Nur wenige Jahre nach dem Holocaust und dem Ende des Zweiten Weltkriegs entsteht in Deutschland der Zentralrat der Juden. Zum 75. Jubiläum mahnt Kanzler Merz den Schutz jüdischen Lebens an. Kritik an der israelischen Politik empfindet er als legitim - ein Vorwand für Antisemitismus dürfe sie aber nicht sein.
Der Holocaust lag gerade einmal fünf Jahre zurück, als sich im Jahr 1950 der Zentralrat der Juden in Deutschland gründete. Mit einem Jubiläumsempfang erinnerten rund tausend Gäste aus Politik und Gesellschaft in Berlin an die Gründung vor 75 Jahren. Die Festreden von Bundeskanzler Friedrich Merz und Zentralratspräsident Josef Schuster waren geprägt von aktuellen Sorgen über das Erstarken des Antisemitismus und vom Befremden über den Kurs der derzeitigen israelischen Regierung.
Merz warnte davor, die bisweilen auch berechtigte Kritik an der Politik von Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu gegenüber den Palästinensern als Vorwand für Antisemitismus zu nehmen. "Eine Kritik an der Politik der israelischen Regierung muss möglich, sie kann sogar nötig sein", sagte Merz. "Dissens in der Sache ist keine Illoyalität an unserer Freundschaft."
Weiter sagte der Kanzler: "Unser Land nimmt an der eigenen Seele Schaden, wenn solche Kritik zum Vorwand für Judenhass wird - oder wenn sie gar zur Forderung führt, dass die Bundesrepublik sich von Israel abwenden solle."
Merz will mit Netanjahu-Regierung im Gespräch bleiben
Das deutsche Bekenntnis zur Existenz und zur Sicherheit des Staates Israel sei "ein unverhandelbarer Bestandteil der normativen Fundamente unseres Landes", sagte Merz weiter. "Auch und gerade dann, wenn das Gespräch zwischen den Regierungen an Grenzen kommt, sind wir in Deutschland in der Pflicht, ohne Unterlass um eine gemeinsame Sprache zu ringen, Gemeinsames zu suchen". Er gebe sein "persönliches Versprechen", dass seine Regierung dies tue, sagte Merz.
Merz äußerte sich erneut entsetzt und beschämt über Antisemitismus in Deutschland, der nach dem Terrorangriff auf Israel am 7. Oktober 2023 lauter, offener, unverschämter und gewaltsamer geworden sei. Israelische Restaurants, Orte jüdischen Lebens und jüdischer Erinnerung würden beschmiert und bedroht.
Er richtete einen Appell an die Menschen im Land: Alle seien aufgerufen, für ein Miteinander in Freiheit einzustehen und im Gespräch zu bleiben. "Wir alle sind aufgerufen zur Zivilcourage, wo wir Zeugen werden von Antisemitismus, Rassismus, Diskriminierung."
Schuster: Auch Juden hadern mit Netanjahu
Zentralratspräsident Schuster rief ungeachtet des weit verbreiteten Unmuts über Netanjahus Kurs zum Beistand für Israel auf. "Nicht alle Entscheidungen der Regierung Netanjahu sind für uns nachvollziehbar", sagte Schuster. "Mit den Äußerungen einiger seiner Kabinettsmitglieder hadern auch Juden außerhalb Israels."
Dies dürfe aber "niemals als Rechtfertigung dafür dienen, dass wir uns als Bundesrepublik Deutschland von Israel abwenden oder die Unterstützung reduzieren", sagte Schuster weiter. Deutschland müsse "für die Sicherheit Israels einstehen, unabhängig davon, wie der Regierungschef heißt". Solidarität mit Israel dürfe "nicht relativiert werden", sagte er. "Sie ist keine außenpolitische Option, sondern immer wieder betonter Teil unserer Staatsräson."
Schuster beklagte einen wachsenden Antisemitismus in Deutschland, insbesondere nach dem Angriff der radikalislamischen Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023. "Die Realität zeigt, dass Antisemitismus, der seit jeher an den extremen Rändern verwurzelt ist, bis direkt in die Mitte unserer Gesellschaft vorgedrungen ist", sagte er. Es werde "ungemütlicher für Juden".
Judenhass sei Brückenideologie
Der Antisemitismus zeige sich "nicht nur in seinen gewalttätigen Auswüchsen, sondern zunehmend auch im Alltag", sagte Schuster weiter. "Er richtet sich gegen Juden, aber er bedroht stets die ganze Gesellschaft." Juden seien in dieser Hinsicht "der Seismograf einer Gesellschaft". So sei "der Judenhass heute die Brückenideologie, die die extreme Rechte mit der extremen Linken und dem islamistischen Spektrum verbindet".
Kanzler Merz dankte dem Zentralrat für den Einsatz zur Stärkung der Demokratie. Der Zentralrat sei nach seiner Gründung "schnell zu einer Lebensader der demokratischen Kultur in Deutschland" und zu einem "unersetzbaren Partner der Bundesregierung" geworden, sagte er. "Ich möchte den Jüdinnen und Juden in Deutschland heute sagen: Ohne Sie kann es keine gute Zukunft für die Bundesrepublik geben."
Wenn nun der 75. Jahrestag des Zentralrats gefeiert werde, "dann feiern wir auch das Geschenk, dass Jüdinnen und Juden hier wieder Heimat gefunden haben - trotz aller Widrigkeit, und obwohl der Antisemitismus nie fort war aus Deutschland", sagte Merz. Der Zentralrat leiste seine Arbeit "unter wieder schwierigeren Bedingungen".
Der Zentralrat der Juden in Deutschland wurde am 19. Juli 1950, fünf Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs und der Schoa, in Frankfurt am Main gegründet. Seitdem agiert er als politische, gesellschaftliche und religiöse Vertretung der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland. Unter seinem Dach sind alle jüdischen religiösen Ausrichtungen vertreten.
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