In der drittgrößten Stadt der USA gibt es kaum Verständnis dafür, dass Präsident Trump das Militär auf die Straßen schicken will - im Gegenteil. Vom angeblichen "Aufstand" der Linken gibt es keine Spur. Aber eine spontane Demonstration gegen Trump.

Bevor man von der Schnellstraße dorthin rechts abbiegt, worüber sich die Machtfrage in den USA entscheiden könnte, grüßt das Wappen von Chicagos Vorstadt Broadview: "Ausgewogene Gemeinschaft" ist unter einer stilisierten Waage zu lesen. In der Seitenstraße steht ein weißer Pavillon, der sich zum universellen Anlaufpunkt für jene entwickelt hat, die vor dem Abschiebezentrum der Einwanderungsbehörde ICE gegen deren "Operation Midway Blitz" demonstrieren. In dem Einsatz führen die bewaffneten und häufig vermummten ICE-Mitarbeiter seit September regelmäßig Razzien durch. Etwa 1000 Menschen seien bereits festgenommen worden, teilte das Heimatschutzministerium am vergangenen Freitag mit.

In Chicago entscheidet sich in diesen Tagen, wer sich durchsetzt: US-Präsident Donald Trump, der das Militär auf die Straßen der drittgrößten Stadt der Vereinigten Staaten beordert hat. Oder der Demokrat JB Pritzker, Gouverneur des Bundesstaates Illinois, der den Einsatz der 500 Nationalgardisten für völlig überzogen hält und sich verbal und juristisch dagegen wehrt. Trump forderte gar, Pritzker ins Gefängnis zu werfen, und den Bürgermeister Chicagos gleich mit. Am Ende könnte eine juristische Absolution für den Einsatz des Militärs im Innern einen Präzedenzfall für die gesamte USA darstellen.

In Broadview sind an diesem Mittwochmittag weniger als zehn entspannt miteinander plauschende Demonstranten vor Ort, dazu Journalisten. Vor dem Tor stehen zwei Polizeiautos. Ein Lokalpolitiker gibt ein Interview. Der Sonnenschein wird manchmal von weißen Wolken gebrochen. "Zu suggerieren, dass Menschen, die daran interessiert sind, Menschenrechte zu schützen, ein Aufstand sein sollen, ist verrückt", sagt eine Demonstrantin.

Insbesondere an Freitagen wird es hier etwas hitziger, immer wieder kommt es zu Scharmützeln. Einsatzkräfte verwendeten etwa Pfeffersprays und Tränengas gegen Demonstranten, die versuchten, Fahrzeuge der Einrichtung zu stoppen. Die American Civil Liberties Union, die größte Bürgerrechtsorganisation der USA, hat die Regierung verklagt und argumentiert, dass ICE eine Kampagne der Gewalt und Einschüchterung gegen friedliche Demonstranten durchführe - nicht umgekehrt, wie die Regierung behauptet. Katrina Thompson, Bürgermeisterin von Broadview, bezichtigte ICE des "Kriegs" gegen die Gemeinde.

"Völlig unnötig"

In der Innenstadt Chicagos sprechen Menschen im Zusammenhang mit der Nationalgarde von "Angstmacherei", einem "düsteren Schleier über der Stadt", dass Soldaten "völlig unnötig" seien - und die USA derzeit ein "Pulverfass". Ob das Militär tatsächlich aufmarschieren wird und wo genau, um Bundesgebäude zu schützen und ICE zu unterstützen, ist nicht klar. Die Stadt und der Bundesstaat haben Klagen dagegen eingereicht, das Gerichtsurteil steht aus.

Sollte eine Entscheidung gegen Trump fallen, ist vieles möglich - auch, dass auf sein Geheiß das "Kriegsministerium" die Nationalgardisten trotzdem auf die Straßen schickt. Trump könnte dies mit dem "Insurrection Act" begründen, der ihm im Fall eines Aufstands gegen die öffentliche Ordnung nahezu komplette Befugnisse für den Einsatz der Nationalgarde gibt. Das Weiße Haus sei sich jedoch sicher, dass es die juristische Auseinandersetzung gewinnen wird, berichtet "Politico".

Doch wie so häufig verwischen in den Äußerungen der Regierung die Grenzen zwischen drei Dingen. Erstens: der Widerstand gegen Abschiebungen, Razzien und Vorgehensweise von ICE, dessen Einsatzkräfte häufig vermummt und brutal vorgehen. "Sie treten die Rechte der Menschen mit Füßen", sagt Pritzker. "Sie holen die Leute aus ihren Häusern. Sie verlangen von ihnen den Nachweis ihrer Staatsbürgerschaft, weil sie braun oder schwarz sind."

Zweitens: die Migration in die USA und Menschen ohne gültige Aufenthaltserlaubnis im Land, rund 14 Millionen sollen es sein. Betroffene versuchen, sich zu behelfen, etwa seit April mit einer Karten-App "ICEBlock". Teilnehmer gaben, wo sie die Einwanderungsbehörde gesichtet hatten, und konnten ihren Einsatzkräften so besser aus dem Weg gehen. Doch Apple hat die App nun blockiert - das Justizministerium hatte Druck gemacht. "Wir haben gefordert, dass die ICEBlock-App entfernt wird", sagte Justizministerin Pam Bondi.

Drittens: die allgemeine Kriminalität, die in Chicago zwar hoch ist, aber seit Jahren wieder abnimmt. Im August sagten 81 Prozent der US-Amerikaner, Kriminalität sei ein riesiges Problem in Großstädten des Landes. Doch die Einigkeit der Menschen ist schnell vorbei, wenn es um den Einsatz des Militärs im Innern geht: Nur 37 Prozent sind unter Umständen dafür, auch wenn der Gouverneur des betroffenen Bundesstaates dagegen ist. Unter Demokraten sind es 13 Prozent, unter Republikanern 70 Prozent.

"Hände weg"

Am Mittwochabend versammelten sich rund 1000 Menschen nahezu aller Altersgruppen im Zentrum zum "Notfallprotest" gegen die Einwanderungsbehörde und eine mögliche Militarisierung. Hinter dem Banner "Kein Trump - Keine Truppen" (No Trump, No Troops) liefen sie durch die Innenstadt, auf Schildern stand "ICE raus", "Hände weg". Sie riefen "Chicago bringt dich zu Fall" in Richtung des Präsidenten.

Ein paar Stunden davor sitzt Trump im weit entfernten Washington an langen Tischen mit ein paar Ministern, rechten Influencern und Journalisten zusammen und redet über linken Widerstand. "Die Antifa (...) und andere Linksextremisten führen eine Kampagne der Gewalt gegen ICE-Agenten und andere Beamte durch", behauptet er. "Alles, was wir tun, ist völlig legal. Was sie tun, ist nicht rechtmäßig." Seine Regierung werde gegen alle vorgehen, die sie finanzieren und unterstützen, droht er. "Wir haben bereits viele Dokumente, viele Überraschungen, viele böse Überraschungen."

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