Gegen das überambitionierte Selbstbestimmungsgesetz der Ampel gab und gibt es viele gute Einwände. Aber der groteske Einzel-Missbrauch durch einen verurteilten Rechtsradikalen kann es nicht gleich ganz in Frage stellen. Es muss andere Wege geben.

Neonazi Sven nennt sich jetzt u.a. Svenja. Das hat, so heißt es, 50 Euro Gebühr gekostet und ging bei der zuständigen Behörde in Schkeuditz recht zügig. Unter Anwendung des Selbstbestimmungsgesetzes machte sich ein männlicher Neonazi formal zu einer weiblichen Neonazisse. Wer sich erinnert: Raider heißt jetzt Twix – sonst ändert sich nix?

Womöglich weit gefehlt.

Der umgerubelte Neonazi ist inzwischen nämlich rechtskräftig zu einer Haftstrafe verurteilt und soll sie alsbald antreten: mindestens zu Beginn in einer Vollzugsanstalt für Frauen. Nicht zum ersten Mal werden damit die Befürchtungen wahr, die sich mit dem Gesetz verbanden, seit es 2024 in Kraft trat. Vermutlich ist der Fall der bislang krasseste Missbrauch des Gesetzes, und man darf mutmaßen: Fortsetzung folgt, wenn Svenja aus dem Knast kommt – und sich dann zurück in Sven, den Neonazi, "selbstbestimmt". Man mag es sich nicht vorstellen. Das ist schwer zu ertragen.

Dass sich in einem solchen Moment einige politischen Fragen stellen, liegt auf der Hand. Aber ein Neonazi sollte nicht auch die Antworten geben dürfen. Und schon gar nicht das letzte Wort haben.

Muss das Gesetz nun weg? Auf Seiten der Grünen und FDP, die seinerzeit das Vorhaben maßgeblich betrieben, ist es ziemlich still. Wenn es hingegen nach einigen, auch prominenten, Abgeordneten von CDU/CSU geht: Ja, weg damit. Man hat ja von Anfang an davor gewarnt.

Veränderte Selbstbestimmung schützt nicht vor Abschiebung

Tatsächlich gab und gibt bis heute viele gute Argumente gegen das Gesetz, das die gesellschaftlich gewohnten Grenzen massiv verschoben hat: Die für einen derartigen Schritt vergleichsweise niedrige Altersgrenze wurde kritisiert, zu Recht. Die kurzen Fristen von nur einem Jahr für ein (mögliches) Hin und Her zwischen "männlich" und "weiblich" wurden moniert – und die damit einhergehende Beliebigkeit des biologischen Begriffes von Geschlecht auch. Zu Recht.

Und natürlich die Missbrauchsanfälligkeit, die unterschiedlich hoch in den verschiedenen Bereichen zu veranschlagen ist, aber nirgendwo bei Null liegt: von Freizeit-Orten, geschützten Frauen-Bereichen über Sport bis Strafjustiz. Vor allem im (Leistungs-)Sport wurden die ersten Fälle bekannt, die große Zweifel oder Empörung auslösten: Männer, die sich ab einem bestimmten Zeitpunkt als Frauen lasen und nach einer veränderten Selbstbestimmung Wettkämpfe gegen Frauen gewannen.

Dabei gibt es im deutschen Gesetz durchaus Vorkehrungen gegen Missbrauch oder unerwünschten Gebrauch: Durch veränderte Selbstbestimmung kann sich z.B. kein Mann im Verteidigungsfall rasch noch einer möglichen Wehrpflicht entziehen. Mithilfe einer veränderten Selbstbestimmung kann man sich auch nicht einer drohenden Abschiebung entziehen. Und bei allen für Frauen reservierten Bereichen gilt das Hausrecht der Betreiber, etwa eines Fitness-Studios oder eines Frauenhauses. Es steht im Fall des Falles höher als eine veränderte Selbstbestimmung.

Gefängnisleitung entscheidet

Nun also Sven und Svenja, Neonazi(s) in einer Person. Als Mann hat er Straftaten begangen und notorisch gegen "Transfaschismus" oder queere "Parasiten der Gesellschaft" gehetzt. Als Frau will er die Strafe für seine Taten abbüßen und versucht ganz offenkundig auch, das Selbstbestimmungsgesetz auf diesem Weg (politisch) unmöglich zu machen. Und in der Tat: Ein missbrauchsanfälliges Gesetz ist per se kein gutes. Ein Gesetz völlig ohne Missbrauch gibt es allerdings auch nicht so oft.

Vor allem aber: Allein wegen eines verstrahlten Neonazis gleich das ganze Gesetz abräumen? Das wäre definitiv zu viel der Ehre. Es muss andere Wege geben. Und die gibt es. Im Koalitionsvertrag ist vereinbart, bis Juli 2026 das Gesetz und seine Folgen zu bewerten, und zwar mit "besonderem Fokus auf die Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche, die Fristsetzungen zum Wechsel des Geschlechtseintrags sowie den wirksamen Schutz von Frauen".

Diese Prüfung ließe sich vorziehen. Womöglich lassen sich dann – nach den ersten Erfahrungen - manche Missbrauchsmöglichkeiten im Gesetz besser schließen als bislang. Außerdem obliegt es auch schon jetzt und unverändert den Gefängnissen zu entscheiden, wer in ihren Mauern eine Haftstrafe verbüßt. Für Sven und Svenja gilt: Ob Frauen- oder Männerknast, das entscheidet kein Neonazi, sondern der Direktor oder Direktorin des Gefängnisses. Gut so.

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