Es ist womöglich eine der letzten größeren Gerhard-Schröder-Shows, die an diesem Freitagvormittag im Landtag von Schwerin zur Aufführung kommt. Mal jovial, meist ungnädig beantwortet der Altkanzler die Fragen eines Untersuchungsausschusses zum Bau der Nord-Stream-2-Pipeline. Der Erkenntnisgewinn ist gering, der Unterhaltungswert groß. Schröder bleibt Schröder. Und hat natürlich alles richtig gemacht. Findet er.
Eines ist jedenfalls klar nach dem Auftritt: Gerhard Schröder, 81, früherer Bundeskanzler, Noch-immer-Gaslobbyist, ist fitter, als es die Berichte über einen Burn-out zu Beginn des Jahres vermuten ließen. Zweieinhalb Stunden lang versucht er, die zuweilen recht kleinteiligen Fragen des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses „Klimaschutzstiftung“ im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern zu beantworten.
Seine Botschaft ist im Grunde die alte: Ich, der frühere Regierungschef, habe eigentlich alles richtig gemacht, zumindest, wenn es um die energiepolitischen Interessen der Bundesrepublik geht. Die anderen, na ja, die sind auch ganz nett. Bis auf jene Abgeordneten, die alles zu genau wissen wollen. Die werden schon mal angepflaumt.
Schröder ist nicht persönlich im Schweriner Schloss erschienen. Er wird aus seiner Anwaltskanzlei in Hannover per Video zugeschaltet. Auf den sechs Bildschirmen des Sitzungssaals erscheint die obere Hälfte des Altkanzlers. Blaues Jackett, weißes Shirt, Charakterkopf. Auch sein Anwalt, Hans-Peter Huber, der neben ihm sitzt, ist zunächst zumindest zur Hälfte zu sehen. Später rückt Huber außer Sichtweite.
Schröder schaut manchmal in seine Richtung, lässt sich aber nichts sagen. Im Hintergrund: ein Klavier und zwei kleinere Skulpturen des Bildhauers Stephan Balkenhol. Eine davon auffällig, Atlas trägt die Last der Erde. Dann beginnt die Vernehmung des Zeugen.
Name? „Gerhard Fritz Kurt Schröder, geboren am 7. April 1944. Ich bin also 81 Jahre alt.“ Von Beruf sei er nach wie vor Rechtsanwalt. Und, das sagt er an dieser Stelle aber nicht, nach wie vor Vorsitzender des Verwaltungsrats der Nord Stream 2 AG. Eines Unternehmens mit Sitz in der Schweiz, das die zweite Ostsee-Pipeline zwischen Russland und Deutschland betreiben sollte. Schröders Wohnadresse hat sich nicht geändert. Genauso wenig, das zeigt sich im Folgenden einmal mehr, wie die grundsätzliche Einstellung des Immer-noch-Sozialdemokraten zu seiner Energiepolitik, zu den deutsch-russischen Beziehungen, zu den Gas-Pipelines Nord Stream 1 und 2, zum russischen Präsidenten Wladimir Putin und zu sich selbst.
Als Bundeskanzler, so umreißt Schröder die Ausgangslage in seinem knappen Eingangsstatement, habe er die Aufgabe gehabt, Deutschlands Energieversorgung umzustellen. Weg von der Atomkraft, hin zu möglichst umweltfreundlichen Energien. Russisches Gas sei damals eine gute Sache gewesen, wäre auch heute noch eine gute Sache. „Wir bekamen eine umweltfreundliche Energie zu vernünftigen Preisen.“
Der Parlamentarische Untersuchungsausschuss „Klimaschutzstiftung“ des Schweriner Landtags untersucht seit Mai 2022 die Rolle der Schweriner Landesregierung bei Gründung und Tätigkeit der gut ein Jahr zuvor gegründeten Klimaschutz-Stiftung des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Hat sich das damals wie heute SPD-geführte Landeskabinett von Russland, von dessen staatlichem Energie-Konzern Gazprom, vielleicht auch von der Nord Stream AG beeinflussen oder gar drängen lassen, sich eventuell willfährig in Putins Arme begeben und so letztlich dessen Angriffspläne auf die Ukraine gestützt? Das ist der Kern des Untersuchungsauftrags dieses Ausschusses.
Entsprechend lautet die erste Frage des Vorsitzenden Sebastian Ehlers von der CDU: Welche Rolle hat Mecklenburg-Vorpommern für den Bau von Nord Stream 2 gespielt? Schröder verweist lapidar darauf, dass die Leitung in diesem Bundesland angelandet werden sollte, wo genau, wisse er aber nicht mehr. Dann wiederholt der Altkanzler seine Einschätzung zur Wichtigkeit russischen Gases für die deutsche Energieversorgung. „Wir wollten uns von der Abhängigkeit von der Atomkraft befreien.“ Die Bundesregierung und die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommerns hätten ein „identisches Interesse“ am Bau der Pipeline gehabt. Der sei auch „der Kern dessen“ gewesen, „um was ich mich zu kümmern hatte“.
Deshalb habe er auch die Gründung der Schweriner „Klimastiftung“ für richtig gehalten, die die Schweriner Landesregierung nutzen wollte, um den Bau von Nord Stream 2 zu beschleunigen. Ob Schröder damals in diesem Zusammenhang Gespräche mit der Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) geführt habe, will CDU-Mann Ehlers wissen. Im Einzelnen könne er sich nicht erinnern, antwortet der Altkanzler, insgesamt aber sei die Zusammenarbeit mit der Landesregierung „völlig reibungslos“ gewesen. Ehlers setzt nach, fragt nach weiteren Gesprächen mit Mitgliedern des Landeskabinetts.
Dann wird Schröder erstmals knarzig
Es ist 10.35 Uhr im Landtag, eine knappe halbe Stunde nach Beginn der Zeugenvernehmung, als Schröder erstmals knarzig wird. „Was stellen Sie für merkwürdige Fragen? Ich weiß nicht, mit wem ich … Die Fragen sind derart unsinnig.“
Er könne sich nicht daran erinnern, ob er im Sommer 2020 mit Schwesig zu Abend gegessen habe. Sicher sei nur, „dass ich zu Abend gegessen habe“. Im Übrigen, betont Schröder, hätten die USA den Bau der Leitung verhindern wollen. „Und ich bin nicht der Meinung, dass die Amerikaner uns die Energiepolitik vorzuschreiben haben.“
So oder so ähnlich wird es dann bis zum Mittag weitergehen. Die Abgeordneten, seit fast drei Jahren mit allen Details des Nord-Stream-Projektes und der Klimastiftung befasst, stellen ihre Fragen. Schröder, schon immer mehr an den großen Linien interessiert als an der kleinteiligen Wirklichkeit, spricht über das große Ganze, wird aber mit der Zeit immer pampiger in seinen Antworten. Insbesondere der zäh nachfragende Landtagsabgeordnete Hannes Damm (Grüne) bekommt den Unmut des Altkanzlers zu spüren.
„Haben Sie mit Putin über Nord Stream gesprochen?“, fragt Damm. „Kann ich Ihnen im Einzelnen nicht sagen.“ Über die Pipeline sei er sich aber „immer einig“ gewesen mit dem russischen Präsidenten. Russland habe Gas verkaufen wollen, Deutschland habe Gas kaufen wollen. „Beide waren an einer funktionierenden Zusammenarbeit interessiert.“
„Haben Sie bei Ihrem Besuch des Musikfestivals Schleswig-Holstein mit Ministerpräsidentin Schwesig über Nord Stream 2 gesprochen?“ „Wie soll ich mich erinnern, was bei einem Abendessen vor zehn Jahren gesprochen wurde?“, fragt Schröder zurück. „Lächerlich.“ Dann aber doch: „Na klar haben wir über Baufortschritt gesprochen, weil das nicht so schnell voranging, wie wir das wollten.“
Ob Schröder die Reden, die er in Mecklenburg-Vorpommern gehalten habe, als Bundeskanzler a.D. oder als Verwaltungsratsvorsitzender der Nord Stream 2 AG gehalten habe, fragt Damm. „Als Gerhard Schröder“, antwortet Schröder und wendet sich an den Ausschussvorsitzenden. „Was soll dieser Unsinn? Herr Vorsitzender, können Sie diesen Mist beenden?“
Es geht trotzdem weiter. Eine Pause benötige er nicht, betont der Altkanzler.
Ob es bei seinem 70. Geburtstag – den Schröder 2014 unter anderem mit Putin und vielen Gästen in St. Petersburg gefeiert hatte – zu Gesprächen über Nord Stream 2 gekommen sei, will Damm wissen. Man habe „ordentlich gefeiert“, antwortet Schröder und überhört, dass Ausschusschef Ehlers diese Frage als nicht zulässig, weil vom Untersuchungsauftrag nicht gedeckt, einstuft.
Ob die Nord Stream 2 AG Druck auf die Landesregierung ausgeübt habe? Schröder, mal wieder ungehalten, belehrt den Abgeordneten: „Wenn sie etwas von einer Landesregierung wollen, dann können sie doch keinen Druck ausüben.“ Konkrete Fragen beantworte er gern – „aber doch nicht so ein Gesalbere“.
Ob Schröder der Landesregierung weitere Wirtschaftskontakte vermittelt habe? „Das geht Sie einen feuchten Kehricht an.“ Er habe das getan, „was ich für vernünftig hielt“. Die Klimaschutzstiftung, fasst der Altkanzler seine Haltung schließlich zusammen, „war die Möglichkeit, eine politisch unsinnige und durch nichts begründete amerikanische Intervention abzuwehren“.
Dann ist die Befragung zu Ende. Schröder, jetzt wieder ganz freundlich, bedankt sich beim Ausschussvorsitzenden Ehlers für die „faire Sitzungsleitung“.
Der Untersuchungsausschuss will im November mit Olaf Scholz noch einen zweiten Altkanzler von der SPD befragen. Für die vorerst letzte Sitzung ist Ministerpräsidentin Schwesig als Zeugin geladen. Sie soll Anfang Dezember aussagen.
Ulrich Exner ist politischer WELT-Korrespondent und berichtet vor allem aus den norddeutschen Bundesländern.
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