Auf Saskia Esken folgt Bärbel Bas: Die designierte neue SPD-Chefin und Bundesarbeitsministerin hat eine erstaunliche Aufstiegsbiografie vorzuweisen - aus der sie viel Selbstbewusstsein schöpft.
"Endlich normale Leute!", jubelte Schauspieler Tom Gerhardt 1997 in der Proll-Komödie "Ballermann 6" beim Anblick des Feiervolks am Mallorca-Strand. Nun wird sich die SPD-Spitze zu Recht Vergleiche mit Sauftouristen verbitten, hofft aber dennoch mit ihrer personellen Neuaufstellung auf Gerhardt'sche Begeisterung im Wahlvolk.
Für diese Hoffnung steht insbesondere die Personalie Bärbel Bas, deren Aufstieg vom Ruhrpott-Kind mit Hauptschulabschluss einer sozialdemokratischen Vorzeige-Biografie gleicht: Nach dreieinhalb Jahren als Bundestagspräsidentin soll die neue Bundesarbeitsministerin zusätzlich Vorsitzende der altehrwürdigen Arbeiterpartei werden - die bei vielen Arbeitern schon lange nicht mehr verfängt.
Bas' Vater war Busfahrer, die Mutter kümmerte sich um die sechs Kinder. Nachdem der Bruder das Abitur nicht geschafft hatte, durfte es die jüngere Bärbel gar nicht erst versuchen, wie sie vergangene Woche Sandra Maischberger erzählte. Auf die Hauptschule mit Fachoberschulreife 1984 folgte die Ausbildung zur Bürogehilfin bei der Duisburger Verkehrsgesellschaft (DVG). Bas arbeitete sich hoch, qualifizierte sich weiter und war zuletzt Abteilungsleiterin im Personalservice, bevor sie 2009 in den Bundestag wechselte. Da hatte sie sich schon in der Duisburger SPD einen Namen gemacht, wo sie sich 1988 zu engagieren begonnen hatte - parallel zu ihrer Arbeit im DVG-Betriebsrat.
Der eigene Vater als Maßstab
Als Bas im Januar 2010 erstmals im Bundestag spricht, liest sie dem damaligen Gesundheitsminister Philipp Rösler die Leviten wie eine alte Häsin. Dem FDP-Politiker hält sie einseitige Klientelpolitik zugunsten der privaten Krankenversicherungen vor, während in den sozialschwachen Stadtteilen Duisburgs "kein Kinderarzt mehr zu finden ist". Bas ist erkennbar in der Materie, redet aber verständlich. Sie wedelt mit zwei Geldscheinen und sagt: "Sie geben dem Bürger zehn Euro mit Steuersenkungen in die eine Tasche und nehmen ihm 20 Euro für die Sozialversicherung aus der anderen Tasche."
Ihre klare Sprache hat sich die hochgewachsene Frau beibehalten - ob als Bundestagspräsidentin oder nun als Bundesministerin für Arbeit und Soziales. "Der Hauptjob ist, dass die Menschen von ihrer Arbeit leben können", umschreibt sie ihre neue Rolle. "Ich will, dass ein Busfahrer, der viele Kinder hat, auch von seinem Job, den er den ganzen Tag macht, leben kann." Ihr eigener Vater, der frühere Busfahrer, habe die Vereidigung als Bundesministerin am Fernseher verfolgt. Bas weiß: "Das ist mir wirklich nicht in die Wiege gelegt worden, meinen Weg, den ich jetzt gemacht habe."
Ernsthaft und gelassen
Ihre Nominierung zur Bundestagspräsidentin nach dem SPD-Wahlsieg 2021 war eine Überraschung. Bis dahin hatte sich Bas vor allem als Gesundheitspolitikerin profiliert und während der Corona-Pandemie eher Kärrnerarbeit hinter den Kulissen geleistet. Bundesgesundheitsminister wurde ein anderer NRW-Genosse: Karl Lauterbach, der in der Fraktion als politisches Ein-Mann-Unternehmen verrufen war, sich via Talkshows aber eine große Bekanntheit erworben hatte.
Bas als Nachfolgerin der dezidiert intellektuell auftretenden Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse, Norbert Lammert und Wolfgang Schäuble war ein Wagnis für die SPD. Bas kokettiert nicht mit Zitaten großer Philosophen, sie ist Fan des MSV Duisburg, fährt Motorrad und zählt die Thriller von Dan Brown zu ihren Lieblingsbüchern. Die Wahl der inzwischen 57-Jährigen gilt gemeinhin als geglückt: Bas führte den Bundestag mit einer Mischung aus großer Ernsthaftigkeit und gelassenem Auftreten durch eine Legislaturperiode, die von der Rückkehr des Kriegs nach Europa und einer höchst unruhig agierenden Regierungskoalition geprägt war.
Bas hielt sich in ihrem Amt auch nicht mit Kritik zurück, wenn die von der eigenen Partei geführte Koalition den Bundestag immer wieder mit kurzfristig vorgelegten Gesetzentwürfen und entsprechend geringen Beratungszeiten konfrontierte. Dass Bas bei weitem nicht nur pöbelnde AfD-Abgeordnete mit Ordnungsrufen und Strafgeldern belegte, weiß der Münchener Sozialdemokrat Michael Schrodi zu berichten. Einmal rüffelte sie Bundeskanzler Olaf Scholz, als dieser zu Beginn seiner Rede die Begrüßung der Präsidentin vergisst, wie es sich gehört. Auch die von reichlich Empörung am Podium geprägte, gemeinsame Abstimmung von Union und AfD Ende Januar eskalierte unter Bas' ruhiger Ägide nicht.
"Ich entscheide über mein Leben selbst"
So erwarb Bas sich als Präsidentin Ansehen und Bekanntheit, ohne selbst durch den katastrophalen Ruf der Ampel beschädigt zu werden. Nach der Bundestagswahl ist sie plötzlich eine der wenigen Sozialdemokratinnen, die gleichermaßen für Erfahrung und Erneuerung steht. Bas steigt auf in das neunköpfige Verhandlungsteam ihrer Partei im höchsten Gremium der Koalitionsgespräche mit CDU und CSU - als einzige Vertreterin des einflussreichen Landesverbandes Nordrhein-Westfalen neben dem Veteranen Achim Post. Von da an gilt sie als kommende Ministerin - zum Leidwesen des ins Abseits gekegelten langjährigen Arbeitsministers Hubertus Heil, der seinen Posten in der neuen Legislatur los ist.
Bas ist es wichtig, nicht nach oben gespült worden zu sein. Sie tritt beinahe demonstrativ selbstbewusst auf. "Ich sage immer, ich entscheide über mein Leben selbst", sagt sie bei Maischberger. Bei ihrer Vorstellung als vom Vorstand nominierte Parteivorsitzende sagt Bas: "Ich habe entschieden, der Partei das Angebot zu machen, für den Parteivorsitz zu kandidieren." Und: "Ich sage immer: Wenn es leicht wäre, könnten es auch andere machen." Sie wolle als Parteivorsitzende für soziale Sicherheit, Bildungsgerechtigkeit, gesellschaftliche Vielfalt und den Kampf für den Schutz der Demokratie stehen. Letzteres leitet sie explizit aus ihren Erfahrungen als Bundestagspräsidentin ab.
Es werde eine "Herausforderung" für die SPD, als Teil der Regierung zugleich Zugeständnisse an den Koalitionspartner zu machen und das Profil der SPD zu schärfen. Auf kaum einem anderen Ministerposten wird dieser sozialdemokratische Spagat so schwierig wie auf ihrem eigenen. Die Union will das Bürgergeld weitgehend rückabwickeln. Bas sagt, die allermeisten Menschen wollten arbeiten. Unnötige, demütigende Härten für Menschen, die auf Sozialleistungen angewiesen sind, gelte es zu vermeiden. Sanktionen für Menschen, die an der Vermittlung in Arbeit nicht mitwirken, trage sie dagegen mit. Wer einen Termin im Arbeitsamt habe, müsse den auch einhalten.
Das muss noch nicht der Höhepunkt sein
Noch in der ersten Woche ihrer Amtszeit geht Bas in den ersten Konflikt mit der Union. Es müsse geprüft werden, ob mittelfristig auch Beamte wieder in die gesetzlichen Sozialkassen einzahlen sollen. CDU-Kanzleramtschef Torsten Frei lässt daraufhin wissen, er sehe hierfür keine Grundlage im Koalitionsvertrag. Doch, kontert Bas: "Natürlich gibt es eine Grundlage im Koalitionsvertrag, nämlich in der Tat die Rentenkommission." Dieser vereinbarte Arbeitskreis zur großen Sozialreform müsse auch die Einbeziehung von Beamten, Selbstständigen und Politikern prüfen. Ihre Forderung sei aber ausdrücklich nicht als "Provokation" der Union gedacht gewesen, schiebt Bas bei ihrer Vorstellung als Parteivorsitzkandidatin nach.
Die Parteilinke Bas kann sich jetzt schon auf ein besseres Wahlergebnis einstellen als ihr Co-Vorsitzender Lars Klingbeil. Der hatte noch am Abend der Wahlschlappe die Verantwortung für den weiteren Weg der SPD übernommen - oder wie Klingbeil-Kritiker sagen würden: die Macht an sich gerissen. Co-Parteichefin Saskia Esken fand sich hingegen plötzlich recht allein im Abseits wieder und war Ziel teils scharfer Attacken aus den eigenen Reihen. Nicht nur dem Juso-Vorsitzenden Philipp Türmer war das bitter aufgestoßen, schließlich steht Klingbeil nicht minder in der Verantwortung für das schlechteste Bundestagswahlergebnis der SPD-Geschichte.
Dass es Klingbeil dennoch gelungen ist, der faktisch alternativlosen schwarz-roten Koalition einen sozialdemokratischen Stempel aufzudrücken, eine große Zustimmung der Parteibasis zum Koalitionsvertrag einzuwerben und ein spannendes, fast vollkommen neues SPD-Personaltableau im Kabinett auf die Beine stellen, macht den Niedersachsen zum starken Mann in der Partei. Er ist derzeit der vielleicht mächtigste SPD-Vorsitzende in ihrer langen Geschichte.
Als neuer Vize-Kanzler und Bundesfinanzminister ist Klingbeil logischer Anwärter auf die Kanzlerkandidatur 2029. Doch Bas an seiner Seite hat nun ebenfalls alle Möglichkeiten, sich für noch höhere Aufgaben zu empfehlen. Zumal 2027 noch eine Spitzenkandidatin für die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen gesucht wird. Alles bekanntlich keine einfachen Jobs, die jeder machen könnte.
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