Russland rüstet seinen Nachwuchs für den Militärdienst, patriotische Erziehung gehört inzwischen zum Schulunterricht. Auch die Sommerferien sind damit gefüllt: Soldaten drillen schon Achtjährige in gut 40.000 Ferienlagern - Training an der Kalaschnikow inklusive.

Sie werfen Granaten statt Bälle. Sie robben mit Waffen durchs Wasser, anstatt baden zu gehen. Sie tragen Tarn- statt Jogginganzüge. In diesem Sommer war für Tausende russische Kinder keine Erholung angesagt, sondern hartes Militärtraining.

Eins dieser patriotischen Ferienlager war im August in der südlichen Region Rostow, nur etwa 100 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt. Dort haben über 80 Jungen und Mädchen von 8 bis 17 Jahren trainiert. "Auf dem Rücken durch den Schlamm und das Wasser robben - das war toll", berichtet eine Teilnehmerin mit gefärbten Strähnen und Tarnflecken-T-Shirt.

"Dieses Camp hat mir geholfen, meine Grenzen auszutesten, erzählt ein Schüler der Don-Kosaken-Militärschule namens Zar Alexander III. "Ich konnte herausfinden, wie stark meine Willenskraft ist." Sein Mitschüler weiß schon, dass er später als Soldat arbeiten will: "Ich möchte meinem Land dienen und dieser Sache bis zum Ende treu bleiben."

Diese "Sache" ist das russische Militär. Das Programm des patriotischen Ferienlagers ähnelt dem einer echten Militärausbildung. Angetrieben von den Trainern kriechen und joggen die Kinder durch den Schlamm des Flusses Don nahe der Millionenstadt Rostow. In den Händen halten sie Fahnen oder Waffen. Manchmal sind es Nachbildungen von Gewehren, manchmal aber auch echte.

Kinder werden von Frontsoldaten trainiert

Die Ausbilder kommen direkt vom Schlachtfeld in der Ukraine. "Einige von ihnen erholen sich nach Verwundungen, andere erhalten Spezialurlaub, um den Kindern etwas beibringen zu können", erzählt einer von ihnen, Dmitry Tishkov. "Wir haben frühere Generationen verloren, weil wir sie nicht an das Militär herangeführt haben. Jetzt wollen wir das ändern und sie zu Patrioten erziehen."

40.000 solcher militärischen Ferienlager hat es diesen Sommer in ganz Russland gegeben, daran haben viereinhalb Millionen Kinder teilgenommen, berichtet die ARD. In den Camps geht es schon lange nicht mehr um Ferienspaß, Sport und Spiel, sondern seit Beginn des Ukraine-Kriegs um Kämpfen, Schießen und Überlebenstraining. Laut Berichten werden historische Schlachten nachgespielt und Manöver abgehalten.

So werden schon kleine Kinder auf den Militärdienst vorbereitet: Zu Marschieren und Hindernislauf kommt eine große Portion patriotische Erziehung. Für Kremlchef Wladimir Putin ist es eine Investition in die Zukunft. Die Kleinen sollen später als Soldaten in Russlands Kriege ziehen.

"Mädchen sollen Nation beschützen"

Neu ist es nicht, dass schon Kinder in Russland mit dem Militär in Berührung kommen. Kadettenschulen haben eine lange Tradition. Es gibt sie seit dem 18. Jahrhundert, doch selten waren die weiterführenden Schulen mit militärischem Drill so begehrt wie heute. Nach dem Abitur streben die Absolventinnen und Absolventen eine Karriere bei Regierung, Polizei, Geheimdienst oder Militär an.

Auf dem Lehrplan stehen neben Schulfächern wie Mathematik, Geografie und Musik auch exzessiver Sportunterricht, der Umgang mit Waffen, Schützenlöcher ausheben oder Überlebenstraining. Wichtig sind neben Disziplin und Gehorsam auch der Wille, dem Staat zu dienen.

Aushängeschild ist die Kadettenschule Nummer 9 in Moskau, ausschließlich für Mädchen. Anfangs habe die Schule nach Bewerberinnen suchen müssen, sagt der stellvertretende Direktor Major Alexey Zhukov bei ntv. "Heute bewerben sich sieben bis acht Schülerinnen auf einen Platz."

In seinem Unterricht zeigt Zhukov den zwölfjährigen Schülerinnen, wie sie Kalaschnikows, Panzerfäuste und Pistolen bedienen müssen. "Wir bilden sie dahingehend aus, dass sie unsere Nation beschützen und dem Staat dienen", sagt der stellvertretende Direktor. "Der Terrorismus ist in der heutigen Zeit allgegenwärtig. Täglich sieht man in den Nachrichten solche Vorfälle in der ganzen Welt. Der Umgang mit Waffen soll sie nicht zu Kriegsmonstern machen, sondern darauf vorbereiten, notfalls ein Gewehr zum Schutz der eigenen Bevölkerung vor Terroristen einzusetzen."

Propaganda vergiftet Kitakinder

Die russische Staatspropaganda beginnt noch viel früher. Seit Anfang September werden bereits im Kindergarten patriotische Werte vermittelt. An den russischen Schulen ist das Fach "Gespräche über Wichtiges" schon seit 2022 Teil des Unterrichts. Damals begann Russland seinen Krieg in der Ukraine.

Die Indoktrination werde zu 100 Prozent funktionieren, glaubt Dima Zicer: Ein Kind bis zum Alter von sechs Jahren glaube den Erwachsenen alles, sagt der im litauischen Exil lebende russische Pädagoge im Deutschlandfunk. "Forscher der Universität Columbia haben herausgefunden, dass die allermeisten Menschen, die in den 1930er- und 40er-Jahren als Fünf oder Sechsjährige der Ideologie der Nazis in Deutschland ausgesetzt waren, sich bis zu ihrem Lebensende nie wieder ganz davon befreien konnten- Aus der Sicht von Diktator Putin und seinen Helfershelfer ist die Indroktrination leider folgerichtig. Sie haben gute Berater."

Schüler bekommen militärische Grundausbildung

Russische Kinder kommen in der Regelschule auch mit Waffen in Berührung: Seit 2023 ist die militärische Grundausbildung Pflicht. Laut dem russischen Exilmedium Meduza lernen die Schüler, wie Kalaschnikows, Handgranaten und Kampfdrohnen funktionieren. Dazu kommen "informationspsychologische Kriegsführung", Drilltraining und militärische Disziplin.

Wie in den Militärcamps unterrichten hier Veteranen aus dem Ukraine-Krieg. Die Soldaten werden in einem speziell eingerichteten Zentrum als Lehrer ausgebildet. Unter ihnen sind verurteilte Mörder, Vergewaltiger und Drogenabhängige.

Auch der restliche Schulunterricht ist voller Propaganda. Im neuen offiziellen Geschichtslehrbuch ist die Geschichte russlandfreundlich umgeschrieben, die Sowjetunion wird verherrlicht. Der russische Einmarsch in der Ukraine wird als "militärischer Sondereinsatz" bezeichnet. Russland sei Opfer einer westlichen Verschwörung, heißt es darin. Ein Ziel des Buches sei die Militarisierung der Jugendlichen, sagt der Politikwissenschaftler Félix Krawatzek im "Spiegel". Man wolle sie auf eine mögliche Zukunft als Soldatin oder Soldat einstimmen.

Putin fördert patriotische Erziehung

Auch die russische Jugendarmee "Junarmija" hat das Ziel, junge Menschen für den Krieg zu begeistern und mit Waffen vertraut zu machen. Sie richtet sich an Kinder und Jugendliche von 8 bis 18 Jahren. Ex-Verteidigungsminister Sergej Schoigu hat die Jugendarmee vor neun Jahren gegründet. Mittlerweile sind dort laut der offiziellen Website 1,85 Millionen junge Menschen aktiv, auch in den annektierten Gebieten der Ukraine.

"Das ist eine Pfadfinderaktion auf militärisch. Da wird marschiert. Die haben eine Art Uniform an, die nehmen Kalaschnikow-Gewehre auseinander, kämpfen, nehmen an patriotischen Aktionen teil", sagt die "Stern"-Reporterin Bettina Sengling bei ntv. "Dort findet eine sehr zielgerichtete patriotische Erziehung statt. Viele dieser Kinder wollen in den Staatsdienst oder zur Armee."

Militärcamps, Waffenkunde, Disziplin - in der Schule, in den Medien und in Jugendorganisationen: An patriotischen Idealen kommen junge Russinnen und Russen nicht vorbei. Putins Ziel sei die Förderung eines umfassenden patriotischen Erziehungsprogramms, analysiert die Bundeszentrale für politische Bildung. Seit Beginn seiner Präsidentschaft 1999 sei das russische Bildungssystem enorm verändert worden. Seit 2001 finanziere die Regierung eine Initiative zur patriotischen Erziehung. Dafür hat der Staat vergangenes Jahr knapp 480 Millionen Euro ausgegeben, zehnmal so viel wie noch vor drei Jahren.

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke