ntv.de: US-Präsident Donald Trump machte seinem russischen Amtskollegen eine klare Ansage: "Ich will, dass Putin aufhört zu schießen, sich hinsetzt und einen Deal unterschreibt." Was will er erreichen?
Thomas Jäger: Für den amerikanischen Präsidenten geht es darum, den Krieg in der Ukraine zu beenden, weil ihm das eine größere Handlungsfreiheit gibt. Zum einen kann er dann Geschäfte mit Russland machen, das ist seine erklärte Absicht. Zum anderen kann er dann die Unterstützung für die Ukraine einstellen. Auch das hat er im Wahlkampf versprochen. Das sind die zwei wesentlichen Gründe, warum er es auf ein Friedensabkommen abgesehen hat. Zudem wird stets ein persönliches Motiv angeführt: Trump will den Friedensnobelpreis bekommen. Das mag sein, aber den kriegt er sowieso nicht.
Nimmt Putin solche Aussagen von Trump ernst?
Nein. An der russischen Interessenlage hat sich nichts geändert. Russland führt diesen Krieg, um sich als Weltmacht wieder aufzubauen, mit Unterstützung von China. Peking ist wie Moskau daran interessiert, die internationale Ordnung so zu gestalten, dass autokratische Systeme nicht mehr in Furcht vor irgendwelchen Protesten leben müssen, weil ihnen die Legitimität fehlt. Eine Grundlage, um dieses Ziel zu erreichen, ist, die politische Dominanz über Europa zu bekommen. Trump ist in diesem Zusammenhang ein Vorteil für Peking und Moskau. Denn der US-Präsident ist bereit, die transatlantischen Beziehungen so zu spannen, dass sie gar brechen können. Und er würde Russland zumindest einen Teil von Europa, vielleicht sogar ganz Europa überlassen. Warum soll Putin da irgendwas aufgeben?
Macht Trump der Aufbau einer russischen Weltmacht also nichts aus – hat er sogar ein Interesse daran, sich Europa mit Putin aufzuteilen?
Das weiß man nicht. Das Erstaunliche: Trump geht mit zwei Bildern von sich selbst hausieren. Das eine ist der Dealmaker und das andere ist der Disruptor. Ein Disruptor hat erst mal einen positiven Beiklang, weil jemand in dieser Rolle verkrustete Verhältnisse aufbricht, um etwas Neues zu schaffen. Das Problem: Trump läuft dabei einem Traumbild hinterher, falls er überhaupt einen Plan hat, was geschaffen werden soll. Alles, was er schafft, ist Chaos - und zwar zum Vorteil von Russland und China. Wir sehen das auch mit Blick auf seine Regierung: Es wurde kein Konzept ausgearbeitet, sei es in der Handels- oder der Sicherheitspolitik. Zudem widersprechen sich die Mitglieder von Trumps Regierung ständig in ihren Argumentationen.
Gehört dieses kommunikative Chaos nicht auch zu Trumps Propagandastrategie?
Bei Trump ist alles immer Propagandastrategie, um entweder seine Marke aufzubauen oder von irgendwas abzulenken. Aber die Frage ist doch: Was will er denn mit seiner Handelspolitik bitte erreichen? Wenn wir als Ziel herausgreifen, Investitionen in den Vereinigten Staaten zu stärken, würde Trump keine andere Politik betreiben als sein Amtsvorgänger Joe Biden. Aber Biden ging klüger vor, weil er versucht hat, die amerikanische Ökonomie durch Subventionen anziehend zu machen. Die Brechstange, die Trump durch die Zölle ansetzt, schreckt Investitionen hingegen ab. Wer kann sich so etwas ernsthaft und planmäßig überlegt haben?
Und in der Sicherheitspolitik herrscht auch Planlosigkeit?
Ja. Was den Krieg in der Ukraine angeht, hat Trumps Regierung gesagt: Erst machen wir Druck auf die Ukraine, dann wird mit ihr verhandelt – anschließend machen wir Druck auf die Russen, dann werden die verhandeln. Aber mit was will Trump denn Druck auf Russland ausüben? Das hat man sich vorher nicht überlegt. Es gibt nichts, was Russland nicht mithilfe von China kontern kann. Trump muss jetzt sogar Gespräche mit China erfinden, um so zu tun, als wäre da gerade ein Austausch. Der US-Präsident tritt noch immer so auf, als wäre er in der Offensive, als würde er die Verhältnisse gestalten. Aber Trump ist völlig in der Defensive und schlägt nur noch um sich.
Trump hat Putin jüngst mit neuen Sanktionen gedroht. Aber die US-Wirtschaft leidet bereits unter der Zollpolitik – und Sanktionen könnten sie weiter schwächen. Werden sie trotzdem verhängt?
Sie könnten kommen, aber weniger von der Regierung, sondern aus dem Senat. Da wird drüber gesprochen, vor allem Sekundärsanktionen zu verhängen. Das wäre ein scharfes Schwert. Dann würden Unternehmen sanktioniert, die zum Beispiel von Russland Öl und Gas kaufen. Es bleibt abzuwarten, ob die Republikaner im Senat das am Ende verabschieden. Trump hat Putin bislang nur Zuckerbrot auf den Tisch gelegt, indem er ihn etwa von den US-Zöllen ausnahm. Ich bin äußerst skeptisch, ob Trump nun die Peitsche herausholt.
Trump hat sich unzufrieden gezeigt, nachdem der Kreml anlässlich des russischen Weltkriegsgedenktags nur vier Tage Waffenruhe verkündet hatte. Denken Sie, Trumps Einstellung zu Putin kann sich aufgrund seiner Frustration nachhaltig ändern?
Die ganze Welt sieht, wie Putin Trump an der Nase herumführt. Nur Trump selbst sieht es nicht. Ob er zu dieser Erkenntnis kommt und daraus dann eine andere Politik ableitet, ist die große Unbekannte. Das wäre ein drastischer Wechsel der amerikanischen Außenpolitik zurück in die traditionellen Bahnen, nämlich Verbündete um sich zu scharen gegen Autokratien, die die USA als Weltmacht herausfordern. Trump müsste ein Bündnis gegen China und Russland schmieden. Trump sieht nun jedenfalls, wie wenig Russland bezüglich des Kriegs in der Ukraine auf seine Forderungen eingeht – und im Handelskrieg macht er mit China dieselbe Erfahrung. Trump scheitert an Putin und Xi Jinping, die beiden zeigen sich unbeeindruckt.
Trump erweckt den Eindruck, die USA ebenfalls in eine Autokratie umbauen zu wollen. Ist das ein Grund, warum er sich - laut eigener Aussage - mit Putin so gut versteht?
Trump versteht sich mit allen Autokraten ganz toll. Von Kim Jong-un bis Recep Tayyip Erdoğan, von Wladimir Putin bis Xi Jinping – sie alle sind seine Freunde. Er lobt sie über den grünen Klee. Denn momentan ist das Team um ihn herum damit beschäftigt, die Vereinigten Staaten in ein autokratisches System zu führen.
Welche Anzeichen gibt es dafür?
Klar wird das angesichts der Gestaltung der Bundesbehörden, wo sogenannte illoyale Personen geschasst werden und alles mit loyalen Personen besetzt wird. Es zeigt sich an der Politisierung der Justiz, die eingesetzt wird, um Gegner aus ihren Ämtern zu kriegen und sogar hinter Gitter. Daran, dass er Angst und Schrecken verbreitet unter einem Großteil der Amerikanerinnen und Amerikaner, immerhin einer zweistelligen Millionenzahl, denen er mit Abschiebung droht. Dabei geht es eben nicht um eine Abschiebung von Menschen, die illegal im Land sind – es betrifft Menschen mit Migrationshintergrund, die schon lange in den Vereinigten Staaten leben. Man sieht es daran, dass er den Universitäten das Geld streicht. Außerdem spricht er darüber, Umfrageinstitute strafrechtlich zu verfolgen und ungeliebten Sendern die Lizenz zu entziehen.
Könnte Kiew die Strategie verfolgen, die USA noch so lange am Verhandlungstisch zu halten, bis die US-Militärhilfen von Biden auslaufen? Hat die Ukraine vielleicht schon aufgegeben, die USA noch auf ihre Seite zu ziehen?
Die Ukrainepolitik ist für Trump nur eine Funktion seiner Russlandpolitik. Trump will mit Putin kooperieren – und lässt dafür die Ukraine fallen. Falls Trump seine Politik gegenüber Russland ändert, wird er das nur schwer seinen Wählern verkaufen können. Denn ihnen hat er die ganze Zeit gesagt: Die Ukrainer nehmen uns aus. Im Zusammenhang mit dem Abkommen über Bodenschätze hat er gesagt: Die Ukrainer müssen ihre Schulden zurückzahlen. Insofern spricht viel dafür, dass es von ihm keine neuen Militärhilfen geben wird. Falls das passiert, könnte die Ukraine versuchen, selbst genug Rüstungsgüter zu produzieren - und auf die Unterstützung der Europäer und anderer westlicher Staaten zählen. Oder aber Russland gelingt es, den Krieg zu seinen Bedingungen zu beenden.
Mit Thomas Jäger sprach Lea Verstl
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