Mehrere Politiker fordern ein Mindestalter bei der Nutzung sozialer Medien. Forschende halten es unter bestimmten Bedingungen für sinnvoll. Doch die Debatte wird falsch geführt.

Es ist keine Frage, dass Kinder und Jugendliche nicht hinters Steuer dürfen. Auch eine Altersgrenze für Alkohol ist selbstverständlich. Warum also nicht die Nutzung sozialer Medien ebenfalls mit einer Altersbeschränkung versehen? Das ist zumindest die Argumentationslinie des ehemaligen Landwirtschaftsministers Cem Özdemir, der jüngst ein Verbot von TikTok und Co. für unter 16-Jährige gefordert hat. Damit ist er nicht allein.

Bildungsministerin Karin Prien kündigte an, dass die im Koalitionsvertrag vereinbarte Expertenkommission zum Schutz Minderjähriger in der digitalen Welt "in den nächsten Wochen" strengere Regeln für soziale Netzwerke prüfen werde. Zuvor hatte sie sich für ein Mindestalter ausgesprochen. 70 Prozent der Deutschen halten das laut einer vom Bundestag zitierten YouGov-Umfrage für eine gute Idee. Rund 60 Prozent würden auch bei Özdemirs vorgeschlagener Altersgrenze mitgehen. Allerdings: An der Umfrage nahmen größtenteils Personen ab 55 Jahren teil. Minderjährige kommen gar nicht vor.

Die Debatte um ein Mindestalter brodelt, seitdem Australien im November 2024 die Nutzung sozialer Medien für unter 16-Jährige strikt verboten hat. Auch mit Zustimmung der Eltern dürfen sich Kinder und Jugendliche nicht bei Instagram, TikTok und Co. anmelden. Die Diskussionsplattform Reddit fällt ebenfalls unter die Richtlinie. Die Anbieter sind gesetzlich angehalten, Alterskontrollen einzuführen. Andernfalls drohen Strafen von bis zu 31 Millionen Euro.

Akute Gefährdung der psychischen Gesundheit

Die Gründe scheinen auf der Hand zu liegen. Soziale Medien bieten ungefilterte Konfrontation mit Gewalt, sexuellen Inhalten, Extremismus und Drogenkonsum. Hinzu kommt die Gefahr, auf Fremde mit bösen Absichten zu treffen. Zuletzt zeigte der "White Tiger-Fall" die Abgründe von Chatplattformen auf. Ein Netzwerk von Cyberkriminellen soll unter anderem einen 13-Jährigen in den Suizid getrieben haben.

Das Statistische Bundesamt meldete jüngst, dass sich die Anzahl der Teenagerinnen, die wegen Essstörung in stationärer Behandlung sind, innerhalb von 20 Jahren verdoppelt hat. Laut einer neuen Studie der Leopoldina ist es kein Zufall, dass das Zeitalter der sozialen Medien in diesen Zeitraum fällt. Das Körperbild, das auf Plattformen wie Instagram transportiert wird, könne zu einer Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper und in der Folge zu Essstörungen führen.

Depressionen, Schlafprobleme und Konzentrationsdefizite seien weitere Risiken. Weil bei jungen Menschen die Impulskontrolle noch nicht ausgeprägt sei, würden sie eher zu einer exzessiven Nutzung neigen, was wiederum die gesundheitlichen Gefahren verstärke. Laut WHO weisen elf Prozent der in Deutschland befragten Jugendlichen ein suchtartiges Nutzungsverhalten auf. Sie haben keine Kontrolle mehr über ihre Social-Media-Nutzung und ohne Smartphone in der Hand körperliche Entzugserscheinungen.

Ein pauschales Verbot könnte dem sicherlich entgegenwirken. Aber: Millionen junger Menschen nutzen Social-Media täglich auf eine positive Weise. Es ist Teil ihrer Lebensrealität. Es dient als Möglichkeit, sich selbst auszudrücken und eine politische Stimme zu finden. Der Austausch mit Gleichaltrigen kann inspirierend sein und den Horizont erweitern. Zudem haben Kinder Rechte. Dazu gehört der Zugang zu Informationen und die digitale Teilhabe, wie sie in der Kinderrechts-Charta der Vereinten Nationen festgehalten ist. Ein pauschales Verbot würde dieses Recht stark beschneiden.

Leopoldina fordert Verbot für unter 13-Jährige

Auch die Forschenden der Leopoldina betonen, dass ein moderater Gebrauch meist unbedenklich ist und sogar positive Effekte haben kann. Sie empfehlen daher eine Staffelung der Maßnahmen: Bis 13 Jahre soll ein striktes Verbot gelten. Danach sollen Eltern die Möglichkeit bekommen, die Nutzungsdauer ihrer 13- bis 15-jährigen Kinder zu kontrollieren und die konsumierten Inhalte zu überwachen. Die Funktionen der Plattformen sollen bis zum 18. Lebensjahr nur abgestuft zur Verfügung stehen. Beispielsweise sollten suchterzeugende Funktionen wie endloses Scrollen und Autoplay oder etwa die Möglichkeit der Kontaktaufnahme mit Fremden für unter 16-Jährige unterbunden werden. Die Altersprüfung würde für die Anbieter der sozialen Netzwerke damit zur Pflicht.

In Australien ist das bereits der Fall. Ein erster Bericht zeigte jedoch, dass die "schlecht durchgesetzten Regeln" kinderleicht zu umgehen sind, denn die Plattformen vertrauen bisher auf Selbstauskünfte. So ist es auch bei TikTok. Der Konzern erlaubt die Nutzung standardmäßig erst ab 13 Jahren.

Die technischen Voraussetzungen für entsprechende Regeln hierzulande müssten von den Anbietern erst geschaffen werden. Bei null anfangen müssten sie allerdings nicht, im Gegenteil: Neben Verifizierungsmethoden, wie sie vom Onlinebanking bekannt sind, gibt es bereits KI-Lösungen, die das Alter anhand Gesichtserkennung über die Smartphonekamera schätzen.

Die Plattformen jedoch wehren sich, wie Stephan Dreyer vom Leibniz-Institut für Medienforschung erklärt. Eine Altersfeststellung koste zwischen einem und 50 Cent und sei mit Aufwand verbunden. Die Plattformen sagen: Wenn jedes Netzwerk ein eigenes Verfahren hat, wird es zu kompliziert. Stattdessen solle die Altersprüfung auf Ebene des App- oder Playstores stattfinden. Die Installation von Instagram würde dann blockiert, wenn das Mindestalter nicht erreicht ist.

Ohne die EU geht es nicht

Zudem ist es durchaus eine Herausforderung, den Plattformen ein Mindestalter vorzuschreiben. Denn: Ein Beschluss im Bundestag reicht nicht. Vielmehr geht nichts ohne die EU – denn die hat bereits zahlreiche Richtlinien zum Schutz von Kindern im Internet geschaffen. Nationale Gesetze seien nicht anwendbar, erklärt der Jurist Dreyer. Der Digital Services Act (DSA), der einst als "Grundgesetz für das Internet" gedacht war, "sperrt" strengere Jugendschutzregeln auf nationaler Ebene. Er verpflichtet die Plattformbetreiber "angemessene Maßnahmen" zu ergreifen, um den Schutz von Minderjährigen zu gewährleisten.

In Ihrer Leitlinie zum DSA nennt die EU-Kommission Vorgaben, die auch im Leopoldina-Vorschlag enthalten sind. Sie schlägt vor, den Eltern Kontrollmöglichkeiten zu geben und suchterzeugende Funktionen zu deaktivieren. Genau hier liegt auch das Problem: Es ist ein Vorschlag. Letztendlich bleibt die Verantwortung bei den Plattformen. Damit obliegt es auch ihnen, die Risiken für Minderjährige einzuschätzen. Allerdings ist es gerade ihr Geschäftsmodell, das die Gefährdungslage verursacht.

Trotz dieser Herausforderungen lehne die EU ein grundsätzliches Verbot ab, sagt Dreyer. Sie pocht stattdessen auf die Einhaltung des DSA durch die Plattformen und die Gestaltung einer digitalen Sphäre, die für Kinder und Jugendliche sicher ist. Weil letzteres aus Sicht der EU nicht der Fall ist, laufen aktuell gegen TikTok und Instagram Verfahren. Ein Verbot von Social-Media für unter 16-Jährige, wie Özdemir es verlangt, steht daher in den Sternen. Auch Diskussionen über eine "nationale Strategie", die Prien zuletzt ankündigte, seien nicht hilfreich, so Dreyer. Vielmehr müsste eine Debatte auf europäischer Ebene angeregt werden.

Denn: Für eine Reform des DSA braucht es eine Einigung zwischen den Mitgliedstaaten und eine Mehrheit im Europäischen Parlament. Davon sei man allerdings noch entfernt, so Dreyer. Zwar verfolgen auch Frankreich, Belgien, Dänemark, Spanien, Griechenland und die Niederlande schärfere Regeln, bei einem Mindestalter gibt es allerdings unterschiedliche Vorstellungen. Eine ernsthafte Diskussion, welche Plattformen aus welchem Grund und wie genau reguliert werden sollen, fehle noch, sagt der Experte.

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