Enthüllungen aus dem Foyer der Macht: Tanzen Saskia Esken und Karin Prien den Rochade-Tango? Wer spielt ein Kinderwunschkonzert im Familienministerium? Und wie ist Dieter Hallervorden plötzlich zum Nahostexperten geworden? Eine Spurensuche zwischen Currywurst, Fensterputz-Pantomime und GroKo-Groteske.
Das wichtigste Accessoire einer vertrauenswürdigen Regierungsviertel-Berichterstatterin ist wachsame Beobachtungsgabe. Unerlässlich ist zusätzlich die Bereitschaft, konsequent in die Dynamiken der gehobenen Bundespolitik einzutauchen. Nur so kann sie authentisch über verborgene Hinterzimmer-Realitäten von "denen da oben" berichten.
Während sich andere Koryphäen der Polit-Kolumnen-Branche nur noch bei den False-Balance-Festspielen von "Markus Lanz" oder "Maischberger" die Klinke in die Hand geben, um sich mit Vordenkern wie Richard David Precht oder Ralf Stegner ein intellektuelles Seifenkistenrennen im Plattitüden-Parcours der Trivialitäten-Olympiade zu liefern, gehe ich noch dahin, wo es wehtut. Wo das politische Leben wirklich spielt. In die Ministerien beispielsweise. Realpolitik statt TV-Studios. Am Puls der Zeit statt im linearen Selbstbeweihräucherungsmodus.
Als volkstümliche Politikbetrieb-Beobachterin weilte ich beispielsweise am Dienstag im Bundesministerium für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Es liegt idyllisch zwischen der Prachtmeile Unter den Linden und der längst selbst zum Politikum gewordenen ehemaligen Mohrenstraße. Diese wurde jüngst endlich in Anton-Wilhelm-Amo-Straße umbenannt, nachdem erste Impulse dazu bereits in den 1990er-Jahren aufkamen. Ein schönes Beispiel dafür, wie schnell und effizient deutsche Politik und Behörden arbeiten. Dort, im Foyer des Familienministeriums, begegne ich Saskia Esken. Sie scheint in Eile - so bleibt mein euphorisches Winken unerwidert und ich stehe mal wieder in einem Raum voller Menschen und sehe aus, als würde ich gerade bei einer Partie Activity den Begriff "Fensterputzen" pantomimisch darstellen.
Ich zittere wie Eskenlaub
Dabei verbindet mich viel mit Saskia Esken. Zu mehreren Gelegenheiten philosophierten wir etwa über pflanzliche Ernährung. Esken zeigte sich angenehm interessiert. Anders übrigens als Olaf Scholz, der sich bei meinem Vorschlag, doch bei Gelegenheit auch mal vegane statt herkömmliche Currywurst zu probieren, weniger verhandlungsbereit zeigte als Sahra Wagenknecht beim Thema "Könnte Wladimir Putin womöglich doch kein geeigneter Kandidat für den Friedensnobelpreis sein?"
Stichwort Sahra Wagenknecht. Als Vorzeigepolitkorrespondentin suche ich selbstredend stets den Kontakt zur politischen Basis. Als ich also am Samstag auf Einladung des erfolgreichsten Podcaster-Ehepaars des Landes, der Premiumpublizisten Jule und Sascha Lobo, mit meinem 20 Monate alten und "Tatütata"-verrückten Sohn Luca den Tag der offenen Tür der Freiwilligen Feuerwehr Prenzlauer Berg besuche, lauert mir am S-Bahnhof Greifswalder Straße eine komplett durcheuphorisierte Wahlkämpferin des Bündnisses Sahra Wagenknecht auf.
Fasziniert von ihrer überschwänglichen Begeisterungsfähigkeit gehe ich zunächst davon aus, sie wolle mir einen Handyvertrag oder ein Zeitungsabo anpreisen. Tatsächlich fordert sie mich jedoch auf, der Kundgebung "Stoppt den Völkermord in Gaza" beizuwohnen, weil ich doch sicher auch endlich etwas gegen Israels Genozid tun wolle. Als ich anrege, ich würde mich an ihrer Stelle zunächst mal um den inhaltlichen Genozid im Parteiprogramm des BSW kümmern, zieht sie ein weiteres Ass aus dem Ärmel: Auch Bausa, Peter Maffay, Dieter Hallervorden und Gabriele Krone-Schmalz würden dort reden. Fraglos ein überzeugendes Argument. Möchte ich mich qualitativ hochwertig, historisch ausgewogen und unabhängig faktenorientiert über Völkermord und Nahostkonflikt informieren, dann sind Peter Maffay und Dieter Hallervorden zweifelsfrei meine Wunschexperten. Palim, Palim.
Prien, Prien nur Du allein...
Aber zurück zum Kernthema: Saskia Esken stürmt also am Dienstag ins Familienministerium, ignoriert mich - und trägt dabei auch noch einen grünen Hosenanzug. Während ich sinniere, wie ich mich bei Saskia Esken als Modeberaterin ins Spiel bringen könnte, kommt mir ein viel wichtigerer Gedanke: Was macht Saskia Esken, demissionierte SPD-Parteivorsitzende, in einem von Karin Prien (CDU) geführten Bundesministerium? Da ist er wieder: der Nukleus journalistischer Präzisionsarbeit. Denn: Bevor man sagen kann, was ist, muss man erst mal fragen, was notwendig ist.
Was also steckt hinter dem Besuch? Als ehemalige Kellnerin, Paketzustellerin, Chauffeurin, Schreibkraft und Straßenmusikerin ist Saskia Esken vielseitig einsatzfähig. Parteiübergreifende Ministerien-Führung ist allerdings selbst in harmonischsten Koalitionen unüblich. Steckt also etwas Größeres hinter Eskens Auftritt im Familienministerium? Haben sich die Regierungshäuptlinge Friedrich Merz und Lars Klingbeil überraschend geeinigt, der etwas ramponierten Imagesituation der Regierungskoalition mit einer spektakulären Ministerinnen-Rochade entgegenzuwirken? Wobei, Sekunde. In Zeiten der Abkehr von kultureller Aneignung: Darf man Häuptling überhaupt noch sagen? Ich frage für Bully Herbig.
Nun ist ein Ministertausch vor Ablauf der Amtszeit keine Seltenheit. Analysiert man die Erfolgsbilanz von Johann Wadephul, Katherina Reiche, Nina Warken oder Bärbel Bas, drängt sich jedoch nicht zwangsläufig das Ergebnis auf, ausgerechnet Karin Prien wäre die erste Ministerin dieser Koalition, die dringend ersetzt werden müsse. Hinzu kommt: Wird ein Ministerium in laufender Legislatur neu besetzt, bleibt es in der Hand der Partei, der es ursprünglich zugeschlagen wurde. Ein Wechsel von CDU auf SPD wäre daher besonders bemerkenswert.
Bittere Erkenntnis im Familienministerium: Das Leben ist kein Kinderwunschkonzert
Bahnt sich hier etwas Epochales an? Und falls ja: Was? Möchte Merz das Bauministerium nach der zuletzt publik gewordenen Schwangerschaft von Verena Hubertz (SPD) an jemanden übergeben, bei dem die Familienplanung abgeschlossen ist? Andreas Scheuer beispielsweise? Interessanter Gedanke, oder? Dabei ist noch nicht mal Halloween. Würde Merz also das Bauministerium in den Schoß der Union zurückholen, müsste er der SPD dafür ein Ausgleichsministerium offerieren. Andererseits: Lars Klingbeil eilt nicht der Ruf voraus, in Saskia-Esken-Fanbettwäsche zu schlafen.
Ich bin überzeugt, die Erklärung für Saskia Eskens Schaulaufen im Familienministerium hat einen anderen Grund. Esken ist aktuell die Vorsitzende des Ausschusses für Bildung, Familie, Frauen, Senioren und Jugend. Eines der signifikantesten Themen ist hier die demografische Schieflage. 2024 gab es in Deutschland doppelt so viele 60. Geburtstage wie Geburten. Man muss kein Volkswirtschafts-Staatsexamen haben, um zu ahnen: Hält dieser Trend an, wird das unserem Renten- und Krankenversicherungssystem nicht guttun.
Eine bedeutende Aufgabe von Esken und dem Familienministerium ist daher: den Geburtenrückgang eindämmen. Dafür muss es wieder attraktiver werden, Kinder in die Welt zu setzen. Ein weiterer zentraler Ankerpunkt ist es, Familien mit Kinderwunsch stärker zu unterstützen. Denn, Fakteneinschub: Zehn bis fünfzehn Prozent aller Paare sind ungewollt kinderlos. Über dieses Tabuthema wird viel zu wenig gesprochen. Im öffentlichen Diskurs wie im Parlament.
Ich bin daher sicher, Saskia Esken war in genau dieser Mission im Familienministerium und hat Karin Prien das gerade erschienene Buch "Das Leben ist kein Kinderwunschkonzert" empfohlen, welches die junge, ambitionierte Nachwuchsautorin Marie von den Benken verfasst hat. Es dokumentiert am hochemotionalen Beispiel ihrer eigenen, acht Jahre langen Reise zwischen Hoffnung, Wartezimmern und Verzweiflung bis zur langersehnten Schwangerschaft, welche Optionen es für Familien mit unerfülltem Kinderwunsch gibt. Ein wertvoller Ratgeber, der zum Standardwerk im Familienministerium werden sollte.
An diesem lebensnahen Beispiel lässt sich gut ablesen, wie wichtig journalistische Detailarbeit ist. Statt einer Ministeriums-Revolution, die unserer Regierung erneut den Anstrich latenter Instabilität verliehen hätte, passiert das Gegenteil: Unser politisches Führungsteam widmet sich endlich Bereichen, die für alle von elementarer Wichtigkeit sind. Und das ist doch eine gute Nachricht. Insofern: Weiter so, GroKo!
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