Minutenlang strömen die Abgeordneten der AfD-Bundestagsfraktion in den früheren Sitzungsaal der FDP-Fraktion oben in der vierten Etage des Reichstagsgebäudes. Die FDP nutzte den Saal noch bis März mit 92 Abgeordneten.

Entsprechend eng ist es jetzt für die AfD-Fraktion aus 151 Mitgliedern: Die Luft wird schnell stickig, die Abgeordneten sitzen teils direkt neben dem Präsidiumstisch oder so nah davor, dass kaum Bewegungsfreiheit besteht. Einer scherzt: „Bok, bok, bok, wie in ’ner Legebatterie.“

Die AfD will mit dem demonstrativen Einzug in den Ex-FDP-Saal samt Hauptstadt-Journalisten-Tross am Dienstag beweisen, dass ihnen der Saal zu klein ist. Der große Effekt bleibt zwar aus, vorne links sind mindestens zehn Stühle frei, nicht alle Abgeordneten sind anwesend.

Aber deutlich wird: Die Verhältnisse sind sehr beengt. Am Dienstagmorgen rechnet der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion, Bernd Baumann, anhand von Grafiken vor: In dem Ex-FDP-Saal stünden pro Abgeordneten nur 1,7 Quadratmeter zur Verfügung. Die AfD hätte daher lieber den weitaus größeren Sitzungsaal der SPD, den die Sozialdemokraten nach dem großen antifaschistischen Politiker „Otto-Wels-Saal“ nennt. Dort, nach Baumanns Grafiken, gibt es 3,9 Quadratmeter pro sozialdemokratischem Abgeordneten.

Die SPD-Fraktion will diesen Saal behalten, obwohl sie von 206 auf 120 Abgeordnete geschrumpft ist. Ihr Erster Parlamentarischer Geschäftsführer, Dirk Wiese, argumentierte in der „Bild“-Zeitung: „Mit einer Vielzahl von Teilnehmern brauchen wir als Regierungsfraktion den Platz und die direkte Nähe zum Koalitionspartner CDU/CSU.“ Die Partei argumentierte auch schon mit ihrer emotionalen Bindung zu dem Saal, über dem das Monumentalgemälde „Der rot-weisse Karren“ prangt, der die Geschichte der SPD abbildet.

„Ich möchte den Otto-Wels-Saal nicht hergeben“, sagte Rolf Mützenich etwa dem sozialdemokratischen „Vorwärts“ vor seiner letzten Sitzung als Fraktionschef. Und Parteichef Lars Klingbeil sagte in seiner kurzen Interimszeit als Fraktionsvorsitzender: „Wir werden alles tun, damit der Otto-Wels-Saal fest in sozialdemokratischer Hand bleibt.“

„Wir wollen auch angemessen hier tagen“

Die Wut darüber in der AfD ist groß. Sonst tagt sie zurzeit im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus des Bundestags auf der anderen Spreeseite, wohin sie nach der Demonstration der Platzverhältnisse im Reichstag später wieder wechseln wird. Im Ex-FDP-Sitzungssaal angekommen – die AfD-Fraktion sitzt hier zum ersten Mal zusammen –, sagt Fraktionschef Tino Chrupalla: Diese Zustände seien „einfach unzumutbar“. Und: „Wir werden auch diesen Raum so nicht akzeptieren.“ Dann bricht Applaus aus, Chrupalla fährt fort: „Das sind mittlerweile keine Spielchen mehr.“

Vorher hat die Parteispitze darauf hingewiesen: Trotz anhaltenden Protests der Partei sei der relativ kleine Sitzungssaal bereits für die Fraktion mit der entsprechenden Anzahl von Stühlen und Tischen im zusammengedrängten Format hergerichtet, also schon Tatsachen geschaffen worden.

„Der Reichstag gehört uns allen, gehört den Parlamentariern, gehört dem deutschen Volk“, so Chrupalla im Saal weiter. „Wir präsentieren diese Wähler, über zehn Millionen Wähler, und wollen auch angemessen hier tagen und vor allem auch angemessen unsere Sitzung abhalten können.“ Laut Parteispitze, das betonte auch Bernd Baumann am Morgen, ist angemessenes Arbeiten in dem Saal nicht möglich. Entschieden wird die Raumvergabe im Ältestenrat des Bundestags per Mehrheitsbeschluss, wehren kann sich die AfD dagegen nicht.

Oder: nur auf Umwegen. Baumann sagte in einem auf X verbreiteten Video, man wehre sich „mit allen zur Verfügung stehenden parlamentarischen und rechtlichen Mitteln“. Dazu kommt die Aussage von Chrupalla vom Dienstag im Fraktionssaal, dass man den Ex-FDP-Saal „nicht akzeptieren“ werde.

Was das bedeuten könnte, dazu sagt die Partei offiziell noch nichts. In Fraktionskreisen fallen aber Begriffe wie „Versammlungsstättenverordnung“, Brandschutz, Fluchtwege oder: „arbeitsschutzrechtliche Prüfung“. Dann würde die von der SPD stark emotionalisierte Frage gegebenenfalls anhand der Frage entschieden, ob in dem Raum genug Luftvolumen pro Person vorhanden ist. Manche drücken es dramatischer aus. Auf dem Weg aus dem Saal hinaus sagt ein Angehöriger der AfD-Fraktion: „Stell dir mal vor, hier bricht eine Panik aus. Dann kannste nur noch die Toten zählen.“

Fraglos dient das Probesitzen an diesem Tag der Inszenierung. Viele Abgeordnete sprechen während der kurzen Minuten im Saal in ihre Handys, nehmen Videos auf, in denen sie von den „sogenannten Demokraten“ – den anderen Fraktionen, die der AfD einen größeren Saal verwehren – sprechen.

In einer Pressekonferenz vor Betreten des Saales hat Co-AfD-Chefin Alice Weidel ähnlich scharfe Worte genutzt. „Diese Posse“, sagte sie, „dass eine 16-Prozent-Kleinst-Partei (gemeint ist die SPD, d. Red.) den Fraktionsaal nicht räumen will, extrem viel Platz hat, um uns in einen Fraktionssaal einer Zwölf-Prozent-Partei (der FDP, d. Red.), die aus dem Bundestag ausgeschieden ist, als 21-Prozent-Partei hineinzustopfen, das ist schon eine Frage für sich.“ Da merke man, „dass es den anderen Fraktionen und den anderen Parteien offensichtlich an der Ernsthaftigkeit im Sinne unseres Landes absolut fehlt“.

Chrupalla schob hinterher: „Wenn die SPD den zweitgrößten Saal haben will, muss sie Politik für die Interessen der Bürger machen. Mit diesen Spielchen verspielt man genau das Vertrauen in politische Institutionen.“ Am Freitag tagt der Ältestenrat des Bundestags – es könnte die letzte Gelegenheit sein, die Fraktionssaalfrage im politischen Raum zu klären.

Jan Alexander Casper berichtet für WELT über innenpolitische Themen.

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