Wenn im Dauerfeuer der Nachrichten aus Washington etwas heraussticht, ist es: die Geschwindigkeit. So aggressiv wie kein US-Präsident seit dem Zweiten Weltkrieg geht Donald Trump in seinen ersten 100 Tagen vor. Damit versetzt er das Land und die Welt in Angst.

Es war genau so geplant. Die zweite Präsidentschaft Donald Trumps begann mit Unterschriften wie Donnerschlägen. Der Rückkehrer ordnete per Dekret unter anderem den Notstand an der Südgrenze an, das Ende der Gender-Offenheit und der Staatsbürgerschaft bei Geburt in den USA. Er begnadigte sämtliche Beteiligte des Kapitol-Sturms vom 6. Januar 2021. Seine groben, schwarzen Filzmarker schmiss er wie ein Rockstar ins jubelnde Publikum. Er hatte seinen Anhängern gegeben, was sie wollten. Dafür hatten sie ihn gewählt.

Seither sind mehr als drei Monate vergangen. Die ersten 100 Tage im Weißen Haus waren tosend, extrem, und trotz aller Ankündigungen für viele, die nicht damit einverstanden sind, auch schockierend. Dabei begrenzt sich der Republikaner nicht nur auf ein paar Kernthemen, sondern mischt sich auf breiter Ebene seinen Vorstellungen entsprechend ein. Trump kann aus seiner Sicht manchen Erfolg vorweisen. Der wichtigste für Republikaner: Die Zahl der Übertritte von Migranten an der Südgrenze zu Mexiko ist inzwischen verschwindend niedrig.

In den Jahren zwischen seinen beiden Präsidentschaften hatten sich die Republikaner sowie die konservative Welt aus Denkfabriken, Spendern und Wirtschaftsvertretern immer mehr auf Trump eingestellt, sich an ihm ausgerichtet. Seine Amtszeit wurde akribisch vorbereitet, der Präsident ist nun fokussiert auf das Wesentliche. Und das ist nicht, was er macht. Sondern wie.

Der Unterschied zu Trumps erster Amtszeit ist vor allem die atemberaubende Geschwindigkeit. Gut vorbereitete Bulldozer-Politik ohne viel Rücksicht auf bestehende Leitplanken. Wo ein Weißes Haus ist, ist bei allen Widerständen auch ein Weg. Trumps Team selbst sagt, sie betrieben "Shock and Awe", Schock und Furcht, eine militärische Taktik, bei der es darum geht, den Gegner zu lähmen. Ethische Einwände und bisherige Normen? Egal. Die werden mit "Flood the Zone" überspült. Also so schnell und so viel wie möglich in Bewegung setzen, damit politische Gegner und Medien nicht hinterherkommen.

"Ich regiere die Welt"

International verhalten sich die USA wie eine imperiale Macht aus vergangenen Zeiten. Sie verhandeln öffentlich mögliche Annexionen von Grönland, Kanada und Panama, stellen Bündnisse mit Europa in Frage oder brüskieren die Ukraine im Sinne Russlands, wenn es Trump opportun erscheint. Seine Waffe der Wahl sind Zölle, um fast jegliche Interessen durchzusetzen. Die Grundfrage ist immer transaktional: Was haben die Vereinigten Staaten davon? Wer sich im Ton vergreift, nicht mit unterwürfigen Phrasen intensiv um Trumps Gunst buhlt, wird wie der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bei seinem Treffen im Oval Office behandelt - und rausgeschmissen.

Die Zollvolten, die erratischen Drohungen, das mafiöse Machtgebahren, all das hat die Welt ins Wanken gebracht und Ängste ausgelöst. Angst bei Verbündeten vor dem Größenwahn und der Unberechenbarkeit dieses Präsidenten, die noch größer sind als in dessen ersten Amtszeit. Was geht in Trumps Kopf vor sich? Wurde in den vergangenen Jahrzehnten eine politische Persönlichkeit schon einmal genauer beobachtet und analysiert als er? Als sei Trump ein König, dessen Stimmungen man richtig deuten muss, um etwas zu erreichen. Schließlich sind seine Berater nicht mehr die "Erwachsenen im Raum", sondern Ja-Sager, die bei jeder Gelegenheit um die Gunst des Herrschers buhlen. Was macht man da als Europa? Als Deutschland? Als China?

"Beim ersten Mal hatte ich zwei Aufgaben: das Land zu regieren und zu überleben; ich hatte es mit lauter korrupten Typen zu tun", sagte Trump zu "The Atlantic": "Beim zweiten Mal regiere ich das Land und die Welt." Entsprechend tritt die US-Regierung international auf. Etwa Vizepräsident JD Vance, der sich mehr als einmal als Botschafter des neuen Imperiums präsentiert hat, dem sich auch Europa und damit Deutschland zu unterwerfen haben, möchten sie weiterhin als Verbündete gelten.

In den USA kriecht derweil die Angst in den Alltag, dass die Vereinigten Staaten über einem sandigen Abhang stehen, dessen Kante nachgeben könnte - und die so widerstandsfähige Demokratie doch langsam in eine Autokratie abrutscht. In ein System, in dem Wahlen unter gesellschaftlich und politisch noch unfaireren Bedingungen stattfinden, als es jetzt schon der Fall ist. Vor 15 Jahren hatte der Supreme Court geurteilt, dass Wahlkampfspenden als freie Meinungsäußerung gelten und unter den Schutz der Verfassung fallen. Seither gibt es für Reiche und Konzerne praktisch keine Grenzen für politischen Einfluss mehr.

Nie war das deutlicher als aktuell. Der reichste Mann der Welt, Elon Musk, hat Trump im Wahlkampf mit Hunderten Millionen Dollar unterstützt und wurde dafür mit einem für ihn geschaffenen Posten belohnt. Mehrere Monate lang war er der Chef der Doge genannten Effizienzbehörde und der einflussreichste Mann an Trumps Seite; ging mit der Kettensäge durch den Staatshaushalt, entließ Angestellte, schaffte Behörden und interne sowie externe Aufsichtsinstanzen für die Regierung ab.

"Traum des Sumpfes"

Niemand vor Trump hatte mehr Zuwendungen für seine Amtseinführung erhalten als er. Dafür kann es Gegenleistungen geben. Etwa im Zollkrieg: Wer mit ihm gut gestellt ist, kann auf Ausnahmen hoffen. Die Gespräche darüber zwischen Lobbyisten, Eigentümern, dem Weißen Haus und der restlichen Regierung finden hinter verschlossenen Türen statt. Das "Wall Street Journal" nennt die Undurchsichtigkeit des Verfahrens "den Traum des Sumpfes". Die Korruption ist offenkundig. Interessenkonflikte sind kein Problem. Trump und seine Verbündeten profitieren von Kurs-Volten an den Börsen, machen mit sinnlosen Meme-Coins Millionen Dollar, und niemand kann oder will diese Kleptokratie derzeit verhindern.

Die Wirtschaft hat Trump mit seiner Politik ebenfalls an den Abhang gedrückt. Praktisch alle günstigen Produkte in den USA werden aus China importiert, aber die Zahl der Frachtcontainer aus der Volksrepublik hat sich im Jahresvergleich fast halbiert. Die Verbraucherpreise könnten also jeden Moment in die Höhe schnellen. Trump trat den Handelskrieg los, obwohl er - bei allen Ungerechtigkeiten - eine brummende Wirtschaft übernommen hatte. Was passiert, wenn die Preise steigen, aber die Löhne nicht hinterherkommen? Die Industriepolitik scheitert, weil sich Unternehmen die US-Politik nicht mehr als verlässlich ansehen? Mögliche neue Fabriken viele Jahre brauchen, bis sie produzieren?

Die radikalen Veränderungen gehen über die Neuausrichtung von Außen- und Wirtschaftspolitik sowie die Arbeitsweise des Weißen Hauses und der Ministerien hinaus. Überall hat die Regierung ihre Finger im Spiel, geschieht etwas, wird infrage gestellt, verändert, gedroht, gekürzt. Dabei handelt sie nah am berüchtigten "Projekt 2025", das konservative Wunsch-Regierungsprogramm der einflussreichen Heritage Foundation. Um die juristischen Barrieren gegen sich zu durchbrechen, setzt Trump wichtige Anwaltskanzleien unter Druck und erzwingt von ihnen Gratisdienste, damit diese keine Kläger gegen seine Politik vertreten.

Abschiebungen als Reality-TV, Bildung als Feind

Trumps Regierung hat Hunderte Migranten in Drittländer abschieben lassen - unter anderem in ein Hochsicherheitsgefängnis in El Salvador - und spielt öffentlich mit dem Gedanken, auch kriminelle US-Bürger im Ausland einkerkern zu lassen. Abschiebungen sind zu Reality-TV geworden, in dem Kameras die Einwanderungsbehörde bei Razzien begleiten. Die verantwortliche Ministerin Kristi Noem posiert vor Gefängniszellen, in denen menschenunwürdige Bedingungen herrschen. Zugleich hat Trump mit mehreren Dekreten im Handstreich beschlossen, dass Rassismus kein Problem mehr darstellt in den Vereinigten Staaten, weshalb die Regierung sich nicht darum kümmern muss.

Das Ende der Gleichstellungsmaßnahmen soll aber nicht auf die Behörden beschränkt bleiben. Die Wurzel allen angeblichen Übels von "Wokeness" und damit der Feind sind aus Sicht der MAGA-Welt die Universitäten. Trumps Regierung droht ihnen mit Geldentzug, falls sie ihre Gleichstellungsmaßnahmen nicht einstampfen und in manchen Fällen auch die Lehrpläne anpassen. Dahinter steht die Ansicht, die Hochschulen seien ein Hort linker Ideen, der konservative Ansichten autoritär unterdrücke. Zugleich soll das Smithsonian Institute, das die großen, wichtigen Museen in Washington betreibt und so etwas wie die Geschichtsschreibung des Landes verantwortet, seine Ausstellungen nach den Vorstellungen des Weißen Hauses umgestalten. Beim Militär verschwindet Literatur über Rassismus aus den Regalen.

Es gibt Widerstand gegen all das. Die Medien berichten, aber Trump setzt die großen Häuser mit Klagen unter Druck; manche fügen sich. Die Demokraten sind derzeit zahnlos, die Republikaner im Kongress auf Linie. Manche hoffen auf die Gerichte, um Trumps Politik zumindest abzuschwächen, aber die Mühlen mahlen langsam. Zu langsam für einen Präsidenten, der ein solches Tempo vorlegt. Viele Dinge sind deshalb noch in der Schwebe, können wieder einkassiert oder vom Supreme Court bestätigt werden. So wie das Dekret zum Ende des Rechts auf die Staatsbürgerschaft per Geburt. In diesem Fall haben die Obersten Richter für Juni ihr Urteil angekündigt.

Demokratie? Oligarchie? Kleptokratie?

Auf all dem gründet sich die Angst, den sandigen Abhang nicht wieder hochzukommen, wenn das Land einmal abrutschen sollte. Die vergangenen 100 Tage haben die Vereinigten Staaten neu positioniert. In der Welt nicht mehr an der Seite Europas, sondern alleine zwischen dem alten Kontinent und China. Und im eigenen Land weg von der bisherigen Demokratie in Richtung von Autokratie, Oligarchie und Kleptokratie.

Als Donald Trump das erste Mal ins Weiße Haus eingezogen war, wollte er "den Laden sprengen", wie es ein Berater ausdrückte. Vor acht Jahren rangen verschiedene Fraktionen um ihn herum um Einfluss, viele Dinge ließen sich deshalb nicht umsetzen. Dieses Mal hat Trump klare Pläne und ein Team aus Loyalisten bei sich, die ihn bestätigen, nicht hinterfragen. Er macht nun einen gelasseneren Eindruck. Keine Schweißperlen, keine sichtliche Anspannung mehr wie damals bei seiner ersten Rede vor den Vereinten Nationen oder zur Lage der Nation.

Trump hat womöglich als Erster konsequent umgesetzt, wie Politik inzwischen funktioniert: mehr Echtzeit wagen. Ausprobieren und Grenzen austesten, statt wertvolle Zeit zu verlieren. Bevor sich die Stimmung wieder ändert. Die alten Medien haben zwar noch Einfluss, aber vieles drückt sich in den sozialen Netzwerken aus. Der Rest ist Verstärkung. Schon Mitte März drehten sich Trumps Zustimmungswerte ins Negative und sind seither immer schlechter geworden. Politiker sind dann erfolgreich, wenn Wähler ihre Sicht auf die Realität teilen. Wie lange sind die USA dazu bereit?

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