundesminister erfragt bei einem Konzernchef "argumentative Unterstützung"? Das klingt zumindest befremdlich. Diesen Vorgang hat das gemeinnützige Portal "Abgeordnetenwatch" jetzt veröffentlicht. Es hatte zuvor erfolgreich auf Herausgabe des SMS-Wechsels zwischen Lindner und Blume geklagt, indem es vor dem Berliner Verwaltungsgericht nach dem Umweltinformationsrecht deren Freigabe vom Bundesfinanzministerium verlangte.

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Der Dialog zwischen Lindner und Blume, den "Abgeordnetenwatch" detailliert auflistet, liefert einen seltenen Einblick in den Ablauf von politischem Lobbying und hektischen Rufschaden-Rettungsversuchen. Lindners SMS war der Auftakt zu einem handfesten politischen Streit in der EU. Denn Lindner setzte sich dafür ein, die eigentlich bereits abgestimmten CO₂-Regeln für die Autoindustrie zumindest teilweise wieder zu Fall zu bringen. Er versuchte sich dafür mit einem Appell an die Industrie zu munitionieren. Bekannt ist, dass Lindner auch privat Porsche-Liebhaber und Porsche-Pilot ist. Was lag da wohl näher als ein Hilfeersuchen an den Porsche-Chef?
Beim EU-Streit ging es um die sogenannten E-Fuels. Gemeint sind damit synthetische Kraftstoffe, die es theoretisch erlauben, dass auch Verbrennerautos CO₂-neutral fahren können. Allerdings zu extremen Kosten und erst nach Überwindung technischer Hürden. Lindner wollte dennoch unbedingt, dass die EU-Regeln noch einmal aufgeschnürt werden, um E-Fuels explizit aufzunehmen. Die grüne Umweltministerin Steffi Lemke wollte den Regularien dagegen zustimmen. Deshalb war es auch ein Streit in der Ampelkoalition, in dem Lindner sich Unterstützung holte.
Jedenfalls antwortete Blume laut der Abgeordnetenwatch-Dokumentation postwendend auf Lindners Bitte:
Oliver Blume:
"Lieber Herr Lindner, volle Unterstützung von Porsche Seite. Letzten Freitag war ich damit in der FAZ. Wir legen nochmal nach. Danke für Ihren Einsatz. Viele Grüße. Oliver Blume"
Noch am Nachmittag schickte Lindner an Blume einen Bericht der Nachrichtenagentur Dpa über den Koalitionsstreit – demzufolge hat sich der FDP-Mann gegen Lemke durchgesetzt: Die Bundesregierung soll in der EU-Abstimmung auf eine Sonderregelung für die E-Fuels setzen. Blume antwortet um 17.14 Uhr per SMS:
Oliver Blume:
"👍 Sehr gut! Das ist Klimaschutz gesamtheitlich gedacht. Jetzt die Tür für die E-Fuels zu schließen, wäre falsch. Dann würde keiner mehr investieren, auch nicht für die Schiff- und Luftfahrt. Vielen Dank für Ihren Einsatz. Oliver Blume."
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Dabei hätte es bleiben können. Und die Öffentlichkeit hätte auch nie davon erfahren, hätte sich Blume nicht im Juli auf einer Porsche-Betriebsversammlung mit seinem engen Draht zu Lindner gebrüstet. Und hätte nicht das ZDF in seiner Sendung "Die Anstalt" am 19. Juli genau darüber berichtet. Blume sagte laut ZDF, Porsche habe "sehr großen Anteil" daran, dass E-Fuels in den Koalitionsvertrag der Ampelkoalition gelangt sind. Porsche sei Haupttreiber gewesen, "mit ganz engem Kontakt mit den Koalitionsparteien". Lindner habe ihn "fast stündlich auf dem Laufenden gehalten". Das öffentliche Echo und die Kritik am Minister sind daraufhin enorm. Von nun an geht es um Schadenbegrenzung – lässt sich der deutsche Finanzminister wirklich seine Politik vom Porsche-Chef einflüstern? Natürlich will er seinen Ruf retten.
Christian Lindner:
"Lieber Herr Blume, ich fürchte, wir müssen einmal kurzfristig telefonieren. Wann passt es? Beste Grüße Christian Lindner"
So schreibt der Minister laut Dokumentation. Und Blume tut zunächst, was er auch öffentlich tut: Er dementiert.
Oliver Blume:
"Lieber Herr Lindner, bin jederzeit erreichbar. Wir haben heute auch eine falsche Meldung im Netz gesehen und diese dementiert. Eine derartige Aussage habe ich nicht gemacht. Melden Sie sich gern, so wie es passt. Viele Grüße. Oliver Blume."
Christian Lindner:
"Okay, dann ist es erledigt. Das war schon mein Anliegen. Beste Grüße, CL"
Oliver Blume:
"Alles klar. 👍"
Dann aber steigt die "Bild"-Zeitung ein mit der Schlagzeile "Porsche-Gate". Lindner schickt um 22.46 Uhr einen Screenshot der Zeitung vom nächsten Tag an Blume. Blume meldet sich postwendend zerknirscht bei Lindner – das Dementi ist nicht zu halten.
Oliver Blume:
"Lieber Herr Lindner, wir haben die Passage der internen Betriebsversammlung geprüft. Es ging um eine Frage, warum wir uns nicht mehr für E-Fuels einsetzen und wie wir die Diskussionen in der EU einschätzen. In diesem Zusammenhang habe ich Ihnen Namen und unseren Kontakt in meiner Antwort genannt. Dafür entschuldige ich mich. Ich habe keinen Einfluss auf den Koalitionsvertrag genommen. Wir können morgen dazu noch einmal klar Position beziehen. Und es geht um eine nachhaltige, positive Sache. Es tut mir Leid, dass die Thematik so aufgebauscht wird. Viele Grüße. Oliver Blume."

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Als wäre die Aufregung um das "Porsche-Gate" nicht genug, haben sich in der Zwischenzeit die Dinge um Blume verdichtet: Der Aufsichtsrat des Porsche-Mutterkonzerns Volkswagen hat recht unerwartet Vorstandschef Herbert Diess vor die Tür gesetzt – und Oliver Blume zum Nachfolger bestimmt. Lindner begann seine nächste Nachricht daher mit einem Glückwunsch (den das Finanzministerium bei der Freigabe laut dem Urteil schwärzen darf, daher hier ausgelassen):
Christian Lindner:
"Lieber Herr Blume, [Absatz vom Finanzministerium geschwärzt]. Leider wird uns die Angelegenheit weiter beschäftigen. Es wird Folgeberichterstattung bereits morgen geben und vermutlich parlamentarische Anfragen. Ich muss erwägen, ob ich juristisch Unterlassung bei ZDF und BILD erwirke. Daraus könnten sich Weiterungen auch für Sie und Ihr Haus ergeben, wenn es zu Gericht ginge. Daher die Frage, ob es Mitschriften Ihrer Äußerungen in der Betriebsversammlung und bei Ihrer Compliance eine Dokumentation unserer Kontakte gibt? Das könnten nämlich hilfreich sein. Mit besten Grüßen, Christian Lindner"
Der FDP-Chef schickte noch die aktuelle Pressemitteilung seiner Partei hinterher:
Christian Lindner:
"Hier unsere Erklärung: Ein Sprecher der FDP erklärte: ,Die Position von Herrn Lindner zu E-Fuels ist seit Jahren bekannt. Eine inhaltliche Position zu E-Fuels erfolgte im Wahlprogramm der FDP und damit lange vor der Bundestagswahl, den Koalitionsverhandlungen und der Regierungsbildung. Es gab im Oktober 2021 lediglich ein kurzes Telefonat zwischen Herrn Blume und Herrn Lindner zu rein technischen Fragen. Auch mit Konzernchefs von Fahrzeugherstellern, die E-Fuels nicht unterstützen, hat Herr Lindner Gespräche geführt. Solche Gespräche haben die Unternehmen nach unserer Kenntnis auch mit Verhandlern der Koalitionspartner geführt. Im Juni dieses Jahres hat sich Herr Lindner entsprechend seiner Position zum von der EU geplanten Ende des Verbrennungsmotors öffentlich geäußert und innerhalb der Bundesregierung gehandelt. Es hat davor keinerlei Kontakt in der Sache mit Herrn Blume und auch danach keinerlei Versuch einer Einflussnahme auf die lange bestehende Position von Herrn Lindner gegeben. Gegen die Verbreitung falscher Tatsachenbehauptungen prüft Herr Lindner rechtliche Schritte."
Blume meldete sich noch einmal in Zerknirschung:
Oliver Blume:
"Sehr gut! Wir bestätigen diese Punkte. Zusätzlich entschuldige Ich mich für eine überspitzte Formulierung in der internen, nicht öffentlichen Porsche Betriebsversammlung (hier ging es um den Austausch zu einer dpa-Meldung). Die Entschuldigung haben wir an die Medien weitergegeben."
Der vom Ministerium freigegebene Dialog, wie er von "Abgeordnetenwatch" zitiert wird, endet an dieser Stelle. Der Austausch zwischen Konzern- und Parteichef dürfte aber sicher weitergegangen sein. Drei Jahre später wackelt die EU-Entscheidung zum sogenannten Verbrenner-Aus grundsätzlich – für 2026 sehen die Beschlüsse eine Evaluation vor. Für Lindner hat sich der Einsatz in Sachen E-Fuels dennoch nicht unbedingt ausgezahlt. Für Blume war es eher eine Hypothek bei seinem Antritt als Volkswagen-Konzernchef. Denn der Autokonzern hatte sich bereits klar auf den Schwenk zu batterieelektrischen Fahrzeugen begeben. Die E-Fuel-Diskussion führt jedoch bis heute im Markt zu der Illusion, dass es auch unter den Bedingungen der Dekarbonisierung möglich sein könnte, weiter wie ehedem Verbrennerautos zu fahren – was viele Autokäufer dazu verleitet, gegenüber dem Batterieauto noch zu zögern.
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