Die Bundeswehr müsse gestärkt und „in vollem Umfang wieder in die Lage versetzt werden, ihre Aufgaben wirkungsvoll und nachhaltig zu erfüllen“, heißt es im Grundsatzprogramm der AfD aus dem Jahr 2016. Im Programm für die Landtagswahl in Sachsen im vergangenen Jahr forderte die AfD, die „Verteidigungsfähigkeit unserer Heimat“ gegen „äußere und innere Bedrohungen“ zu erhalten. Und im Bundestagswahlprogramm aus diesem Jahr war die Rede davon, die Bundeswehr müsse „ideell revitalisiert“ und die Wehrpflicht wieder eingesetzt werden.
Mit allen drei Programmen ist ein Beschluss des Kreistags Görlitz nicht vereinbar, der am Mittwochnachmittag nur aufgrund der Stimmen der AfD eine Mehrheit fand. In dem östlichsten Landkreis Deutschlands gilt künftig ein Werbeverbot für die Bundeswehr. „In den Gebäuden, Einrichtungen, Unternehmen und auf den Fahrzeugen des Landkreises sowie auf allen sonstigen Präsentationsflächen im Verantwortungsbereich des Landkreises wird auf Werbung für Militärdienst und Rüstungsprodukte verzichtet“, heißt es in dem vom Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) eingebrachten Antrag. „Gleiches gilt für Veranstaltungen, die durch die Landkreisverwaltung oder landkreiseigene Unternehmen organisiert, durchgeführt oder unterstützt werden.“
Konfliktlösungen könnten „nicht durch Aufrüstung oder Militarisierung, sondern durch Dialog, Kooperation und gegenseitigen Respekt erreicht werden“, heißt es weiter. Werbung für den Militärdienst oder für Rüstungsprodukte stehe „im Widerspruch zu den Prinzipien einer auf Frieden und Verständigung ausgerichteten Politik“. Aus der AfD-Fraktion stimmten 20 Mitglieder zu, zwei enthielten sich, eines stimmte dagegen. „Unsere Kreisräte sollten nach ihrem Gewissen und im Interesse unserer Wähler entscheiden“, sagte der Görlitzer AfD-Fraktionschef Hajo Exner WELT. Exner ist zudem Abgeordneter im sächsischen Landtag.
Neben AfD und BSW stimmten auch die neonazistisch geprägte rechtsextreme Partei Freie Sachsen sowie ein Mitglied der Linkspartei für den Antrag „Landkreis des Friedens – Verzicht auf Werbung für Militärdienst und Rüstungsprodukte“. CDU, Grüne und Freie Wähler stimmten dagegen. Landrat Stephan Meyer (CDU) kritisierte die Entscheidung deutlich. Die Bundeswehr sei ein wichtiger Arbeitgeber im Landkreis Görlitz, sagte er. „Das ist für die Soldaten und Zivilbeschäftigten ein Schlag in die Magengrube.“
Der neurechte Vordenker Benedikt Kaiser, Mitarbeiter des AfD-Bundestagsabgeordneten Robert Teske, begrüßte den Beschluss. „Man mag die Argumente des BSW im Antrag ideologisch wie rhetorisch zu pazifistisch finden; was aber in Zeiten der Eskalationspolitik zählt, ist ein volksverbundener Standpunkt, der 2025 kaum ein westlerischer sein kann“, postete Kaiser auf seinem Telegram-Kanal. Eine „Stärkung von Rüstung und Wehrpolitik“ würde „nur jenen Kräften nutzen“, die „noch mehr Engagement für Selenskyj und Co. einfordern“. Kaiser ordnete den Beschluss zudem als Hinweis für einen Fall der „Brandmauer“ ein.
Aus der AfD-Bundestagsfraktion wird das Votum der Görlitzer Parteifreunde hingegen scharf kritisiert. Der verteidigungspolitische Sprecher der Fraktion, Rüdiger Lucassen, sagte WELT: „Für das Abstimmungsergebnis der Kommunalkollegen aus Görlitz habe ich überhaupt kein Verständnis. Auch für Ostsachsen sind Beschlüsse der Bundespartei bindend.“ Die AfD stehe für die innere und äußere Sicherheit sowie für eine starke Bundeswehr und habe sich erst im Dezember 2024 mit großer Mehrheit für eine Wehrpflicht ausgesprochen, sagte Lucassen weiter. „Dieses eindeutige Votum verpflichtet jeden Mandatsträger unserer Partei, zum wohlfeilen Friedensgequatsche der linken Parteien Abstand zu halten.“
In der genannten Mitgliederbefragung hatten 71,5 Prozent der Teilnehmer für eine Wiedereinsetzung der Wehrpflicht im AfD-Bundestagswahlprogramm gestimmt. Co-Parteichef Tino Chrupalla hatte kurz zuvor im WELT-Interview begründet, warum er in der Bundesprogrammkommission für die Streichung der Forderung gestimmt hatte. Es entstehe der Eindruck, „man wolle die Wehrpflicht einführen, um die jungen Leute an die Front des Ukraine-Kriegs zu schicken“, sagte er damals. „Meine Söhne gebe ich definitiv nicht für die Ukraine her.“
Chrupalla ist neben seinem Amt als Partei- und Bundestagsfraktions-Vorsitzender Mitglied im Kreistag Görlitz. Der Abstimmung am Mittwochnachmittag blieb er allerdings fern. Nach WELT-Informationen nahm der 50-Jährige am Mittwochabend an einer Buchvorstellung mit dem AfD-Ehrenvorsitzenden Alexander Gauland in der Bibliothek des Konservatismus in Berlin teil. Auf WELT-Anfrage wollte sich Chrupalla nicht dazu äußern, wie er das Abstimmungsverhalten seiner Fraktionskollegen bewertet.
Seit 2023 hatte sich Chrupalla entgegen der Mehrheit der Bundestagsfraktion mehrfach gegen eine Wehrpflicht zum aktuellen Zeitpunkt ausgesprochen. Im Juli dieses Jahres sprach sich die Bundestagsfraktion erneut für eine Wiedereinsetzung aus und nahm sie in ein Positionspapier auf, das von Chrupalla vorgestellt wurde. Von der Forderung habe ihn „niemand überzeugen“ müssen, behauptete er auf WELT-Nachfrage bei einer Pressekonferenz.
Im Februar dieses Jahres hatte bereits der Stadtrat in Zwickau ein Werbeverbot für die Bundeswehr beschlossen – ebenfalls mit den Stimmen von AfD, BSW und Freien Sachsen. Die Kommunalaufsicht entschied dann allerdings, dass der Beschluss gegen geltendes Recht verstoße und der Stadtrat seine Kompetenzen überschritten habe. Die Begründung: Die Bundeswehr erfülle verfassungsrechtlich definierte Aufgaben.
„Für eine Benachteiligung der Bundeswehr gegenüber anderen Arbeitgebern auf Werbeflächen oder Veranstaltungen fehlt es an einer verfassungsrechtlich tragfähigen Grundlage“, hieß es damals vom Landratsamt. Im April zog der Zwickauer Stadtrat das Werbeverbot daher wieder zurück.
Politikredakteur Frederik Schindler berichtet für WELT über die AfD, Islamismus, Antisemitismus und Justiz-Themen. Zweiwöchentlich erscheint seine Kolumne „Gegenrede“. Im September erschien im Herder-Verlag sein Buch über den AfD-Politiker Björn Höcke. Einen Auszug können Sie hier lesen, das Vorwort von Robin Alexander hier.
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