Der proeuropäische Kandidat Nicusor Dan hat die rumänische Präsidentschaftswahl gewonnen. Nach Auszählung von 99,44 Prozent der Stimmen liegt er bei 53,89 Prozent. Sein Gegenkandidat, der ultranationalistische George Simion, kommt auf 46,11 Prozent. Damit ist Rumänien in letzter Sekunde einem politischen Umbruch entgangen – Simion hatte angekündigt, die Militärhilfe für die Ukraine zu stoppen, und gilt als russlandnah.
In der ersten Wahlrunde vor zwei Wochen lag Simion noch vorn. Doch zur Stichwahl am Sonntag gingen viele Wähler offenbar mit dem Ziel zur Wahlurne, ihn zu verhindern. Die Beteiligung war deutlich höher als im ersten Durchgang.
Der Präsident wird für eine Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Insbesondere in außen- und sicherheitspolitischen Fragen kann er weitreichende Entscheidungen treffen und hat Einfluss auf den Geheimdienst und das Militär. Er prägt damit maßgeblich die geopolitische Ausrichtung eines Landes, das eine Schlüsselposition an der Nato-Südostflanke einnimmt. Rumänien grenzt direkt an die Ukraine und ist ein zentraler Korridor für militärische Logistik in Richtung Osten.
Die Wahl war auch deshalb mit Spannung erwartet worden, weil die vorherige Präsidentschaftswahl Ende 2024 Rumänien in die schlimmste politische Krise seit 1989 gestürzt hatte. Kurz vor der Stichwahl im Dezember erklärte das Verfassungsgericht die Wahl für ungültig. Zwar veröffentlichte die Regierung Belege für russische Manipulationen und illegale Wahlkampffinanzierung. Doch die Kommunikation darüber war schlecht, und viele Belege blieben vage. Dies befeuerte Spekulationen über eine politische Manipulation der Wahl, und einige Rumänen verloren das Vertrauen in den demokratischen Prozess.
Damals hatte überraschend ein politischer Außenseiter, Calin Georgescu, die erste Runde gewonnen. Dieses Mal durfte er nicht mehr antreten. Simion gilt als politischer Erbe von Georgescu; die beiden Männer gingen gemeinsam zur Stimmabgabe
Erneut „Anzeichen russischer Einmischung“
Auch im Vorfeld der Wiederholungswahl kursierten wieder Manipulationsvorwürfe. Das rumänische Außenministerium sprach von einer Desinformationskampagne mit „Anzeichen russischer Einmischung“. Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Zakharova, wies die Vorwürfe zurück – und spottete, es handele sich ohnehin nicht um eine echte Wahl.
In die gleiche Kerbe schlägt auch der unterlegene Kandidat Simion. Er erklärte sich am Sonntag zum Wahlsieger, bevor die Stimmen ausgezählt waren. Schon am Nachmittag hatte er gesagt, sein Team rechne mit einem „erdrutschartigen Sieg“, sofern die Wahl „frei und fair“ verlaufe – ein Framing, das an Donald Trumps Playbook erinnert: Die Legitimität der Wahl wird ohne konkrete Anhaltspunkte infrage gestellt.
Simion, so viel ist klar, wäre aus Sicht des Kremls der bevorzugte Kandidat gewesen. Offiziell sagt er zwar, Russland sei eine Bedrohung für Rumänien, und außenpolitisch gibt er sich Nato- und EU-freundlich. De facto sind seine Positionen oft prorussisch. Deshalb und weil sie ihm Destabilisierungsversuche vorwerfen, haben ihn die Republik Moldau und die Ukraine zur Persona non grata erklärt – er darf also in beide Länder nicht einreisen.
In Rumänien herrscht Systemverdrossenheit
Rumänien hat an der Westbindung gerüttelt, sie aber (vorerst) nicht aufgegeben. Das Land entgeht nun auch dem Rechtsruck – nicht jedoch der politischen Vertrauenskrise. Kein Vertreter der traditionellen Regierungsparteien schaffte es in die Stichwahl; beide Finalisten traten als Gegner des politischen Establishments an. Grund dafür ist, dass viele Wähler ihr Vertrauen in das System verloren haben. Korruption ist weit verbreitet, Reformen wurden jahrzehntelang verschleppt.
Auch der Wahlsieger Dan inszenierte sich als Gegenmodell zum Status quo. Er trat als unabhängiger Kandidat an. Der 55-Jährige ist Mathematiker und war früher als Aktivist gegen Korruption aktiv. Er wirft den etablierten Parteien vor, in erster Linie ihre eigenen Privilegien zu verteidigen, und deshalb Reformen zu verhindern. Nach seiner Stimmabgabe sagte Dan, er habe für jene Rumänen gestimmt, „die still, ehrlich und fleißig sind und sich seit Langem nicht vertreten fühlen“.
Offene Machtfragen
Nach der Wahl wird der neue Präsident eine zentrale Personalie bestimmen: die des Premierministers. Die Regierung war nach dem ersten Wahldurchgang zerbrochen – Premier Marcel Ciolacu trat zurück, weil der Kandidat seiner Koalition nicht in die Stichwahl gekommen war. Simion hatte im Wahlkampf angekündigt, Georgescu ins Amt zu holen. Dieses Szenario ist nun vom Tisch.
Der Wahlsieg des proeuropäischen Kandidaten dürfte in Brüssel und anderen europäischen Hauptstädten für Erleichterung sorgen. Und doch: Die Ursachen für das Erstarken der extremen Rechten in Rumänien bestehen weiter. Die neue Regierung und der Präsident stehen nun unter Zugzwang: Sie müssen liefern – mit Reformen, Korruptionsbekämpfung, sichtbarem Wandel – um das Vertrauen der Wähler zurückzugewinnen. Andernfalls wird die Atempause nur von kurzer Dauer sein.
Carolina Drüten ist Türkei-Korrespondentin mit Sitz in Istanbul. Sie berichtet außerdem über Griechenland, die Länder des westlichen Balkans, Rumänien und die Republik Moldau. Im Auftrag von WELT ist sie als Autorin und Live-Berichterstatterin für den Fernsehsender unterwegs.
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