Deutschland soll wieder einen Wehrdienst bekommen, der im Falle eines Falles zur Wehrpflicht ausgebaut werden kann. Doch wie genau? Darüber haben die Fraktionen von Union und SPD noch Redebedarf. Vor allem ein Punkt ist nur schwer lösbar.
Wer diese Woche in die Tagesordnung des Bundestages schaut, könnte Phantomschmerzen bekommen. Etwas fehlt: Der Gesetzentwurf für den neuen Wehrdienst hat keinen Platz im Sitzungskalender gefunden. Erst nächste Woche sollen sich die Abgeordneten damit im Plenum beschäftigen. Dann steht die erste Lesung an. Eigentlich sollte sie diese Woche stattfinden.
Was ist da los? Gibt es wieder Ärger? Es wäre nicht das erste Mal, dass das Thema Probleme macht. Einer, der damit zu tun hat, ist Stefan Bilger. Am Morgen gibt sich der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der CDU große Mühe, die Sache herunterzuspielen. "Wir besprechen jede Woche die Tagesordnung", sagt er vor Journalisten in Berlin. Gemeinsam mit der SPD werde "der richtige Zeitpunkt für ein Thema definiert". Und da fiel die Wahl eben auf die kommende Woche. Keine große Sache.
Oder doch? Der Verteidigungsminister hat auf die Verschiebung ziemlich heftig reagiert. "Fahrlässig" nannte Boris Pistorius vergangene Woche die Entscheidung und meinte das "Verhalten der Unionsfraktion". Die Einführung des neuen Wehrdienstes und damit auch die Wiedereinführung der Wehrerfassung könne sich dadurch verzögern, klagte er gegenüber dem "Handelsblatt".
Und wenn nicht?
Der Gesetzentwurf sieht vor, allen jungen Männern eines Jahrgangs einen Fragebogen vorzulegen. Zentrale Frage dabei: Wollen Sie zur Bundeswehr? Die Befragten dürfen auch "Nein" ankreuzen. Wer "Ja" sagt, soll laut dem neuen Gesetz als Wehrdienstleistender Vorteile erhalten: mehr Geld und kostenlose Bahnfahrten. So sollen mehr junge Menschen vom Dienst überzeugt werden. Bis 2029 will die Bundeswehr auf 260.000 Uniformierte anwachsen - auf freiwilliger Basis. Derzeit sind es 183.000.
Und wenn das nicht gelingt? Dann war es das mit der Freiwilligkeit, dann soll die Wehrpflicht wieder eingeführt werden - übrigens nur für Männer, weil das Grundgesetz es nur erlebt, Männer zum Wehrdienst einzuziehen. Für eine Änderung erfordert eine Zwei-Drittel-Mehrheit und die hat die Koalition nicht. Doch an diesem Punkt endet die Einigkeit von Union und SPD. CDU und CSU sehen Nachbesserungsbedarf beim Gesetzentwurf. Sie wollen klare Zahlen und Zeitpunkte, ab wann die Wehrpflicht greifen soll. Alles andere ist aus ihrer Sicht fahrlässig.
Am lautesten übte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder Kritik. Eine "Wischi-Waschi-Wehrpflicht" reiche nicht, tönte der CSU-Chef am Wochenende. Auch der Wehrbeauftragte der Bundesregierung, Henning Otte, äußerte sich in diese Richtung: "Es mag zwar grundsätzlich löblich sein, auf Freiwilligkeit zu setzen, allerdings gibt es erhebliche Zweifel daran, ob dies wirklich gelingen kann und auch der Lage angemessen sind", sagte der CDU-Politiker der "Rheinischen Post".
Auch schon bevor das Kabinett den Gesetzentwurf im Sommer verabschiedete, gab es Reibereien. Außenminister Johann Wadephul hatte einen Ministervorbehalt aus denselben Gründen geäußert. Den zog er zwar kurz darauf zurück, doch die Kritik war deutlich geworden.
Jusos wollen keine Wehrpflicht
So sehr sich Söder in Positur wirft, in der SPD können sie das auch, nur in die andere Richtung. Das ließ sich beim Parteitag Ende Juni beobachten. Dort verhandelte Pistorius stundenlang mit der Parteilinken über die Parteilinie zur Wehrpflicht. Besonders die Jusos waren gegen eine echte Pflicht beim Wehrdienst.
Die Kompromisslinie hörte sich dann so an: "Wir wollen keine aktivierbare gesetzliche Möglichkeit zur Heranziehung Wehrpflichtiger, bevor nicht alle Maßnahmen zur freiwilligen Steigerung ausgeschöpft sind. Maßnahmen zur Musterung, Erfassung und Wehrüberwachung wehrpflichtiger junger Männer wollen wir ermöglichen", wie es in einem Parteitagsbeschluss heißt. Der Parteitag zeigte es deutlich: Das, was im Gesetzentwurf steht, ist für die SPD bereits ziemlich nah an der Schmerzgrenze.
Zumal Juso-Chef Philipp Türmer anschließend bei ntv sagte, wie er diesen Beschluss versteht: "Am Ende haben wir uns darauf geeinigt, dass es keinen Mechanismus geben wird, um junge Menschen zwangsweise für die Bundeswehr einzuziehen, sondern dass wir voll auf Freiwilligkeit setzen." Das aber bleibt hinter dem tatsächlichen Beschluss zurück. Pistorius setzt derweil auf Optimismus. Er gibt sich stets überzeugt, dass es mit der Freiwilligkeit schon klappen werde.
CDU-Politiker Bilger sagt nun, seit dem Treffen von SPD und Union in Würzburg liefen Gespräche zwischen den Parteien über den Gesetzentwurf. Dabei geht es ihm zufolge um mehr als Stichtage und Zahlenziele, doch sie bleiben der Knackpunkt. Ohne feste Zahlen und Zeitpunkte bleibt die Regelung schwammig. Die SPD könnte immer wieder sagen: "Lasst es uns noch ein wenig länger mit Freiwilligkeit versuchen."
Die Frage ist, ob die Unionsfraktion im Bundestag einer "Wischi-Waschi-Wehrpflicht" zustimmt. Klar ist: Stimmt sie nicht zu, wäre es aus mit dem Koalitionsfrieden. Doch das wäre das Ampel-Gespenst, das alle in der Koalition fürchten. Offenen Streit wollen alle vermeiden. Immerhin, im Koalitionsvertrag steht lediglich, man wolle einen neuen Wehrdienst schaffen, der "zunächst" auf Freiwilligkeit basiere. Konkreter wird es auch da nicht.
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