Der russische Präsident macht aus seinen Kriegszielen kein Geheimnis. Über den russischen Anspruch auf Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson könne man nicht verhandeln, sagte er vor einem Jahr. Sein Ziel dürfte sein, Trump erneut einzulullen.
Irgendwann hat es sogar Donald Trump gemerkt. "Putin erzählt uns eine Menge Bullshit, wenn Sie die Wahrheit wissen wollen", sagte der US-Präsident am 8. Juli. "Er ist zwar immer sehr nett, aber am Ende ist das bedeutungslos."
Trump bezog sich auf seine Telefonate mit dem russischen Machthaber, in denen Wladimir Putin offenbar immer wieder seine Bereitschaft zum Frieden signalisierte, die Ukraine dann aber mit Angriffen aus der Luft überzog. Auch das ist Trump aufgefallen: Putin spreche immer "schön, und am Abend bombardiert er dann alle", sagte er am 14. Juli.
Ursprünglich hatten Trump und seine Regierung geglaubt, relativ rasch Frieden zwischen Russland und der Ukraine vermitteln zu können. Auf amerikanischer Seite war viel Naivität im Spiel, vielleicht auch Überforderung. So sagte etwa Trumps Sondergesandter Steve Witkoff einmal allen Ernstes, er "neige zu der Annahme, dass Präsident Putin in gutem Glauben handelt".
"Im Wesentlichen ein Volk"
Dabei haben Putin und sein Regime nie ein Geheimnis daraus gemacht, was sie im Krieg gegen die Ukraine anstreben. In seiner Fernsehansprache zu Beginn des Überfalls nannte er als Ziele die "Demilitarisierung" und "Entnazifizierung" der Ukraine, also die Entwaffnung der ukrainischen Armee und die Absetzung der demokratisch gewählten ukrainischen Regierung. Wehrlos soll die Ukraine sein, und das machen, was Putin will.
An dieser Position hat sich bis heute nichts geändert. In einer Rede im russischen Außenministerium führte Putin vor einem Jahr aus, was Russland mit seinem Krieg in der Ukraine bezwecke: neben der "Verteidigung" der Menschen im Donbass die "Demilitarisierung und Entnazifizierung der Ukraine".
Schon seit Jahren stellt Putin die Ukraine als Teil der "russischen Nation" dar. Angesprochen auf die vier von Russland annektierten ukrainischen Regionen verwies er im Juni auf einem Wirtschaftsforum in Sankt Petersburg darauf, dass er Russen und Ukraine als "im Wesentlichen ein Volk" ansehe. "In diesem Sinne sehen wir die Ukraine als unser." Was die Ukraine will, spielt für ihn keine Rolle. Bei derselben Veranstaltung zitierte Putin "ein seit Langem bestehendes Prinzip": "Wo immer der Fuß eines russischen Soldaten hintritt, ist russisches Land."
Putin will das Thema wechseln
All diesen öffentlichen Äußerungen des Kreml-Herrschers zum Trotz hat Trump sich immer wieder von Putin einwickeln lassen. Genau das dürfte er auch in Alaska vorhaben: Trump zu schmeicheln, um ihn wieder, wie früher, milde zu stimmen, ihn von Sanktionen und weiterem Druck abzuhalten. Deshalb wird Putin versuchen, den Fokus zu verschieben. Weg von der Ukraine, hin zu anderen Fragen. So kündigte er an, mit Trump in Anchorage auch über Rüstungskontrollverträge zu sprechen.
Auch über "bilaterale Wirtschaftskooperationen" solle gesprochen werden, sagte Putins Berater Juri Uschakow, der zur russischen Delegation in Alaska gehören wird. Es gebe "ein enormes, ungenutztes Potenzial für die Handels- und Wirtschaftskooperation zwischen Russland und den USA".
Genau das erwartet auch Rafael Loss von der Denkfabrik European Council on Foreign Relations (ECFR). In Alaska werde es auch um die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den USA und Russland gehen, "zum Beispiel um Deals zur Ausbeutung von Rohstoffen in der Arktis oder zu fossilen Brennstoffen", sagte er im Interview mit ntv.de. "Vor allem aber geht es Trump um Deals mit Putin, die seinem Clan Gewinne bringen, ohne dass die amerikanische Wirtschaft insgesamt oder das nationale Interesse gewichtet würde."
Putin geht es am Ende darum, auf Zeit zu spielen. Denn aus russischer Sicht kann ein Abnutzungskrieg auf Dauer nur von Russland gewonnen werden. Der österreichische Oberst Markus Reisner verwies unlängst in seinem wöchentlichen Blick auf die Front auf den russischen Militärtheoretiker Alexander Svechin, der zuerst in der kaiserlichen Armee diente, dann in der Roten Armee. Svechin habe sinngemäß gesagt: "Wenn es nicht gelingt, zu Kriegsbeginn den entscheidenden Schlag auszuführen, setzen wir auf Abnutzungskrieg. Mit unserem Humanpotential und unseren industriellen Möglichkeiten, Nachschub an Material und Streitkräften zu beschaffen, können wir jeden Gegner auf lange Sicht erdrücken."
Keine Verhandlungen über die fünf annektierten Gebiete
Fünf ukrainische Oblaste hat Russland bisher annektiert. Völkerrechtlich sind diese Anschlüsse illegal. Aber aus russischer Sicht sind die 2014 annektierte Krim sowie die 2022 annektierten Regionen Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson Teil des russischen Staatsgebiets, auch wenn die vier letztgenannten Oblaste nie vollständig unter militärischer Kontrolle der Russen standen.
Über diese Gebiete will Putin keinesfalls verhandeln. Nach den (illegalen und inszenierten) Volksabstimmungen von 2022 sei ihre Zugehörigkeit zu Russland "kein Gegenstand von Diskussionen mehr", sagte er im Juni 2024 im russischen Außenministerium. Dies gelte "für immer".
Wie viel Interesse hat Putin also an echten Verhandlungen? Es sind nicht nur die russischen Kriegsziele, die Verhandlungen über ein Ende des Krieges so schwierig machen. Nicht einmal die Wahrnehmung der Realität stimmt überein. In Putins Welt hat nicht er den Krieg begonnen, es sei "das Kiewer Regime" gewesen, "das die Feindseligkeiten nach der Unabhängigkeitserklärung bestimmter Teile der Ukraine" eröffnet habe. Auch die Nato-Osterweiterungen oder die Revolution in Kiew im Winter 2013/14 bringt Putin immer wieder als Auslöser für seinen Krieg vor.
Endlich auf Augenhöhe mit den USA
All diese Punkte sind der Grund, warum die Europäer davon ausgehen, dass Putin erst unter stärkerem Druck zu ernsthaften Verhandlungen bereit ist. Wobei sie diesen Druck selbst bislang nicht erzeugen, wie der Militärexperte Nico Lange kritisiert. "Es geht um die Frage: Wie kann man Putin weiterhin unter Druck setzen? Was sind die nächsten Schritte, und wie kann man diese europäisch koordinieren?", so Lange bei ntv.de. "Dieses Argument wäre deutlich glaubwürdiger, wenn Europa eigene Vorschläge auf den Tisch legen würde - statt nur Trump um Unterstützung zu bitten."
Russische Politiker vergleichen das Treffen von Putin und Trump bereits mit der Konferenz von Jalta im Februar 1945. In dem damals sowjetischen Badeort auf der Krim teilten die USA, Großbritannien und die UdSSR Europa unter sich auf. So würde Putin es vermutlich auch gerne machen, zumindest würde er es gern so aussehen lassen. Mit dem Treffen in Alaska kann er zeigen, auf Augenhöhe mit den USA zu sein; und er kann ohne die Ukraine über die Ukraine reden, wie er es seit 2014 tun wollte.
Das alles heißt natürlich nicht, dass Verhandlungen mit Russland sinnlos sind - sie sollten nur viel vorsichtiger geführt werden, als es Trump und Witkoff bislang getan haben. Denn, da hat Trump recht: Putin erzählt sehr häufig "eine Menge Bullshit".
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