Nach knapp einem Monat im Amt tritt Frankreichs Premierminister Lecornu zurück. Präsident Macron steht nun massiv unter Druck: Die linkspopulistische Opposition fordert seine Absetzung, von rechts wird der Ruf nach Neuwahlen laut.

Angesichts des überraschenden Rücktritts des französischen Premierministers Sébastien Lecornu haben Oppositionsparteien aus beiden Lagern zu Neuwahlen bis hin zu einer Absetzung von Präsident Emmanuel Macron aufgerufen. "Wir fordern die sofortige Debatte über unseren Antrag auf die Absetzung von Macron", erklärte der linkspopulistische Parteichef Jean-Luc Mélenchon. "Der Countdown läuft. Macron muss gehen", betonte zudem die Fraktionschefin der linkspopulistischen Partei La France Insoumise Mathilde Panot.

Die Sozialisten gaben sich zunächst zurückhaltender. "Wir haben nie die Auflösung oder den Rücktritt des Präsidenten gefordert, (...) aber jetzt muss der Präsident sich die Frage stellen, wie er den Erwartungen der Französinnen und Franzosen entspricht", sagte der sozialistische Fraktionschef Boris Vallaud.

Die Rechtspopulisten fordern eine Entscheidung des Präsidenten: "Macron muss wählen: Auflösung des Parlaments oder Rücktritt", hieß es von der Partei Rassemblement National (RN) auf X. "Es kann keine Stabilität ohne Neuwahlen geben", betonte RN-Parteichef Jordan Bardella. Marine Le Pen, Fraktionschefin von Frankreichs Rechtsnationalen, sprach sich ebenfalls für Neuwahlen aus: "Wir sind am Ende des Weges angekommen", sagte sie. "Die Franzosen sind diese Situation satt." Neuwahlen seien der einzige Weg.

Rücktrittsrufe kamen auch aus der zweiten Reihe der konservativen Republikaner. "Es liegt im Interesse Frankreichs, dass Macron zurücktritt, um die Institutionen zu schützen", schrieb der Bürgermeister von Cannes, David Lisnard.

Macron steht unter Druck

Lecornu hatte nur etwa zwölf Stunden nach der Vorstellung seiner neuen Regierung überraschend seinen Rücktritt eingereicht. Er selbst war erst seit knapp einem Monat im Amt gewesen. Zuvor hatten die rechtskonservativen Republikaner mit einem Rückzug ihrer Minister gedroht. Zudem hatten mehrere Oppositionsparteien bereits einen erneuten Regierungssturz in Aussicht gestellt.

Frankreich befindet sich nun in einer schweren politischen Krise, die Präsident Macron massiv unter Druck setzt. Konkret bleiben ihm drei Möglichkeiten: die Ernennung eines weiteren, vierten Premierministers binnen eines Jahres, die Ausrufung von Neuwahlen zum Parlament oder sein eigener Rücktritt.

"Die letzten beiden Optionen würde die Rechtsaußen-Partei von Marine Le Pen an die Macht bringen", meint Mujtaba Rahman von der Denkfabrik Eurasia. Daher sei es am wahrscheinlichsten, dass Macron erneut einen Premierminister suchen werde, der den Sparhaushalt für das kommende Jahr durch die gespaltene Nationalversammlung bringen soll, fügt er hinzu.

An möglichen Kandidaten mangelt es

Kandidaten für diesen Job - und eine neue Regierungsmannschaft - dürften aber allmählich knapp werden. Nach den vorgezogenen Neuwahlen im vergangenen Jahr hatte Macron sich geweigert, das Amt des Premierministers dem linksgrünen Lager anzubieten, dessen Wahlbündnis auf den ersten Platz gekommen war. Dies hätte politischen Gepflogenheiten entsprochen, aber der Präsident ist bei der Wahl seines Regierungschefs vollkommen frei.

Drei Mal hintereinander suchte Macron einen Vertreter seines eigenen Mitte-Rechts-Lagers aus: erst den Konservativen Michel Barnier, dann den in einen Missbrauchsskandal verwickelten François Bayrou und schließlich den diskreten, ihm sehr nahe stehenden Verteidigungsminister Lecornu.

Keinem von ihnen gelang es, einen Haushaltskompromiss bei den zerstrittenen Parteien in der Nationalversammlung zu finden, obwohl das Regierungslager keine Mehrheit im Parlament hat. Zuletzt löste Bayrou mit seinen geplanten Einsparungen in Höhe von 44 Milliarden Euro eine Protestwelle aus - die dann seinen Nachfolger traf, obwohl dieser noch gar keine konkreten Vorschläge gemacht hatte.

Bisher löste er sein Versprechen nicht ein

Macron war mit dem Versprechen angetreten, die Spaltung der politischen Landschaft in Frankreich in ein rechtes, ein linkes und ein Lager in der Mitte zu überwinden. Eingelöst hat er es bisher nicht. Inzwischen hat Macron die erste Hälfte seines zweiten und letzten Mandats überschritten, und in den beiden Oppositionslagern schreitet die Radikalisierung voran. "Seine Bewegung, aus der nie eine richtige Partei wurde, zerfällt zusehends in ihre ursprünglichen linken und rechten Einzelteile", analysiert Jacob Ross von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.

Unterdessen spitzt sich auch die wirtschaftliche Lage Frankreichs zu: Sowohl die Verschuldung in Höhe von 115 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und das Defizit in Höhe von 5,8 Prozent nähern sich jeweils dem Doppelten der EU-Grenzwerte. Die Wählerschaft hat längst das Vertrauen in Macron verloren. Ende September hielten 78 Prozent der Franzosen laut einer Umfrage Macron für einen schlechten Präsidenten.

An der Spitze der Beliebtheitsskala stehen gleich zwei Vertreter des Rechtspopulismus: Le Pen und Bardella. Die Rechtspopulisten fordern seit langem Neuwahlen - und zeigen sich bereit, das Mandat von Le Pen dafür zu opfern. Diese war wegen der Veruntreuung von EU-Geldern zur Nichtwählbarkeit verurteilt worden. Sollten sie die Neuwahlen klar gewinnen, könnte Macron sich gezwungen sehen, Bardella zum Regierungschef zu ernennen. Dieser würde sich vermutlich für eine Amnestie für Le Pen einsetzen - und ihr letztlich den Weg zum vierten Anlauf für eine Präsidentschaftskandidatur freiräumen.

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