Nach dem Gipfel in Washington wird die Frage nach der Sicherung eines Friedens in der Ukraine diskutiert. Die Stationierung von Nato-Truppen in dem kriegsgebeutelten Land gilt als eine Option. Der frühere Bundeswehr-General Hans-Lothar Domröse hält eine andere Option für sinnvoller. Es gehe zunächst um eine wirkungsvolle Abschreckung Putins, sagt er.

ntv.de: US-Präsident Donald Trump hat erneut angekündigt, dass die USA keine Bodentruppen in die Ukraine senden werden. Sind die Europäer auch ohne die USA in der Lage, den Frieden zu sichern?

Hans-Lothar Domröse: Völlig ohne die Amerikaner ist das illusorisch. Wir brauchen die Amerikaner als stärkste Macht, das ist völlig klar. Aber man braucht sie nicht auf jedem Zentimeter am Boden. Ihre Luftstreitkräfte braucht man allemal.

Eine Luftsicherung hat Trump in Aussicht gestellt. Was passiert, wenn er seine Meinung ändert? Reichen die Fähigkeiten der Europäer aus, um einzutreten?

Die Fähigkeiten der Europäer sind groß, aber es geht um die Frage der Abschreckung. Abschrecken können einzig und allein die USA. Russlands Präsident Putin hat die Ukraine zweimal angegriffen. 2014 die Krim und 2022 der schreckliche Krieg, der immer noch anhält. Wir reden jetzt von einem möglichen Einmarsch europäischer Truppen nach einem Friedensschluss zwischen der Ukraine und Russland. Erst wenn Putin den Frieden das dritte Mal bricht, würde die transatlantische Sicherheitsgarantie ausgelöst. Unterstützung bei der Verteidigung der Ukraine muss Europa natürlich weiterhin leisten, aber um Putin überhaupt erst von einem weiteren Angriff abzuhalten, werden die USA gebraucht.

Die Bundeswehr steht vor Personal- und Materialproblemen. Das Geld aus dem Sondervermögen fließt noch nicht lange genug, um die Situation schon zu verbessern. Womit kann sie der Ukraine überhaupt helfen?

Wir haben hervorragende Patriot-Systeme. Wir haben zudem das Luftverteidigungssystem IRIS-T, das in der Ukraine schon zum Einsatz kommt. Wir haben leistungsstarke Drohnenfirmen und Fernmelde-Einrichtungen, die hervorragend sind. Wir haben schon einiges, was der Ukraine fehlt und können eine ganze Menge im Hightech-Bereich zusätzlich liefern, einschließlich weitreichender Systeme. Alle Staaten Europas, Amerikas, Kanadas, Australiens und darüber hinaus beteiligen sich an der Unterstützung der Ukraine. Aber ich plädiere hier nicht für eine Stationierung in der Ukraine. Es geht darum, abzuschrecken, damit Russland nach einem Friedensschluss nicht erneut angreift. Für den Fall, dass Putin dennoch wieder angreift, müssen wir uns verteidigen und die Ukraine schützen. Das ist unsere Verantwortung. Ich denke, da machen die USA auch mit, dann sind wir alle Kriegspartei. Aber bis dahin ist noch viel Zeit - und es sollte dazu erst gar nicht kommen.

Es gibt Forderungen nach einer Truppenstationierung in der Ukraine, durch Nato-Soldaten, sobald ein Frieden gefunden ist.

Davon ist aus meiner Sicht überhaupt keine Rede. Es geht um Sicherheitsgarantien. Wie kann man einen Frieden in der Ukraine absichern? Eine Möglichkeit ist Truppenstationierung. Oder man sagt: Im Falle eines erneuten Antretens der Russen kommen wir zur Hilfe. So eine Art Artikel 5, wie wir das von der NATO kennen. So eine Vereinbarung kann man auf die Ukraine ausweiten, indem man Truppen zu Hause bereithält.

Können Sie das genauer erklären?

Es gibt die Möglichkeit, Sicherheitsgarantien auszusprechen "over the horizon", also hinter dem Horizont - von zu Hause aus. Ein Beispiel ist Israel. Denn Israel würden wir, und die USA insbesondere, immer unterstützen im Fall einer großen Krise. Aber wir sind dort nicht stationiert. Stationiert sind die USA in Südkorea. Das ist ein Gegenbeispiel. Und die Alliierten waren in Deutschland, zur Zeit der deutschen Teilung, stationiert. Das kann man machen, wie man will. Aber den Aufwand, in der großen Ukraine, mit weit über 2000 Kilometern Grenze zu Russland, einige Truppen zu stationieren, die insgesamt keine entscheidende Wirkung erzielen, halte ich für zu groß. Die Ukraine verteidigt sich doch seit fast vier Jahren bravourös. Die Arbeit vor Ort kann sie selbst machen. Wir müssen sie weiterhin ausrüsten. Das ist klar.

Wie schnell wäre eine Truppe, die "over the horizon" bereitgehalten wird, im Verteidigungsfall vor Ort in der Ukraine?

Ich habe die aktuellen Warn-Zeiten nicht mehr im Kopf. Aber das geht sehr schnell - nach politischer Entscheidung. Die Luftstreitkräfte bereits nach wenigen Stunden. Die ersten Landstreitkräfte sind innerhalb von 24 Stunden verfügbar. Die nächsten Kräfte folgen gestaffelt. Bis alle da sind, dauert es eine gute Woche. Es gibt dann rund 50.000 gut ausgebildete und ausgerüstete Soldaten unter einheitlicher Führung in Europa, die immer bereit sind.

Es kursieren unterschiedliche Zahlen über eine nötige Truppenstärke. Beispielsweise ist von 5000 deutschen Soldaten die Rede.

Das ist eine verschwindend geringe Zahl. Momentan sind 600.000 Russen in der Ukraine. Wenn nach einem Friedensschluss ein erneuter Krieg losgehen sollte, dann muss Europa ganz klar Flagge zeigen. 50.000 europäische Soldaten wären eine Größenordnung, mit der man tatsächlich einen Unterschied machen könnte.

Kann Europa das leisten?

Europa hat 450 Millionen Einwohner und fast eine Million Soldaten. 50.000 Soldaten werden wir wohl hinkriegen. Es geht in diesem Fall doch um Krieg oder Frieden - es geht um unsere Freiheit!

Was ist mit der Bundeswehr? Es ist immer wieder die Rede davon, dass es zu wenige Soldaten gibt. Könnte sich Deutschland an einer Friedenstruppe beteiligen und gleichzeitig die 5000 Mann starke Brigade in Litauen aufrechterhalten?

Davon gehe ich aus. Das Heer hat 60.000 Mann, wir haben insgesamt 180.000 aktive Soldaten. Selbst wenn Professor Sönke Neitzel recht hätte, dass die Hälfte nicht einsatzbereit ist, bleiben trotz der Brigade in Litauen genug Soldaten über, um in Deutschland eine Truppe zwischen 5000 und 10.000 Soldaten für die Ukraine bereitzuhalten. Es ist eine Frage des Wollens.

Macron hat von Rückversicherungstruppen auf dem Meer, in der Luft und am Boden gesprochen. Ist das auch das, was Sie vorschlagen?

Ja genau. Sie brauchen natürlich Bodentruppen. Die Europäer, die USA und die Ukraine können das nicht alles aus der Luft oder mit Cyber leisten. Denn am Boden geht es um Häuserkampf, um die Verteidigung von Ortschaften und vor allem der Bevölkerung. Es braucht zudem in der Luft einen Mix aus Satelliten-Aufklärung und weitreichenden Präzisionswaffen bis hin zu Fallschirmjägern. Im maritimen Bereich sind auch etliche Fähigkeiten gefragt, von Minenräumen bis hin zum U-Boot. Mit einer starken Joint Force könnten wir entscheidend zur Abschreckung beitragen und damit einen erneuten Krieg verhindern.

Mit Hans-Lothar Domröse sprach Aylin Geweniger.

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