Reden bei der UN-Generalversammlung können wie Fernduelle sein. Wenn man es so betrachtet, dann hat Russland bei der Versammlung in diesem Jahr seinen üblichen Trick angewendet: sich selbst als Opfer darzustellen und dann rücksichtslos in den Angriff überzugehen. Deutschland hält mit dem Völkerrecht dagegen. Das Ziel beider Seiten: den globalen Süden gewinnen.
Der russische Außenminister Lawrow, berüchtigt für seine Tiraden, beginnt seine Rede mit der Erinnerung an den Sieg über Nazi-Deutschland vor 80 Jahren und verurteilte anschließend ausführlich Israels „illegale Gewaltanwendung“ in Gaza, wo es „keine Rechtfertigung“ für das Leid der Zivilbevölkerung gebe. Er arbeitete sich an den Angriffen auf den Libanon, den Irak, den Jemen ab, natürlich auch an jenen gegen Russlands Verbündeten Iran und an dem jüngsten israelischen Bombardement gegen Hamas-Anführer in Katar – einem zentralen Verbündeten der USA.
Dann folgte Lawrows übliche Litanei über die Untaten des Westens und seiner Verbündeten. Die Sanktionen gegen sein Land und andere Staaten wie Nordkorea und den Iran seien „Erpressung“ und „ein Instrument des Westens bei der Bekämpfung von internationalen Konkurrenten“. Gerechtigkeit in der Welt könnten allein die von Russland und China dominierten Staatenbünde BRICS und SCO bieten.
Selbst den Kosovo-Krieg 1999 führte Lawrow als Beleg dafür an, dass der Westen schon lange gegen den Geist der Vereinten Nationen verstoße. Denn deren oberstes Prinzip sei die Souveränität und die Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten der Mitgliedstaaten. Diese Auffassung, in der Menschenrechte nicht vorkommen, gehört seit sowjetischen Zeiten zum russischen Grundverständnis internationaler Politik. Sie klingt aber besonders abstrus, wenn Russland zugleich immer wieder den Luftraum europäischer Staaten mit Militärflugzeugen und Drohnen verletzt.
Moskau habe „keinerlei Absichten“, EU- oder Nato-Staaten anzugreifen, erklärt Lawrow am Podium in New York. Vielmehr seien es die Europäer, die schon über einen Angriff etwa gegen die russische Exklave Kaliningrad redeten. „Doch auf jede Aggression gegen mein Land wird es eine entschiedene Antwort geben. Daran sollte bei EU und Nato kein Zweifel bestehen“, erklärt Lawrow. Im Übrigen sei Russland gewillt, über „Sicherheitsgarantien für die Ukraine zu diskutieren“, sofern die Rechte der russischstämmigen Bürger des Landes gewahrt blieben – so, als würden sich die Ukrainer zur Sicherung ihres Territoriums ausgerechnet auf jene Macht verlassen, die ihr Land angegriffen hat.
Wadephul liefert die richtige Entgegnung auf Lawrow
Nach Lawrow sprechen noch die Außenminister Kubas und Bruneis, dann ist Bundesaußenminister Johann Wadephul an der Reihe. Auf die Ukraine geht auch er ein. „Russland führt einen Angriffskrieg gegen seinen souveränen Nachbarn, die Ukraine“, sagt der CDU-Politiker. „Einen Krieg, der die Verachtung für die grundlegendste aller Regeln der UN-Charta demonstriert – dass alle Mitgliedstaaten sich der Gewaltanwendung gegen die territoriale Integrität jedes anderen Staates enthalten.“ Damit liefert er die richtige Entgegnung auf Lawrows Spiel mit dem Begriff der „Nichteinmischung“.
Aber Wadephul erwähnt nicht die Verletzungen des europäischen Luftraums durch Russland in diesen Tagen. Dabei sind erst kurz zuvor Drohnen über Schleswig-Holstein gesichtet worden, seiner Heimat. Der Minister hat in den vergangenen Tagen mit entschlossenen Worten auf Fragen zu diesem Thema reagiert. Aber er hat Abstand gehalten von Forderungen nach Beschuss der eindringenden russischen Flugkörper. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt arbeitet nach einem Bericht der „Bild“ daran, die rechtlichen Grundlagen für scharfe Schüsse auf Drohnen zu schaffen. Wadephul kommentiert die Entwicklung zurückhaltend.
„Wir müssen jetzt die notwendigen rechtlichen und instrumentellen Voraussetzungen dafür schaffen, dass wir derartige Dinge abwehren können“, sagte er vor seiner Rede gegenüber Journalisten. Zuvor hat er schon eine „kraftvolle Antwort“ gefordert, ohne genau zu sagen, was er damit meint. Die russischen Provokationen beendet er damit nicht.
Wadephul kommentiert hier vielleicht auch deshalb nicht die Tagespolitik, weil er Deutschlands Bewerbung um einen nichtständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat stärken will. Deshalb spricht er über die grundlegenden Werte der Staatengemeinschaft. Der Slogan der deutschen Bewerbung lautet: „Justice. Peace. Respect.“ Russland ist einer der fünf ständigen Mitglieder in dem Gremium, es hat deshalb bei Verabschiedungen von Resolutionen ein erweitertes Vetorecht.
Jedes Jahr wird die Hälfte der zehn nichtständigen Mitglieder im Sicherheitsrat neu gewählt, für gewöhnlich sind darunter zwei westeuropäische Staaten, derzeit sind es Dänemark und Griechenland. Neben Deutschland kandidieren Österreich und Portugal für diese beiden Plätze. Gerechtigkeit ist einer der wesentlichen Aspekte der deutschen Bewerbung. Dabei müsse es vor allem um Entwicklungschancen gehen, den Zugang zu grundlegenden Gütern. Das dürfte ebenso als Signal an den globalen Süden gemeint sein wie der Hinweis auf Deutschlands Engagement für den Klimaschutz. Für viele einst sogenannte Entwicklungsländer ist das Klima ein sehr ernstes Thema, weil sie stärker unter Fluten und Ernteausfällen leiden.
Wadephul weist in seiner Rede auf Deutschlands Hilfen für die Palästinenser und besonders für Gaza hin. Wohl, weil er weiß, dass Deutschlands Solidarität mit Israel ein Gegenargument zur deutschen Bewerbung sein kann. Er bekennt sich zum Existenzrecht des Staates Israel, aber auch zur Zwei-Staaten-Lösung. Er erklärt, der Iran dürfe nicht in Besitz von Atomwaffen gelangen, aber er setzt auch nach Wiederinkrafttreten der Sanktionen gegen den Iran auf Verhandlungen. Für eine transparente Demokratie ist der Weg in den Sicherheitsrat deutlich komplizierter. Die Propaganda-erfahrene Diktatur Russland scheint Differenzierungen nicht mehr für nötig zu halten.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke