Zehntausende ukrainische Kinder sind Berichten zufolge von Russland verschleppt worden - nur ein Bruchteil von ihnen wurde zurück zu Verwandten in die Ukraine gebracht. Russland bietet die entführten Kinder im Internet zur Adoption an. Menschenrechtler vergleichen das mit "Sklavenhandel".
Das Schicksal der Kinder im Ukraine-Krieg liegt Melania Trump am Herzen: Die US-amerikanische First Lady hat Wladimir Putin einen Brief geschrieben und ihn aufgefordert, Kinder in den Kriegsgebieten zu schützen. "Herr Putin, Sie allein können ihr melodisches Lachen zurückbringen, indem Sie die Unschuld dieser Kinder schützen. Dienen Sie nicht nur Russland, sondern der gesamten Menschheit", schrieb die First Lady dem Kremlchef.
US-Präsident Donald Trump hat den Brief im Rahmen des Alaska-Treffens an seinen russischen Amtskollegen übergeben. Mit blumigen, wohlmeinenden Worten beschreibt die First Lady darin eine ungeheuerliche russische Kriegstaktik: wie Russland Kinder aus den besetzten Gebieten der Ukraine verschleppt und zur Adoption anbietet.
Die Kreml-Truppen sollen seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine Zehntausende ukrainische Kinder außer Landes gebracht haben. Der russischen Bevölkerung werden sie anschließend zur Adoption angeboten - wie eine Ware in einem Online-Katalog. Die Nichtregierungsorganisation "Save Ukraine" hat das perfide System kürzlich aufgedeckt.
Steckbriefe der Kinder auf Online-Plattform
Das "Bildungs- und Wissenschaftsministerium" der von Russland annektierten Volksrepublik Luhansk hatte extra eine Adoptions-Plattform ins Netz gestellt. Auf der Internetseite waren zuletzt Steckbriefe von etwa 300 Kindern unter 17 Jahren gelistet, die in der ukrainischen Region Luhansk aufgewachsen sind - mit Fotos, Alter und Angaben zu Charaktereigenschaften und Interessen der Kinder. Außerdem erhalten interessierte Russen Informationen zu Krankheiten, ob die Kinder Geschwister haben und ob sie adoptiert werden oder nur in Pflege genommen werden können.
Mit einer Suchmaske können auf der Website Geschlecht, Alter, Augen- und Haarfarbe sowie die Anzahl der Geschwister gefiltert werden, als wäre die Adoption ein Besuch in einem Online-Shop.
Inzwischen wurde die Seite offline genommen. "Save Ukraine" hat jedoch Screenshots der Inhalte erstellt und die aufgedeckten Daten gespeichert.
"Die Art und Weise, wie sie unsere Kinder beschreiben, unterscheidet sich nicht von einem Sklavenkatalog", schreibt der Leiter von "Save Ukraine", Mykola Kuleba, auf Instagram. "Das ist moderner Kinderhandel. Die Welt muss dem sofort ein Ende setzen."
20.000 Kinder entführt - höhere Dunkelziffer vermutet
Das Schicksal der ukrainischen Kinder liegt nicht nur Melania Trump am Herzen. Auch für die ukrainische Staatsspitze hat die Rückkehr der Kinder selbstverständlich höchste Priorität. Als der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj Anfang der Woche erneut im Weißen Haus zu Gast war, überreichte er der amerikanischen First Lady einen Brief von seiner Frau Olena Selenska. Selenskyj nutzte sein Auftaktstatement im Pressetermin mit Donald Trump dafür, der First Lady für ihren Einsatz für die ukrainischen Kinder zu danken.
Insgesamt hat die Ukraine derzeit fast 20.000 Kinder identifiziert, die seit der Vollinvasion im Februar 2022 nach Russland, in die von Russland besetzten Gebiete in der Ukraine oder nach Belarus verschleppt worden sind. Die Eltern der entführten Kinder sind entweder im Krieg getötet worden oder ihnen wurden ihre Kinder einfach weggenommen.
Die Dunkelziffer der entführten Kinder dürfte noch höher liegen. Viele Minderjährige, die nach 2014 in den von Russland besetzten Gebieten im Osten der Ukraine sowie auf der Krim aufgewachsen sind, seien "systematisch deportiert und an russische Familien in Moskau und anderen russischen Regionen übergeben" worden, sagt "Save Ukraine"-Chef Kuleba. Den Kindern würden russische Pässe ausgestellt, "um die Entführungen zu legalisieren".
Manche Jugendliche würden sogar dazu gezwungen, gegen ihre eigene Heimat zu kämpfen. Das russische Militär habe 16- und 17-jährige ukrainische Jungen entführt und Soldaten aus ihnen gemacht, hat NGO-Leiter Kuleba bei "Fox News" erzählt. Laut eines Berichts der "New York Post" wurden in der Tat mehrere junge entführte Ukrainer kurz nach Erreichen der Volljährigkeit vom russischen Militär rekrutiert.
"Kinder werden manipuliert"
Bei den meisten Kindern auf der Internetseite der Volksrepublik Luhansk gab es keine Information darüber, was mit den Eltern passiert ist. Die Russen würden auf diese Weise versuchen, den Anschein zu erwecken, es handele sich bei der Adoption um einen Akt der Güte oder Wohltätigkeit, nicht um eine Entführung. Russland rechtfertigt sein Vorgehen "mit Lügen", sagt der Politikwissenschaftler Mychajlo Sawwa von der Menschenrechtsorganisation "Center for Civil Liberties" dem "Tagesspiegel".
"Russland spricht davon, diese Kinder zu retten. Das Gegenteil ist der Fall", hat Joshua Hofert von der Kinderschutzorganisation Terre des Hommes bereits 2023 im ntv-Interview festgestellt. "Die Kinder haben überhaupt keine Perspektive in Russland. Sie werden dort instrumentalisiert und manipuliert."
Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag hat wegen mutmaßlicher Verbrechen in der Ukraine schon im März 2023 ein Verfahren gegen Russland eröffnet. Laut "New York Times" soll es um den Vorwurf der Entführung ukrainischer Kinder gehen. Weil Russland den Strafgerichtshof aber nicht anerkennt, kann Den Haag nicht gegen Moskau vorgehen.
Riskante Rückholaktionen
Menschenrechtsorganisationen machen immer wieder darauf aufmerksam, dass viele der Kinder noch immer Verwandte in der Ukraine haben, die sich um die jungen Kriegsopfer kümmern könnten, aber nicht an sie herankommen.
Zudem unternimmt Moskau viel, damit die Kinder nicht mehr in ihr Heimatland zurückkehren. Geburtsurkunden werden gefälscht, damit sich die Spur der Kinder verliert und sie nicht mehr gefunden werden.
Rückholaktionen sind sehr kompliziert, sehr riskant und deshalb sehr selten. Der Kreml gibt Kinder, wenn überhaupt, nur dann wieder heraus, wenn die leiblichen Eltern Kontakt aufnehmen. Erst gut 1400 Kinder konnten wieder auf ukrainisch kontrolliertes Gebiet zurückgebracht werden.
Dabei helfen Menschenrechtsorganisationen, Fahndungsbehörden mit Gesichtserkennungs-Software und auch eine Portion Glück. "Manchmal erkennen Verwandte die Kinder zufällig auf Gruppenfotos, die im russischen Internet auftauchen", hat Politikwissenschaftler Sawwa dem "Tagesspiegel" berichtet.
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