Christian Lindner verkündete noch am Wahltag seinen Rückzug aus der Politik, Robert Habeck legte einen Tag später mit der Ankündigung nach, keine führende Rolle mehr in seiner Partei spielen zu wollen. Ob der offene Brief mit der Bitte um seinen Verbleib in der Spitzenpolitik daran etwas ändert, ist noch ungewiss. Viel wird nun geschrieben, gesagt, diskutiert und spekuliert. Über den Zeitpunkt der Rückzüge, die Art, wie sie verkündet wurden, wer Lindner und Habeck in ihren Parteien ersetzen kann. Und über die Zukunft der beiden. Nicht nur ihre inhaltlichen Standpunkte erwiesen sich in der Ampelkoalition als unvereinbar, auch ihr Auftreten könnte kaum unterschiedlicher sein.
Da ist Habeck mit seiner oft ausschweifenden, Nähe und Empathie suggerierenden Sprache, die immer ein bisschen an den Vertrauenslehrer eines Gymnasiums erinnert, der seine Klientel auch mal zu Hause besucht, um ganz in Ruhe über deren Sorgen und Nöte zu reden. Und da ist Lindner, der mit seinen markig formulierten, auf Zahlen, Leistung und Engagement pochenden Beiträgen oft wie der Recruiter eines Unternehmens klingt, das seit Jahren kurz vor dem Gang an die Börse steht. Ihr jeweiliges Erscheinungsbild passt perfekt zu diesem Auftreten.
Nun ist es mit Politik und Mode so eine Sache. Wer darüber schreibt, erntet schnell empörte Kommentare: Wie oberflächlich, es geht doch um Inhalte! Je nach Jahreszeit werden ein vermeintliches Sommerloch oder Personalknappheit in den Weihnachtsferien als Grund für die Analyse von Politikeroutfits vermutet. Weihnachten ist vorbei, der Sommer noch weit weg, und trotzdem soll es an dieser Stelle nicht um politische Vermächtnisse, Verdienste und Versäumnisse von Lindner und Habeck gehen, sondern um deren Erscheinungsbild.
Denn wer damit auf dem hiesigen politischen Parkett hervorsticht, ist mutig. Schließlich können ein eigener Stil gar oder erkennbare Begeisterung für Mode beim deutschen Publikum für viel Skepsis und Spott sorgen; letzteres ist spätestens seit Gerhard Schröders „Brioni-Kanzler“-Zeit bekannt. Nach ihm fiel bei den Sozialdemokraten eigentlich nur noch Heiko Maas als modeinteressiert auf. Dem CSU-Mann Karl-Theodor zu Guttenberg brachte sein Stil 2009 den Titel des am besten angezogenen Politikers und das Image des Eitlen ein.
Für eitel halten viele auch Christian Lindner. Dabei ist seine Kleiderwahl eher klassisch als exzentrisch: Man kennt ihn vor allem in blauen Anzügen mit schmalem Schnitt und korrektem Sitz, stets im richtigen Moment offen oder geschlossen. Darunter weiße oder hellblaue Hemden (gern mit Manschetten) und Krawatten (in der richtigen Länge). „Welchen Respekt zolle ich jemandem, wenn ich rumlaufe wie ein ausgewrungenes Handtuch?“, so Lindner im Herbst in der „F.A.Z.“.
Manchmal darf es auch legerer sein: Unter anderem bei Caren Miosga und Stefan Raab erschien Lindner mit dunklem Rollkragenpullover unterm Sakko. Bei seinem Streit mit Robert Habeck bei Anne Will 2018 kombinierte er gar einen Woll-Cardigan (aber mit Revers) zum damals vor Kameras noch ungewohnten „Du“ zwischen Spitzenpolitikern. Ob die Inspiration dafür der Strickjacken-Look von Helmut Kohl bei seinen Gesprächen 1990 mit Michail Gorbatschow war, ist nicht überliefert.
Auch ohne Schlips und Sakko umweht Lindner eine Geschäftigkeit, als wäre er stets auf dem Sprung ins nächste Meeting, in dem dornige Chancen auf dem Whiteboard visualisiert werden. Dazu passen auch seine Accessoires, etwa die Uhren. Neben Modellen von IWC Schaffhausen und Glashütte Original soll auch eine Rolex „Milgauss“ soll zu seiner Sammlung gehören. Als er 2023 während des „Maybrit Illner“-Abspanns seine Uhr umlegte, argwöhnten Social Media-Nutzer, er habe diese während der Sendung verstecken wollen. Vielleicht wollte er auch einfach störendes Uhren-Geklacker auf dem Tisch vermeiden. Dafür spräche, dass er schon 2018 die wegen ihrer Uhr in einen Shitstorm geratene Sawsan Chebli verteidigte, indem er twitterte: „Soll sie doch Rolex tragen. Man muss nicht arm sein, um gegen Armut zu sein“.
Den Nimbus des Luxus-Liebhabers verdankt Lindner auch seiner Auto-Leidenschaft. 2022 brauste er nach seiner Hochzeit auf Sylt in seinem Porsche-Oldtimer davon. Rolex, Porsche, Sylt, als wären das nicht schon genug Klischees, ist Lindner auch noch Jäger (das beeindruckte die protestierenden Bauern 2024 aber ebenso wenig wie Lindners Hinweis, er miste auch mal den Pferdestall aus). Und dann ist da noch die Begeisterung für sich selbst, die ihm viele vor allem seit seinem Auftritt als „Pop-Politiker“ im Wahlkampf 2017 nachsagen. Modemagazin-taugliche Schwarz-Weiß-Fotografien von ihm hingen an Plakatwänden, in einem Wahlwerbespot sah man ihn sogar im T-Shirt und mit leicht unordentlicher Frisur.
Genau die ist das Markenzeichen von Robert Habeck. Seine Haare sind immer irgendwie „zerwuschelt“, als käme er gerade von einem Sturmböen-umtosten Deich. In der ZDF-Doku „Habeck contra Lindner – Ziemlich beste Gegner“ von 2024 ist der Ausschnitt eines Interviews von 2018 zu sehen, in dem Habeck (der lieber über anderes sprechen wollte) über seine Haare sagt: „Ich versuche, die dann so wegzuwischen und dann sieht’s halt aus, wie’s aussieht“.
Das erinnert an Antworten prominenter Frauen à la „Viel Wasser trinken und schlafen“ auf die Frage, was sie für ihr Äußeres tun. In der Doku wird Habeck auch als „ein Meister des Lässig-Looks“ bezeichnet. Schon als Umweltminister Schleswig-Holsteins gab er sich nahbar und unkompliziert, mit Sakko im Kuhstall und hochgekrempelten Hosenbeinen im Meer. Diesem Stil bleibt er auf seiner Webseite treu; dort posiert er (noch) im weißen Hemd, dessen Ärmel er gerade hochkrempelt.
Besondere Aufmerksamkeit wurde oft seinen Pullovern zuteil. Dem Modell mit Kapuze der Marke Iriedaily etwa, das er 2023 bei der Tagung des Koalitionsausschusses trug. „Ganz schön lässig, Herr Minister!“, fand die „Bunte“. Der dicke Norweger-Strickpulli, in dem er 2024 auf einer Fähre ausharrte, als am Anleger wütende Protestler warteten, und den er auch im Wahlkampf trug, schaffte es in einen WELT-Mode-Ratgeber. Im Wahlkampf thematisierte sogar die Konkurrenz seine Kleiderwahl. Habeck „ziehe im Strickpullover durch die Küchen dieses Landes“, statt sich um dessen Wirtschaft zu kümmern, so Sahra Wagenknechts Seitenhieb angesichts seiner Küchentisch-Gespräche.
Sakkos trägt Habeck meist offen, Krawatte nicht zwingend. Alles darf ruhig ein bisschen zerknittert sein, die Schulter-Ledertasche das Outfit in leichte Schieflage versetzen. Damit würde er in kaum einem deutschen Büro oder Lehrerzimmer negativ auffallen. Sein krawattenloser Auftritt in Anzug, Pullover und Hemd anlässlich des Jubiläums des Élysée-Vertrags 2023 in Paris erschien aber manchen Kritikern etwas zu leger.
Doch der ehemalige „Draußenminister“ kann auch anders. Im Februar zeigte er sich im dunklen Dreiteiler mit Krawatte, so elegant, dass man ihn in der „TAZ“ schon auf den Spuren Joschka Fischers wähnte, der einst vom „Turnschuh-Minister“ zum Liebhaber feinen Zwirns wurde. Bei Accessoires beweist Habeck Mut zum Zeitgeist: Den Kampf um seine „Kanzler-Era“ verkündete er im Herbst per Video und Freundschaftsarmband, wie es Fans von Taylor Swift auf deren „Eras“-Tour trugen. Vielleicht ist es ja ein schwacher Trost, dass auch Swift dieses Jahr leer ausging und trotz sechs Grammy-Nominierungen ohne Auszeichnung nach Hause gehen musste.
Politisch mag man mit Lindner und Habeck alles andere als einer Meinung sein. Aber beide haben zweifellos steile Karrieren hingelegt – natürlich nicht nur, aber auch, weil sie so früh verstanden haben, dass politische Ideen mehr denn je durch Bilder und Personen transportiert werden, dass das eigene Erscheinungsbild Teil der persönlichen „Marke“ ist.
Beide haben sich an neue Wege der Selbstinszenierung gewagt, wurden oft dafür belächelt, blieben aber dabei ihrem jeweiligen Stil treu, von der Sprache bis zu ihren Outfits. Unabhängig von ihren Positionen dürften sie damit auch ein Vorbild für den politischen Nachwuchs sein, dessen Kampf um Wählerstimmen zunehmend in sozialen Medien stattfindet. Auf denen geht bekanntermaßen nichts ohne Selbstinszenierung. Ob nun im Sakko oder im Wollpullover.
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