An Tagen, an denen das Landgericht Hamburg im Block-Prozess verhandelt, erscheint morgens ein „Gespenst“ auf den Fluren des Gerichtsgebäudes. Es trägt dunkle Jeans, einen schwarzen Kapuzenpullover, eine Mütze und hat das Gesicht tief in einen Schal vergraben. Die Augen liegen hinter einer Sonnenbrille verborgen.
Der Mann, der sich so auffällig verkleidet, war mal ein ranghoher Beamter des Landeskriminalamts (LKA) und zeitweise Chef der Zielfahndung in seiner Behörde. Er heißt Andreas P., ist ehemaliger Kriminalrat und war der Öffentlichkeit einmal sehr zugetan. Im Jahre 2002 etwa ließ sich der Verbrecher-Fänger in WELT AM SONNTAG so zitieren: „Unsere Erfolgsquote in der Fahndung liegt bei zurzeit 96 Prozent.“ Das Motto der Abteilung: Wir kriegen sie alle.
Das ist lange her, Andreas P. hat den Polizeidienst schon vor Jahren verlassen, gründete 2008 die Sicherheitsfirma Caperium – und hat bei seiner Arbeit nach Ansicht der Hamburger Staatsanwaltschaft die Grenze zu strafbaren Handlungen überschritten. Der Unternehmer soll bei der Entführung der Block-Kinder geholfen und die Rückkehr von Klara und Theo nach Hamburg Anfang 2024 abgesichert haben.
Es ist das Mammut-Verfahren des Jahres: Die Staatsanwaltschaft wirft Christina Block vor, die Entführung ihrer Kinder aus Dänemark beauftragt zu haben. Dort lebten sie seit Ende August 2021 bei ihrem Vater Stephan Hensel, weil sie nach einem Wochenende bei ihm nicht zu ihrer Mutter zurückkehren wollten. Block erwirkte im Oktober 2021 zwar einen Beschluss beim Hanseatischen Oberlandesgericht, nach dem Hensel die Kinder herauszugeben hatte, doch die Dänen setzten den Beschluss nicht um. So saß die Mutter mit einem wertlosen Urteil zu Hause und nahm der Anklage zufolge das Recht selbst in die Hand und beauftragte mehrere Sicherheitsunternehmen mit der „Rückführung“ der Kinder.
Andreas P. soll dabei mitgemacht haben, er sitzt mit sechs weiteren Beschuldigten auf der Anklagebank. Der einstige Elite-Ermittler bestreitet die Vorwürfe. Er ist nicht der einzige frühere Staatsdiener, der in die Privatwirtschaft gewechselt ist und Probleme mit den Behörden bekommen hat. In der vergangenen Woche durchsuchte die Staatsanwaltschaft Hamburg Büroräume beim ehemaligen BND-Chef August Hanning und seinem Kompagnon Thorsten Mehles. Der galt einst als Wunderkind des Hamburger LKA: jüngster Kriminaldirektor der Behörde, Leiter der Dienststelle Interne Ermittlungen und Leiter der Abteilung Organisierte Kriminalität im LKA.
Vom BND in die Sicherheitsbranche
Im Jahr 2002 verließ Mehles das Amt, heuerte kurz beim BND an, von dem er sich nach einem halben Jahr auch wieder verabschiedete und sich bei der Sicherheitsfirma Prevent betätigte. Dort geriet er kurz in Verdacht, einem Mitarbeiter der ehemaligen HSH Nordbank in New York Dateien mit kinderpornografischen Darstellungen untergeschoben zu haben, um den Mann fertig zu machen. Die Staatsanwaltschaft Hamburg stellte das Ermittlungsverfahren aber mangels Tatverdacht ein: Den Vorgang gab es zwar, aber Mehles konnten sie nicht damit in Verbindung bringen. Prevent ging kurz darauf pleite.
Nun führen Hanning und Mehles die Sicherheitsfirma System 360 (Wahlspruch: „Wenn plötzlich alle schweigen, hören wir ganz genau hin“). Und die steht jetzt im Fokus der Ermittler. Die Staatsanwaltschaft prüft, ob die beiden im Jahr 2022 gegen Zahlung von mehr als 100.000 Euro den Auftrag von Christina Block angenommen haben, ihre Kinder, die beim Ex-Mann in Dänemark lebten, bereits im November 2022 zu entführen. Dabei handelt es sich um den im Prozess genannten ersten, fehlgeschlagenen Entführungsversuch. Zur Tat sei es nur deshalb nicht gekommen, weil Hensel rechtzeitig verdächtige Personen an seinem Wohnhaus bemerkt hatte und die dänische Polizei informierte. Die Agenten flogen auf.
Außerdem erhebt die Ermittlungsbehörde einen Vorwurf, dem Mehles schon einmal begegnete: Die Beschuldigten sollen zusammen mit Block und den Verantwortlichen einer israelischen Sicherheitsfirma geplant haben, Hensel Filme unterzuschieben, die sexualisierte Gewalt an Kindern zeigt, um ihn dadurch zu diskreditieren.
Die Staatsanwälte ermitteln ebenfalls, ob und inwieweit Mehles und Hanning selbst an der Entführung der beiden Kinder in der Silvesternacht beteiligt waren. Mehles’ Anwalt, der renommierte Hamburger Strafverteidiger Leon Kruse, weist sämtliche Vorwürfe jedoch zurück: „Mein Mandant ist unschuldig, die Durchsuchung war an sich schon rechtswidrig. An den Beschuldigungen ist nichts dran.“
Wenn Top-Kriminalisten und Nachrichtendienstler den Staatsdienst verlassen, um in die Privatwirtschaft zu wechseln, hat das immer einen Beigeschmack: Es wirkt so wie der allzu schnelle Abgang manches Politikers in den Konzernvorstand, wo sich der Parlamentarier seine Kontakte vergolden lässt und die Karriere als Volksvertreter plötzlich nur noch als Etappe auf dem Weg zum Chefsessel erscheint. Wo früher Beamte streng entlang der Strafprozessordnung ermitteln mussten, um gerichtsfeste Beweise heranzuschaffen, können sie kreativer ermitteln – und lassen sich ihre Arbeit gut bezahlen. Im Hamburger Verfahren geht es auch um Seriosität eines Wirtschaftssegments, das der Nebenkläger Stephan Hensel im Gericht als „sogenannte Sicherheitsunternehmen“ verspottet.
Die Branche boomt. Zu ihr zählen hauptsächlich Wachdienste, die Gebäude- und Objektschutz sowie Pförtnerdienste anbieten. Insgesamt kletterte der Umsatz in Deutschland innerhalb eines Jahrzehnts von sechs Milliarden (2014) auf mehr als 14 Milliarden Euro (2024). Das Statistische Bundesamt schätzte 2019, dass es 849 Detekteien im Land gibt, die 166 Millionen Euro Umsatz erwirtschaften.
Manche Firmen werben geradezu damit, am Rande der Legalität zu operieren. So preist eine Wirtschaftsdetektei Lentz im Internet ihre Dienste bei der „Rückführung von Kindern“ an, auch wenn sie im Ausland leben sollten. Das läuft dann nach Angaben des Unternehmens so ab: Die Privatdetektive „überwachen das Zielobjekt“, analysierten Bewegungsmuster und würden „mit internationalen Kontakten eng zusammen arbeiten, um das Kind zu finden“, heißt es da. Da sei aber nur möglich, wenn sich ein „geeigneter Zugriffspunkt“ finde. Wenn sich das „Zugriffsfenster öffnen“ würde, schnappen sich die Mitarbeiter das Kind und verschwinden wieder.
Bewegungsmuster, Zielobjekt, Zugriff – Begriffe aus der Welt der Sondereinsatzkommandos. Da hilft auch der Hinweis nicht mehr, dass Lentz nur aktiv würde, wenn das „alleinige Sorgerecht ausschließlich beim Mandanten“ liege. Der Fall Block zeigt, dass das Vorgehen auch dann illegal sein könnte.
Vielleicht vertrauten die Auftraggeber deshalb lieber der israelischen Firma Cyber Cupula. Die soll den Plan maßgeblich erdacht und ausgeführt haben. Dafür reisten 2023 mehrere Mitarbeiter aus Tel Aviv an, logierten unter falschen Namen im Hotel „Grand Elysée“ in Hamburg und sollen den Ermittlern zufolge über Monate das Ergreifen und Verschleppen der Kinder geplant haben. Als die Entführer am Neujahrsmorgen zuschlugen, gaben die Kinder später in Vernehmungen an, dass sie „Todesangst“ verspürt hätten.
Es geht allerdings auch anders. Der ehemalige Kriminalpolizist Dieter Langendörfer, der 1996 die Soko um die Entführung des Hamburger Mäzens Jan Philipp Reemtsma leitete, verließ die Polizei ein Jahr später und heuerte bei Volkswagen an. Dort leitete er die Sicherheitsabteilung und trat unter anderem als Verhandlungsleiter auf, wenn in Südamerika Mitarbeiter entführt wurden und freigepresst werden sollten. „Wir haben Menschenleben gerettet und hatten es häufig mit üblen Banden zu tun“, erinnert er sich. Viele Sicherheitsunternehmen sieht der mittlerweile pensionierte Experte kritisch. „Es gibt unheimlich viele Scharlatane auf dem Markt“, hat er beobachtet.
Andreas P. wehrt sich weiterhin vehement gegen die Darstellung der Anklagebehörde, er habe die Entführung abgesichert, indem er das Wohnhaus bei der Ankunft der Kinder bewacht habe. In einer persönlichen Erklärung führte er am 2. September vor Gericht aus, dass er Eugen Block erst 2023 getroffen habe. Bei den Treffen sei es um die Belastung des Großvaters und um Geschenke für die Enkel gegangen. Christina Block habe er nie getroffen, von einer Entführung habe er nie erfahren. Am 2. Januar sei er kurzfristig beauftragt worden, die Grundstücke von Eugen und Christina Block gegen Journalisten zu sichern, wobei er erfahren haben will, dass sich die Kinder in Süddeutschland aufhielten.
Ansonsten, klagt Andreas P., gehe es ihm wirtschaftlich schlecht. Die Geschäfte liefen mies, seitdem das Strafverfahren begonnen habe, sagt er im Gericht. Der Prozess, so der Unternehmer, der Sicherheit verkaufen will, sei für seine Firma „ruinös“.
Chefreporter Per Hinrichs schreibt über Kriminalität, Justiz und weitere Gesellschaftsthemen.
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