Donald Trumps Friedensplan soll sichtbar werden, buchstäblich auf dem Boden des Gaza-Streifens. Die israelischen Streitkräfte seien beauftragt, die gelbe Linie für die erste Stufe ihres Rückzugs wirklich mit gelben Markierungen auf den Straßen und Feldern einzuzeichnen, teilte das Verteidigungsministerium mit. Zudem solle die Linie den Terroristen der Hamas verdeutlichen, beim Überschreiten welcher Grenze sie mit Beschuss rechnen müssen.
Das klingt so, als sei der Unterschied zwischen Frieden und Krieg bereits genau zu definieren. Aber der ist in Wahrheit keineswegs klar – ebenso wenig, wo die Linie dazwischen eigentlich verläuft.
Am Ende dieser Woche, in der Trump nach Jerusalem reiste, um das Ende des Krieges und den Beginn des von ihm vorgegebenen Friedensprozesses zu erklären, ist völlig unklar, wie und ob es weitergeht. Noch läuft Phase 1. Sie beinhaltet ein Ende der Kampfhandlungen, verstärkte Hilfslieferungen unter Aufsicht der Vereinten Nationen und eben den Rückzug der Israelis auf jene gelbe Linie.
Es ist ungewiss, ob Phase 2 jemals beginnen wird: Entwaffnung der Hamas, der weitere Rückzug Israels, Einsetzung einer Technokraten-Regierung sowie die Sicherung des Küstenstreifens durch eine internationale Schutztruppe. Die Islamisten geben nicht zu erkennen, dass sie bereit wären, ihre Waffen abzugeben. Tatsächlich weist vieles darauf hin, dass sie ihre Herrschaft noch tiefer verankern wollen.
Etwa dreißig Menschen hat die Hamas nach unterschiedlichen Quellen seit Beginn des Waffenstillstands exekutiert. Es sollen Angehörige von Banden und Familien sein, die mit Israel kollaboriert haben. Nach Angaben des Center for Peace Communications, das über Quellen in Gaza verfügt, ist unter den getöteten sogar ein fünfjähriges Kind.
Die israelische Zeitung „Haaretz“ berichtet, die Hamas sammele derzeit die noch bei anderen militanten Gruppen vorhandenen Waffen ein, um sich selbst wieder auszurüsten.
Zudem stockt die Übergabe der getöteten Geiseln. Bisher wurden die sterblichen Überreste von neun von der Hamas Verschleppten übergeben. Es fehlen noch etwa 19. Die Suche nach den Orten, an denen die Hamas ihre Leichen oder Teile davon begraben hat, wird erschwert durch Verwüstungen des Krieges. Mitunter wurden jene Terroristen getötet, die wussten, wo die Geiseln vergraben wurden. Amerikanische, ägyptische und katarische Spezialisten helfen bei der Suche. In Jerusalem wächst die Ungeduld.
„Was in den letzten Tagen in Gaza abläuft, ist sehr besorgniserregend“, sagte Israels Vize-Außenministerin Sharren Haskel WELT AM SONNTAG und anderen Journalisten. „Es scheint, als wolle die Hamas uns provozieren.“ Sie meint nicht nur die Frage ihrer Entwaffnung und die Übergabe der Geiseln, sondern auch die grausamen Machtdemonstrationen gegenüber der eigenen Bevölkerung.
„In den vergangenen Tagen wurden hunderte, wenn nicht tausende Menschen von der Hamas verschleppt, gefoltert und getötet“. Israel sei den Waffenstillstand „in gutem Glauben“ eingegangen, man habe Garantien von den USA und anderen Beteiligten erhalten. Angesichts der großen Zweifel unter Experten und Politikern: Glaubt Israel denn, sich darauf verlassen zu können? „Jetzt sind vor allem jene Länder gefragt, die den besten Kontakt zur Hamas haben, etwa Katar und die Türkei“, sagt Haskel. Schließlich hätten auch Doha und Ankara Garantien gegeben.
Wer mit anderen Beteiligten spricht, versteht, dass in der Frage der Entwaffnung mehrere Faktoren zusammenhängen – und einander derzeit blockieren. Trumps Friedensplan ist eher vage formuliert. Welche Waffen die Hamas abgeben soll und an wen, ist nicht genau erklärt. Nach Vorstellungen arabischer Beteiligter sollen die Waffen von einer neuen palästinensischen Polizei in Gaza eingesammelt werden, die von der künftigen internationalen Friedenstruppe beaufsichtigt und geschützt wird.
Nach Informationen westlicher Diplomaten ist die Frage, an wen die Waffen übergeben werden, gerade der Hauptpunkt, an dem die Hamas sich querstellt. Wenn sie die Waffen an Israel abgäbe, würde das in ihren Augen offenbar wie die Bestätigung einer Niederlage gegenüber dem jüdischen Staat aussehen. Das würde ihrer öffentlichen Darstellung widersprechen: Nämlich dass die Hamas den Waffenstillstand und Rückzug der Israelis erkämpft habe – und damit die eigentliche Siegerin sei.
Eine Übergabe an palästinensische Polizisten könnte dieses Image-Problem kosmetisch lösen helfen. Doch eine palästinensische Polizei in Gaza müsste sogar nach der Logik der arabischen Verbündeten Israels von der Palästinensischen Behörde (PA) gestellt werden, die aktuell nur im Westjordanland herrscht. Israels Regierung hat wiederholt erklärt, dass sie keine Rolle für die PA in Gaza sehe.
Der Friedensplan erwähnt nur allgemein, dass die Behörde eingebunden werden solle. Der Grund dürfte sein, dass die PA als Element einer zukünftigen Zwei-Staaten-Lösung geschaffen wurde, die von der Regierung Netanjahu abgelehnt wird. Im Trump-Plan ist sie aber als mögliches Fernziel erwähnt.
„Deutlich mehr Hilfslieferungen für Gaza“
So hängen die praktischen Probleme mit den Grundfragen im Nahen Osten zusammen. „An dem Punkt der Entwaffnung hängt derzeit alles, aber sie ist nicht die einzige Voraussetzung“, sagt Lana Nusseibeh, Staatsministerin im Außenministerium der Vereinigten Arabischen Emirate und Sondergesandte des emiratischen Außenministers zu WELT AM SONNTAG und anderen Medien.
„Damit der Friedensplan funktioniert, müssen deutlich mehr Hilfslieferungen nach Gaza gelangen, und es muss ein glaubwürdiger Weg zu palästinensischer Staatlichkeit festgelegt werden.“ Zudem müsse die Gewalt jüdischer Siedler gegen Palästinenser im Westjordanland gestoppt werden, damit kein neuer Herd der Radikalisierung entstehe.
Die Vereinigten Arabischen Emirate, die 2020 im sogenannten Abraham-Vertrag Frieden mit Israel schlossen und in engem Austausch mit Jerusalem wie Washington stehen, waren mit 1,8 Milliarden Euro der größte humanitäre Spender für die Menschen in Gaza. Diese Unterstützung ebenso wie die medizinischen Evakuierungen von Verletzten und Kranken werde weitergehen, unterstreicht Nusseibeh.
Auch beim Wiederaufbau könnten die Emirate helfen. Aber dafür müssten die Bedingungen stimmen. Nusseibeh sagt: „Unsere Hilfe für den Wiederaufbau hängt von einem klaren politischen Horizont ab – von einer Perspektive für palästinensische Staatlichkeit ab. Wenn das absehbar ist, sind wir voll dabei.“
Daniel-Dylan Böhmer, Senior Editor im Ressort Außenpolitik, bereist die Länder des Nahen Ostens seit Jahrzehnten. Er befasst sich vor allem mit regionalen und globalen Sicherheitsthemen und wird regelmäßig als Experte in nahöstlichen TV- und Radiosendern befragt.
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