Als Friedrich Merz hinreichend getan hat, was ein Kanzler und Parteivorsitzender tun muss, um die eigenen Leute hinter sich zu bringen, senkt er die Stimme ein wenig und geht zum kritischeren, auch selbstkritischeren Teil seiner Rede über.
„Ich will Ihnen ganz offen sagen“, sagt der Chef der schwarz-roten Berliner Regierungskoalition, „ich bin mit dem, was wir bis jetzt geschafft haben, nicht zufrieden. Das muss mehr werden. Das muss auch besser werden. Es muss auch in der Kommunikation etwas besser werden. Nur, liebe Freunde, Kommunikation ist nicht alles, schöne Bilder kann ich auch jeden Tag machen. Am Ende des Tages kommt es nicht auf die Verpackung an, sondern am Ende des Tages kommt’s auf den Inhalt an. Und da müssen wir jetzt wieder stärker werden, da müssen wir jetzt wieder besser werden. Und dafür haben wir in diesem Koalitionsvertrag mit den Sozialdemokraten auch die richtigen Wege aufgezeichnet.“
Ende der Durchsage. Nur sehr zögerlich kommt in diesem Moment Applaus auf bei den bis dahin so beifallsfreudigen Delegierten dieses Landesparteitags der Niedersachsen-CDU. Merz trifft in diesem Moment einen stillen Nerv seiner Partei, das Unbehagen, das sich bei den Christdemokraten nach nicht einmal vier Monaten erneuter gemeinsamer Regierungszeit mit der SPD breitgemacht hat. Schaffen wir das? Schafft er das?
Im Wesentlichen ist Merz mit sich im Reinen
Merz, auch das wird klar an diesem Samstagmittag in Osnabrück, ist mit sich selbst, trotz seiner eingestreuten Zweifel, im Wesentlichen im Reinen. Die erste halbe Stunde dieser ersten innenpolitischen Kanzler-Rede nach der außenpolitisch geprägten Sommerpause hat er dazu genutzt, um auf die positiven Seiten des Anfang Mai vollzogenen Regierungswechsels aufmerksam zu machen. Auf die gesunkenen Asylbewerberzahlen, auf den Investitionsbooster, der den Unternehmen erhebliche Steuervorteile verschaffen soll.
Auf die konstruktive, auch treibende Rolle, die Deutschland in der Nato und der EU eingenommen hat. „Ich werde“, sagt Merz, „und wenn es noch so viel Kritik daran gibt, auch in Zukunft nicht nachlassen, mit meinen Kolleginnen und Kollegen in dieser Europäischen Union jede Form der Zusammenarbeit zu suchen, die uns gemeinsam nach vorn bringt – weil ich weiß, es geht nur gemeinsam.“ Außenkanzler bleibt Außenkanzler, und die EU Staatsräson auch unter Friedrich Merz.
Es gibt großen Applaus für diese Passage der Kanzler-Rede in Osnabrück, wo die Niedersachsen-CDU ohnehin einen – gemessen an der eher trüben politischen Stimmung im Land – vergleichsweise optimistischen Landesparteitag abhält. Kritik an der schwarz-roten Koalition wird öffentlich nur in homöopathischen Dosen verabreicht. So mahnt der am Freitagabend mit starken 95,2 Prozent wiedergewählte Landesvorsitzende Sebastian Lechner zwar an, dass es nun „auch mal innenpolitisch etwas vorangehen“ müsse in Deutschland, lobt aber noch im selben Atemzug Merz‘ Missionen als „Friedenskanzler“, der sich „hervorragend“ mache in seinem neuen Amt.
Auch unterhalb der unmittelbaren Führungsebene beweisen die Parteitagsdelegierten Nachsicht mit Schwarz-Rot in Berlin und Merz‘ erstem Kanzler-Quartal. „Es sind schon wirklich zahlreiche Themen des Koalitionsvertrages angeschoben worden, das ist aus meiner Sicht für den Start schon eine ganze Menge“, kommentiert der Stader Landrat Kai Seefried. „Ich finde, dass wir gut gestartet sind. Außenpolitisch macht er eine gute Figur“, lobt Katharina Jensen, Landtagsabgeordnete aus dem Wangerland. Kommunikativ könne man es zwar immer besser machen. „Aber man muss auch ehrlicherweise sagen, dass Friedrich Merz gerade erst Kanzler geworden ist und seine Erfahrungen erst noch machen muss.“
Eine dieser Erfahrungen greift Merz selbst auf in seiner Osnabrücker Rede. Um zum in seiner Partei umstrittenen Thema Waffenlieferungen an Israel zu kommen, nimmt der Kanzler einen etwas längeren Anlauf. Er beklagt, dass es in Teilen der Jugend „furchtbare Bildungslücken, auch Erkenntnislücken über unsere Geschichte“ gebe. „Dass ein ganz großer Teil der 14- bis 29-Jährigen nicht weiß, wie viele Millionen Juden umgebracht worden sind, liebe Freundinnen und Freunde, das kann uns doch keinen Augenblick ruhig lassen. Wenn wir es ernst meinen mit dem, was wir zu Israel sagen, dann müssen unsere Kinder und unsere Enkelkinder wissen, was vor 80 Jahren in Deutschland passiert ist.“
„Nicht teilnehmen an völkerrechtswidrigem Vorgang“
Allerdings, und in diesem Moment drückt Merz das Kreuz durch, heiße Solidarität mit Israel nicht, bedingungslos Ja zu sagen zu allem, was die gegenwärtige Regierung in Jerusalem tue. Deutschland werde – so der Kanzler mit Blick auf seine Entscheidung, keine Waffen mehr an Israel zu liefern, die im Gaza-Streifen eingesetzt werden können – „nicht teilnehmen an einem Vorgang, der mittlerweile außerhalb Israels von fast allen als völkerrechtswidrig eingestuft wird“. Auch für diese Haltung, die in der Union in den vergangenen Wochen als unabgesprochener Kurswechsel wahrgenommen worden war, gibt es Beifall von den CDU-Delegierten. Verhaltenen Beifall zwar, aber immerhin.
Streit mit dem Chef will hier ohnehin niemand. Der Kanzler wird geschont in Osnabrück, auch hinter vorgehaltener Hand. Die unschöne Seite des Bildes, das Schwarz-Rot in diesem Sommer abgegeben hat, wird eher der Bundestagsfraktion, namentlich deren Vorsitzenden Jens Spahn angelastet. Was die Partei verärgert habe, so heißt es auf den Parteitagsfluren, sei der Dilettantismus, mit dem die Fraktionsführung die Wahl der Verfassungsrichter unmittelbar vor der Sommerpause habe platzen lassen. „Das lernt man ja schon im ersten Semester Kommunalpolitik“, so ein Delegierter, „die letzte Aktion vor einer parlamentarischen Sommerpause muss sitzen“. Immerhin, auch das wird angemerkt: Jens Spahn habe seine Lehren aus der verkorksten Richterwahl gezogen. Der Fraktionschef kommuniziere inzwischen deutlich bemühter, umfassender.
Noch eins wird klar an diesem Samstag in der Osnabrückhalle. Die Erwartung, dass die schwarz-rote Koalition das zweite Quartal ihrer Regierungszeit zu umfassenden Reformanstrengungen nutzt, ist riesig in der Union. Sebastian Lechner drückt das in seiner Parteitagsrede so aus: „Wir haben als drittgrößter Landesverband der CDU Deutschlands einfach eine klare Erwartung an den Weg jetzt nach der Sommerpause. Dass wir das, was im Koalitionsvertrag vereinbart wurde, was wir auch als CDU in Niedersachsen miteinander erarbeitet haben, dass das jetzt ruhig, klar, klug und entschieden in Berlin umgesetzt wird“. Union und SPD, so Lechner, müssten jetzt „in der Verantwortungsgemeinschaft eine andere Politik für Deutschland machen“.
Merz kennt diese, auch von seinem Generalsekretär Carsten Linnemann wieder und wieder befeuerte Erwartungshaltung. „Wir wissen“, sagt der Kanzler deshalb auch mit Blick auf die in dieser Sache eher zögerlichen Koalitionspartner, „dass wir noch einige große Brocken vor uns haben“. Merz nennt die Rentenpolitik, die Gesundheitspolitik, die Pflegepolitik. „Ich werde mich durch Worte wie Sozialabbau und Kahlschlag und was da alles kommt, nicht irritieren lassen“, sagt Merz. „Der Sozialstaat, wie wir ihn heute haben, ist mit dem, was wir volkswirtschaftlich leisten, nicht mehr finanzierbar.“
Ein Satz, den der Kanzler in den kommenden Wochen ebenso mit seinem Vizekanzler Lars Klingbeil von der SPD wird diskutieren müssen, wie ein in Osnabrück nicht ganz zu Ende gebrachtes Versprechen zur künftigen Steuerpolitik der schwarz-roten Koalition. „Mit dieser Bundesregierung, unter meiner Führung wird es eine Erhöhung der Einkommensteuer für den Mittelstand …“ – der Rest des Satzes geht im fast schon überschwänglichen Beifall des Parteitags der CDU Niedersachsen unter.
Ulrich Exner ist politischer WELT-Korrespondent und berichtet vor allem aus den norddeutschen Bundesländern.
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