Videos vom luxuriösen Hofgut, in dem Viktor Orbans Familie residiert, gehen online viral. Gedreht hat sie der ungarische Oppositionspolitiker Ákos Hadházy. Der Ausflug sei deprimierend gewesen, sagt er. Und: Indirekt hätten die Steuerzahler in der EU Ungarns Premier sein "Schloss" finanziert.

ntv.de: Sie haben im ungarischen Luxusanwesen Hatvanpuszta, das im Besitz des Vaters von Ungarns Regierungschef Viktor Orban ist, gefilmt. Wie sind sie reingekommen?

Ákos Hadházy: Es war ganz einfach. Es gibt ein Tor am Hintereingang, das offen war. Das Haupttor ist hingegen seit Jahren geschlossen, weil Orban anonym auf das Gelände fahren will. Er möchte, dass wir nicht wissen, wer reingeht. In den letzten Monaten wurde auch ein Zaun vor dem Haupttor gebaut, als Orban gehört hat, dass dort eine Demonstration stattfinden soll. Vom Hintereingang aus kann man das Gelände aber ohne Weiteres betreten. Als ich reingegangen bin, hat niemand mir gesagt, dass es nicht erlaubt ist. Dort angekommen, wollte ich mit dem Besitzer, Orbans Vater Gyözö, sprechen. Ich wollte ihn fragen, wie die Leute das Anwesen erreichen können, da es sich um ein Baudenkmal handelt, auf dem 100 Jahre alte Stelen stehen. Laut dem Gesetz sollten Baudenkmäler für die Öffentlichkeit zugängig sein.

Sie werfen dem ungarischen Ministerpräsidenten Korruption vor. Die Videos vom Anwesen nannten Sie "Orban und seinen Kumpanen", sie wurden auf sozialen Netzwerken Hunderttausende Mal angeklickt. Wer residiert in dem Komplex - nur Vater Gyözö oder auch Viktor Orban selbst?

Orbans Vater ist der offizielle Besitzer, aber in Wirklichkeit wird das Anwesen von Orbans gesamter Familie benutzt. Die Angestellten dort sagen, dass Orbans Frau fast immer dort ist und ihnen sagt, was sie tun sollen. Es kommt nicht selten vor, dass auch andere Angehörige anwesend sind. Wenn Orbans ganze Familie da ist, sind Polizisten im Schloss. Das war nicht der Fall, als ich dort war.

Wie war dieser Ausflug zu dem Anwesen für Sie? Gab es etwas Erstaunliches, das Sie gesehen haben?

Ich habe dort nur gesehen, was ich erwartet habe. Ich bin in den vergangenen Jahren mehrere Male über Hatvanpuszta geflogen, um Luftaufnahmen zu machen. Damals habe ich schon vieles gesehen, außerdem habe ich zuvor Pläne von diesem Gebäude bekommen. Erstaunlich war es deshalb für mich nicht, eher deprimierend. Was mir zum Beispiel auffiel: Ich habe Spielzeug gesehen, zum Beispiel eine Gummi-Ente im Schwimmbad. Das ist ein Hinweis darauf, dass die gesamte Familie Orbans das Schloss nutzt. Auch diesen teuren Park mit Hunderten von Rosen aus der Nähe zu sehen, ist anders als von oben, auf Luftaufnahmen. Und ich konnte durch viele Fenster in die Räume gucken. Ich kann nur sagen: Die Pläne, die ich von den Gebäuden bekommen hatte, entsprechen der Wirklichkeit.

13 Hektar Land umgeben das Anwesen Hatvanpuszta, das einst dem Erzherzog Joseph von Österreich gehörte. 1840 erbaut, diente es der Habsburger Monarchie als Mustergut für die Entwicklung der Landwirtschaft. Wie viel Geld hat Orbans Familie in die Sanierung und den Ausbau gesteckt?

Es gibt seriöse Schätzungen dazu von unabhängigen ungarischen Medien. Demnach hat das alles mindestens 11 Milliarden Forint gekostet, das sind umgerechnet knapp 30 Millionen Euro. Es gibt Leute, die in dem Schloss gearbeitet haben und sagen, dass die Summe höher sein muss. Ich habe Bilder und Videos von der Einrichtung, etwa von teuren und exklusiven Stoffen, die ich noch veröffentlichen werde. Ich habe bereits Videos von dem großen Esszimmer und der Bibliothek veröffentlicht. Darauf ist schon zu erkennen, dass nur sehr edles Holz für die Einrichtung verwendet wurde.

Woher hat Orbans Familie so viel Geld?

Die Familie behauptet, das Geld stamme aus legalen Quellen. Orbans Vater ist ein Steinmetz. Er behauptet, dass er nicht direkt mit dem Staat Geschäfte macht. Dazu muss man wissen, dass Orbans Vater selbst vor 25 Jahren in einem Interview gesagt hat, ein Steinmetz in Ungarn könne ungefähr mit vier bis fünf (?) Prozent Gewinn rechnen. Unabhängige Medien haben aber recherchiert und festgestellt, dass das Unternehmen von Orbans Vater mit 40 bis 50 Prozent Gewinn arbeitet. Durch EU-Subventionen, die nun zum Teil eingefroren sind, konnten sich viele von ihnen an großen Bauprojekten beteiligen. Dadurch konnten einige Firmen 10 oder 20 Prozent Gewinn machen, aber keine 50 Prozent.

Also hat sich Orbans Vater korrupter Methoden bedient?

Recherchen lassen den Schluss zu, dass Orbans Vater die Steine überteuert an den Staat für Projekte verkauft hat. Dafür kann er sich bei seinem Sohn bedanken. Es läuft schon seit Jahren so: In Orbans Regierung bekommen seine Oligarchen und Strohmänner die Aufträge im öffentlichen Beschaffungswesen zugeschustert. Diese Oligarchen kaufen dann die Steine von Orbans Vater für einen Preis, der viel zu hoch ist. Und diese großen Bauprojekte, um die es ging, wurden von der Europäischen Union finanziert. Also kann man sagen: Orbans Schloss wurde von den Steuerzahlern im Rest der EU finanziert.

Hatvanpuszta ist bereits seit Jahren in den Schlagzeilen unabhängiger Medien in Ungarn - als Sinnbild für Orbans Korruption. Schadet das Orbans Ansehen?

Wahrscheinlich. Wenn das nicht der Fall wäre, würde Orban nicht darüber reden. Früher hat er nie darüber geredet, wenn er gefragt wurde. Er hat nur gesagt, man solle sich an seinen Vater wenden. In den vergangenen Monaten hat er aber oft darüber gesprochen und Lügen verbreitet. Er hat etwa behauptet, es handle sich bei Hatvanpuszta um eine sanierungsbedürftige, landwirtschaftliche Farm. Dass Orban jetzt darüber spricht, deutet darauf hin, dass seine Propaganda-Maschinerie durch Umfragen festgestellt hat, dass die Geschichten rund um Hatvanpuszta sogar die Wähler seiner Fidesz-Partei stören. Vermutlich wurde er darauf hingewiesen, in der Öffentlichkeit eine Erklärung für das alles abzugeben.

Sie selbst waren von 2004 bis 2013 Abgeordneter von Orbans Regierungspartei. Inzwischen sitzen Sie als parteiloser Oppositionspolitiker im ungarischen Parlament. Warum haben Sie beschlossen, in die Partei ein- und viele Jahre später wieder auszutreten?

Fidesz hatte sich zwischen 1998 und 2002 noch ganz anders entwickelt. Als die Partei an der Regierung war, hat sie progressive Politik gemacht. Die Sozialisten waren hingegen eine korrupte Partei. Für mich war eindeutig: Wenn ich für meine Heimatstadt Szekszárd etwas verändern möchte, kann ich das nur mit Fidesz machen. Ich wurde dann zum Mitglied des Stadtrats gewählt. Leider musste ich irgendwann erkennen, dass auch Fidesz viele Sachen nicht gut macht. Ich habe mitgeholfen, einen Korruptionsskandal aufzudecken. Ich hatte Belege dafür, dass landesweite Tabakverkaufsrechte auf Grundlage von Parteiverbindungen vergeben und regierungstreue Politiker dabei bevorzugt wurden. Das hat in meiner Stadt viele kleine Geschäfte in den Bankrott getrieben. Diese Form von Korruption gab es nicht nur in Szekszárd, es gab ein System dahinter. Deshalb bin ich ausgetreten.

Auch Peter Magyar war einst Mitglied von Fidesz. Inzwischen ist er der bekannteste Oppositionspolitiker Ungarns und hat die Partei für Respekt und Freiheit gegründet, die sich gegen die autokratischen Methoden Orbans stellt. Hat Magyar bei den nächsten Wahlen 2026 eine Chance gegen Orban?

Die Zahlen aus Umfragen zeigen: Wenn Ungarn eine Demokratie wäre und hier freie und faire Wahlen abgehalten würden, hätte Magyars Partei eine Chance auf den Sieg. Aber bereits die letzten Wahlen 2022 waren nicht frei und fair. Das Regime in Ungarn ist mit jenen in Belarus, Serbien oder der Türkei vergleichbar. Solche Regime schrecken nicht vor Wahlbetrug zurück, wenn sie die Gefahr sehen, zu verlieren. Oder nehmen Sie das Regime in Georgien: Als dort bei den letzten Wahlen Manipulationen nachgewiesen wurden, ist Orban zwei Tage später nach Tiflis geflogen und hat gesagt, dort wäre alles mit rechten Dingen zugegangen.

Wie konnte Orban die ungarischen Wahlen 2022 manipulieren?

Letztes Mal reichte Propaganda dafür aus. Orban investierte 100 Milliarden Forint, umgerechnet mehr als 250 Millionen Euro, in Wahlwerbung. Er hat die staatlichen Medien unter Kontrolle. Das bedeutet, die Opposition kann nicht so viele Leute erreichen. Es gibt noch unabhängige ungarische Medien, aber auch ihre Reichweite ist begrenzt. Es gab Wahlbetrüger von Fidesz, Nachweise dazu gibt es vor allem aus zwei kleinen Dörfern. Außerdem versucht Orban, für Nichtregierungsorganisationen und Oppositionsparteien die Finanzierung zu kappen. Dafür brachte er schon Gesetze auf den Weg. Zuletzt wollte Orban das "Gesetz über die Transparenz des öffentlichen Lebens" im Eilverfahren durch das Parlament jagen. Demnach soll die im Februar 2024 von der Regierung ins Leben gerufene "Behörde zum Schutz der Souveränität" eine Schwarze Liste erstellen mit Einrichtungen, die durch ausländische Finanzierung angeblich "das öffentliche Leben beeinflussen". Damit würden nicht nur Spenden aus dem Ausland, sondern auch aus Ungarn für diese Organisationen unmöglich gemacht.

Was ist daraus geworden?

Angesichts großer Demonstrationen hat das Parlament das Gesetz noch nicht verabschiedet. Aber wir wissen nicht, was damit geschehen wird. Falls Orbans Regierung den Verlust ihrer Macht fürchtet, könnte sie weitere Schritte weg von der Demokratie in Richtung Diktatur machen.

Mit Ákos Hadházy sprach Lea Verstl

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