Um kurz nach neun Uhr Ortszeit trat António Guterres am Dienstag ans Mikrofon in der Generalversammlung der Vereinten Nationen. „Lassen Sie mich mit zwei Wörtern beginnen, die wir in diesem Saal nicht oft genug sagen konnten: Madame President!“, erklärte der UN-Generalsekretär und drehte sich zu Annalena Baerbock um, erst die fünfte Frau im Amt der Präsidentin der UN-Generalversammlung.

Es sollte einer der wenigen freundlichen Momente einer Generalversammlung sein, die selbst Veteranen des jährlichen New Yorker Treffens selten in einer so bitteren Atmosphäre erlebt hatten. Von der nationalistischen, streckenweise rüden Rede, die US-Präsident Donald Trump zur Eröffnung hielt. Bis zum Auftritt von Israels Premier Benjamin Netanjahu am Freitag, vor der ein großer Teil der Delegierten aus Protest den Saal verließen – die Einigkeit der Vereinten Nationen ist zum 80. Geburtstag an einem Tiefpunkt angekommen.

Just in diesem Moment übernimmt die ehemalige deutsche Außenministerin das Kommando. Baerbock habe bereits festgestellt, dass „Staats- und Regierungschefs der Welt in Schach zu halten vergleichbar ist mit dem Hüten einer Gruppe Kleinkinder, die gerade einen Geburtstagskuchen verspeist hat“, sagt Richard Gowen, UN-Experte der International Crisis Group, WELT. Was durchaus die übliche Lernkurve sei für Präsidenten der Generalversammlung.

Dabei gelang schon der Vorlauf für den neuen Job miserabel. Baerbock nahm der hoch respektierten deutschen Diplomatin Helga Schmid, die bereits auf gepackten Koffern für New York saß, das Spitzenamt in einer Hauruckaktion ab. Es hagelte harsche Kritik von allen Seiten. Das Votum des UN-Plenums Anfang Juni lief ebenfalls nicht wie üblich per Akklamation, sondern auf Antrag Russlands in geheimer Wahl ab. Baerbock bekam sieben Gegenstimmen und 14 Enthaltungen, obwohl es keinen Gegenkandidaten gab.

Häme wegen Instagram-Videos aus New York

Kaum in Manhattan angekommen, inszenierte sich die 44-Jährige per Instagram-Videos, in denen sie Bagels isst und in gelbe Taxis steigt. Was ihr in der Heimat viel Häme einbrachte, aber auch die angestrebte mediale Aufmerksamkeit. Auch bei ihrer ersten offiziellen Ansprache in der Vollversammlung setzte Baerbock auf Emotion. „Tausende Waisenkinder in Gaza irren durch die Trümmer, essen Sand und trinken verseuchtes Wasser“, lautete einer der ersten Sätze.

Ein Versuch, die Kritiker im Saal auf ihre Seite zu ziehen. „Es gibt eine unterschwellige Sorge über ihre früheren Positionen zu Gaza, die im Widerspruch zu den Ansichten der meisten UN-Mitglieder stehen. Baerbock weiß, dass sie sich bei den UN zurückhalten und Kontroversen über Israel vermeiden muss“, erklärt UN-Experte Gowan.

Dass die Ex-Ministerin in der Eröffnungsansprache vor dem US-Präsidenten derart oft über „True Leadership“ sprach, mag als Wink Richtung Trump verstanden werden. Die Kürzung amerikanischer Beiträge wird ihre Amtsführung nicht leichter machen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO steht durch die Streichung aller US-Mittel vor einer finanziellen Katastrophe. Wenn die USA bei Blauhelm-Missionen weiter kürzen, könnten neben der schon gestrichenen Unifil-Mission im Libanon weitere Einsätze entfallen. Dass die Trump-Administration den Vereinten Nationen auf diese Weise den Geldhahn zudreht, und der US-Präsident sich dann bei der Generalversammlung über die mangelnde Leistungsfähigkeit der Organisation mokiert, wird deren Präsidentin schwerlich als Ausweis von Führung werten können.

Trump sparte in seiner Rede derweil nicht mit Seitenhieben. Deutschlands sei „auf einen kranken Weg“ geführt worden, was die Einwanderung und die Energiepolitik betrifft. „Sie wollten grün werden und gingen dabei bankrott!“ Für die wenige Meter hinter Trump sitzende Baerbock mag das einer der Momente dieser New Yorker Woche gewesen sein, in denen sie ihre Mundwinkel besonders stark unter Kontrolle halten musste. Zumal sie kurz vor Trumps Auftritt alle Redner aufgefordert hatte, nur 15 Minuten zu sprechen. Der Republikaner sprach fast eine Stunde. Ihn zu maßregeln, wäre für Baerbock absehbar in einem Eklat geendet.

Neben Trump und den Israel-Kritikern machen die Russen der Deutschen das neue Leben schwer, wie bereits das Votum im Juni belegte. Was auch daran liegen dürfte, dass die Grüne sich von Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine für eine vereinte europäische Front gegen Moskau einsetzte. Bei ihrer Vorstellung als designierte Präsidentin der Generalversammlung hatte der russische UN-Botschafter sie scharf angegriffen und behauptet, die Deutsche sei „stolz auf ihren Großvater, der bei der SS diente“. In Wahrheit war Baerbocks Großvater Waldemar Soldat der Wehrmacht, Belege über eine angebliche SS-Mitgliedschaft sind nicht bekannt. Entsprechend mahnte Baerbock den Russen, er müsse die Geschichte schon korrekt zitieren.

Obwohl Baerbock qua Amt allen UN-Mitgliedern verpflichtet ist, bleibt sie eine Deutsche in der Weltorganisation. Entsprechend den Regularien wird das Gehalt von 13.000 Euro monatlich von der Bundesrepublik bezahlt. So ist es auch bei anderen UN-Offiziellen, die von ihren Heimatländern finanziert werden.

Die Mühen der Ebene

Wenn die Generaldebatte kommende Woche endet und der Pulk aus Manhattan abzieht, stehen Baerbock die Mühen der Ebene bevor. „Sie wird eine Menge wirklich langweiliger Diskussionen über technische Reformen abhalten“, so Gowan. Generalsekretär Guterres habe Vorschläge zur Reform der Organisation vorgelegt, um deren Finanzkrise zu bewältigen. „Aber es wird Aufgabe von Baerbock und ihrem Team sein, die damit verbundener Reformgespräche mit den Mitgliedstaaten zu führen. Das ist mühsam.“

Der UN-Experte sieht einen Höhepunkt in Baerbocks Agenda. „Das Management der Anhörungen jener Kandidaten, die sich für das Amt des nächsten Generalsekretärs bewerben. Das findet im nächsten Frühjahr statt. Baerbock hat die Möglichkeit, die UN dazu zu bewegen, ihre erste Generalsekretärin zu wählen. Das wäre ein Vermächtnis.“

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