Beim ersten Gipfel zwischen Großbritannien und der EU seit dem Brexit nähern sich beide Seiten einander an. Vertreter der 27 EU-Staaten billigten zu Beginn eines Gipfeltreffens in London Pläne für eine engere Zusammenarbeit bei Themen wie Verteidigung und Sicherheit, Lebensmittelstandards, Fischerei und Energie. Es ist ein wichtiger symbolischer Akt.
Großbritannien und die Europäische Union wollen mehrere Abkommen unterzeichnen, die die Zusammenarbeit beider Seiten auf eine neue Grundlage stellen. Der britische Premierminister Keir Starmer hatte vor dem Gipfeltreffen mit den EU-Spitzenvertretern bekannt gegeben: „Es ist Zeit, nach vorn zu blicken – die alten politischen Auseinandersetzungen hinter uns zu lassen und pragmatische Lösungen zu finden, die das Leben der Briten verbessern.“ Der Deal markiert die bedeutendste Neuausrichtung der Beziehungen beider Seiten seit dem Brexit im Januar 2020.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, EU-Ratspräsident António Costa und EU-Chefdiplomatin Kaja Kallas und der mit Großbritannien befasste EU-Kommissar Maros Sefcovic wurden am Montag im prunkvollen Lancaster House in London empfangen.
Wie kam es zu der Annäherung?
Im Handels- und Kooperationsabkommen zwischen der EU und Großbritannien nach dem Brexit spielte das Thema Verteidigung keine Rolle. Damals war der Krieg in der Ukraine noch weit weg, die Briten wollten das Thema im Rahmen der Nato und bilateraler Beziehungen regeln. Doch seit Russlands groß angelegtem Einmarsch in sein Nachbarland und der Rückkehr Donald Trumps ins Weiße Haus hat sich das geändert. Beide Seiten scheinen mehr denn je aufeinander angewiesen. „Großbritannien und die EU müssen in diesen geopolitisch schwierigen Zeiten zusammenhalten“, sagte Kallas vor dem Treffen dem „Tagesspiegel“.
Über die Details der Abkommen wurde lange gestritten. Der Durchbruch erfolgte nach Diplomatenangaben kurz vor dem Gipfel am Morgen nach nächtlichen Verhandlungen. Streitpunkte waren vor allem Fischereirechte sowie Jugendmobilität zwischen der EU und Großbritannien, die es jungen Menschen erleichtern soll, für eine begrenzte Zeit im Ausland zur Schule zu gehen, zu studieren oder zu arbeiten.
Fischerei war schon während des Brexit-Referendums ein großes Thema. Die derzeit gültige Verteilung läuft im kommenden Jahr aus, dann müssten die Fangquoten Jahr für Jahr ausgehandelt werden. Vor allem Frankreich pochte darauf, dass die bisherige Regelung weiterhin gilt.
Was ist bisher über den Inhalt der Abkommen bekannt?
Die Einigung sieht drei Themenkomplexe vor: einen Sicherheits- und Verteidigungspakt, eine Solidaritätserklärung und eine Vereinbarung zu Themen wie Handel, Fischerei und Jugendmobilität. Noch sind nicht alle Details bekannt.
- Verteidigung: Die EU plant, einen Fonds von 150 Milliarden Euro aufzulegen, aus dem Mitgliedstaaten Rüstungsprojekte finanzieren können. London will, dass die heimische Rüstungsindustrie dabei von Aufträgen profitiert. Als denkbar gilt auch eine Teilnahme der Briten an EU-Missionen.
- Sicherheitspolitik: „Die Vereinbarung wird voraussichtlich regelmäßigere Dialoge über Außenpolitik, Verteidigung und Sicherheit ermöglichen“, sagte Jannike Wachowiak von der Londoner Denkfabrik UK in a Changing Europe bei einem Pressegespräch. Dabei könnten auch Bereiche wie hybride Bedrohungen, Cybersicherheit und der Nahe Osten zum Thema werden.
- Fischerei: Der Vereinbarung zufolge wird Großbritannien seine Gewässer nach Ablauf des derzeitigen Abkommens im Jahr 2026 zwölf Jahre lang für europäische Fischer offen halten, wie es aus den Diplomatenkreisen hieß.
- Handel: Im Gegenzug für das Entgegenkommen bei Fischereirechten will die EU die Bürokratie für Lebensmittelimporte aus Großbritannien auf unbestimmte Zeit lockern.
- Mobilität: In Bezug auf die Jugendmobilität haben sich die Unterhändler nach Diplomatenangaben auf eine sehr allgemeine Formulierung geeinigt, die in späteren Verhandlungen konkretisiert werden soll. London fürchtet, dass ein zu großzügig ausgelegtes Abkommen bei dem Thema letztendlich wieder zur Freizügigkeit zwischen der EU und Großbritannien führen könnte.
Dürfen EU-Bürger auf Visa-Erleichterungen hoffen?
Die Bundesregierung pocht schon lange auf ein Programm für junge Menschen zwischen 18 und 30 Jahren, um in Großbritannien zumindest für begrenzte Zeit studieren und arbeiten zu können. Dem Austausch-Programm Erasmus für Studierende sind die Briten bislang aber nicht wieder beigetreten.
Den Vorstoß der EU-Kommission für ein „Youth Mobility Scheme“ lehnte die inzwischen regierende Labour-Partei noch im April vergangenen Jahres brüsk ab. Man werde nicht zur Personenfreizügigkeit zurückkehren, durch die sich EU-Bürger ohne weiteres in Großbritannien niederlassen konnten, hieß es damals. Doch inzwischen zeichnet sich mehr Flexibilität ab, zumal es nur um einen sehr beschränkten Umfang gehen dürfte.
Was sind die roten Linien?
Die britische Regierung legt weiterhin äußersten Wert darauf, möglichst wenig Angriffsfläche für Brexit-Vorkämpfer Nigel Farage und seine Partei Reform UK zu bieten, die in Umfragen inzwischen vor Labour und den Konservativen liegt. Sie betont daher stets, es werde auch keine Rückkehr in den Binnenmarkt oder die Zollunion geben – obwohl das einen großen Schub für die Wirtschaft brächte.
Aufseiten Brüssels gibt es weiterhin die Sorge, Großbritannien könne durch „Rosinenpicken“ Begehrlichkeiten bei anderen Partnern wecken, sich Privilegien zu verschaffen, ohne dafür Verpflichtungen einzugehen. Ohne Beiträge zum EU-Haushalt und Arbeitnehmerfreizügigkeit dürfen sich die Briten kaum Hoffnungen auf weitreichende Erleichterungen beim Marktzugang zur EU machen.
Erwartet wird, dass Starmer trotz aller Vorsicht ein paar heilige Kühe der Brexit-Puristen schlachten wird, etwa das Nein zur dynamischen Angleichung an EU-Regeln für Tier- und Pflanzenhygiene und die Ablehnung einer Rolle für den Europäischen Gerichtshof bei gemeinsamen Vereinbarungen. Das soll die Möglichkeit für ein Abkommen zur Lebensmittelsicherheit schaffen, das die durch den Brexit entstandene Bürokratie verringern und den Handel mit Lebensmitteln wieder erleichtern soll.
Kommen die Briten zurück in die EU?
Aktuelle Umfragen zeigen, dass eine Mehrheit der Briten die Brexit-Entscheidung bereut. Es gibt jedoch wenig Interesse an einem Wiedereintritt in die EU. Unter Starmer hat sich Großbritannien kontinuierlich der EU und vor allem Frankreich und Deutschland wieder angenähert. Dies kommt vor allem auch im Umgang mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und mit dem neuen US-Präsidenten Donald Trump zum Ausdruck. In diesem Bereich bemühen sich die Regierungen in London und Paris gemeinsam mit dem neuen Bundeskanzler Friedrich Merz um ein einheitliches Vorgehen, auch zusammen mit Polens Ministerpräsident Donald Tusk.
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