Bevor er zum Gipfel mit seinem russischen Amtskollegen nach Alaska fliegt, spricht der US-Präsident sich mit den Europäern ab. Aber nimmt Donald Trump sie ernst? Vermutlich nicht, sagt Sicherheitsexperte Rafael Loss vom European Council on Foreign Relations (ECFR). Beim Treffen mit Wladimir Putin gehe es Trump vor allem um eines: seinen eigenen Vorteil.

ntv.de: Als Donald Trump im Januar wieder ins Weiße Haus einzog, sagte er, die "böse" EU sei gegründet worden, "um den Vereinigten Staaten zu schaden". Nun stimmt er sich immerhin mit den Europäern ab, bevor er am Freitag mit seinem russischen Amtskollegen Putin über die Ukraine spricht. Verfliegt Trumps Wut auf die EU allmählich?

Rafael Loss: Trump unterscheidet einerseits zwischen der EU, mit der er nicht so viel anfangen kann, die repräsentiert wird von der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und komplizierten Institutionen. Mit der EU, die andererseits auch von den 27 europäischen Staats- und Regierungschefs repräsentiert wird, kann Trump mehr anfangen.

Wie meinen Sie das?

Das zeigten die Verhandlungen über den Zoll-Deal: Kommissionspräsidentin von der Leyen musste dabei einiges einstecken von Trump. Aber in Trumps bilateralen Gesprächen mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und Bundeskanzler Friedrich Merz war die Stimmung deutlich besser. Das hat mit Trumps Unverständnis für die komplexen EU-Institutionen zu tun, aber auch mit seiner Misogynie. Trump kann mit Frauen wie von der Leyen, die in Machtpositionen sind, nicht viel anfangen. Über Männerfreundschaften kann Trump besser einen Draht aufbauen, er bevorzugt Regierungschefs gegenüber Regierungschefinnen.

Etwas untypisch für ihn dämpfte Trump selbst bereits die Erwartungen an das Treffen in Alaska und sagte, er werde keinen Deal mit Putin schließen. Für die Europäer zunächst einmal ein gutes Zeichen, oder?

Es ist ein gutes Zeichen. Aber wer weiß, ob es dabei bleibt. Trump macht Zusagen, die er am nächsten Tag wieder einkassiert. Auch das zeigte der Zoll-Deal mit der EU: Erst wurde eine Einigung verkündet. Aber wenige Tage später schoben die USA Forderungen nach - mit der Androhung weiterer Strafzölle. Die einzige Konstante bei Trump ist, dass er davor zurückscheut, Putin erhebliche Kosten aufzubürden.

Warum scheut er davor zurück?

Das mag eine persönliche Komponente haben. Trump sagte, er fühle sich mit Putin verbunden durch den "Russian Hoax", wie er das nennt - also den Ermittlungen zur mutmaßlichen Wahlmanipulation Russlands im US-Wahlkampf vor Trumps erstem Wahlsieg 2016. Zudem hat Trump eine Affinität für autokratische Regierungsformen, wie seine Politik deutlich zeigt. Trump zielt weiter auf die Normalisierung der Beziehungen zu Russland und vermeintliche Deals, die zu seinem ganz persönlichen Vorteil geschlossen werden.

Ist der Ausschluss des ukrainischen Präsidenten vom Gipfel in Alaska ein Zeichen dafür, dass Trump spontan doch wieder Zugeständnisse an Putin machen könnte?

Durch den Ausschluss Selenskyjs fehlt das Korrektiv am Tisch. Sowohl die Europäer als auch die Ukrainer bekommen keinen Platz. Dabei hat die US-Regierung stets betont, der Krieg in der Ukraine sei ein europäisches Problem. Dass Trump das Problem allein mit dem Imperialisten Putin lösen will, deutet darauf hin, dass Trump die Europäer nicht als Machtfaktor ernst nimmt. Offensichtlich wird das mit Blick auf die Buckeleien von Nato-Generalsekretär Mark Rutte gegenüber Trump. Die Nato-Partner und die EU sind darauf angewiesen, dass Trump die europäischen und ukrainischen Interessen repräsentiert, können aber nicht viel dafür tun, dass das auch gewährleistet ist.

Bislang herrschte bei Trump der Geschäftssinn vor, wenn es um Waffenlieferungen an die Ukraine ging. Die Europäer sollen nach Trumps Vorstellungen die Waffen von US-Firmen kaufen und an Kiew liefern. Ist dieses Geschäftsmodell genug, damit die Ukraine sich langfristig gegen Russland behaupten kann?

Das ist ein effektiver Mechanismus, um den Fluss militärischer Unterstützung zu gewährleisten, gerade bei einigen kritischen Fähigkeiten, die Europa ohne die USA nicht bereitstellen kann. Die Ukraine braucht die USA unbedingt für nachrichtendienstliche Erkenntnisse, Aufklärungs-Daten und bestimmte Rüstungsexporte wie Munition für Patriot-Systeme. Laut Berichten plant Putin, Trump in Alaska davon zu überzeugen, auch die von Europa finanzierte US-Militärhilfe für die Ukraine auszusetzen. Aber Trump könnte abwägen, indem er sich die Frage stellt: Ist der Nutzen größer, wenn die Europäer weiter US-Rüstungsgüter kaufen - oder wenn es einen Deal mit Putin gibt?

Was wäre denn der große Nutzen für Trump an einem Deal mit Putin?

Da geht es unter anderem um die persönliche Beziehung, die gestärkt würde zwischen Putin und Trump. Nebenbei geht es auch irgendwo um die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den USA und Russland, zum Beispiel um Deals zur Ausbeutung von Rohstoffen in der Arktis oder zu fossilen Brennstoffen. Vor allem aber geht es Trump um Deals mit Putin, die seinem Clan Gewinne bringen, ohne dass die amerikanische Wirtschaft insgesamt oder das nationale Interesse gewichtet würde.

Trump geht es nur um den eigenen Nutzen, alles andere ist egal?

Trumps Politik ist da widersprüchlich. Das sieht man etwa an den Waffenlieferungen an die Ukraine, für die Europäer bei US-Firmen einkaufen sollen. Die Europäer könnten mehr bei den US-Firmen kaufen, wenn es amerikanische Zölle nicht gäbe und die Preise deshalb niedriger wären. Aber die Zölle von 15 Prozent auf alle EU-Waren betreffen auch in den USA produzierte Waffensysteme. Auch diese Systeme hängen von internationalen Lieferketten ab, also werden gegebenenfalls Zollzahlungen an mehreren Stellen in der Produktion anfallen. Die Europäer können also für den gleichen Preis weniger für die Ukraine kaufen und das drückt die Gewinnmargen der amerikanischen Rüstungsindustrie. Für Trump scheinen die Widersprüche kein Problem zu sein - im Gegenteil: Er nutzt sie, um in bilateralen Verhandlungen Unsicherheiten zu schaffen, die wiederum verschiedene Druckmittel sein können, um gewinnbringende Deals auszuhandeln.

Auch Trumps Aussagen zur Ukraine sind widersprüchlich. Immer wieder betonte er, die Ukraine müsse zu Gebietsabtretungen bereit sein. Dann wiederum sagte er, er werde Kiew helfen, "Gebiete zurückzubekommen". Welche Druckmittel hätte Trump denn in der Hand, um Putin zu Kompromissen zu bewegen?

Zum einen könnte er die Sanktionen gegen Russland und seine Handelspartner ausweiten. Zum anderen könnte er die US-Militärhilfe für die Ukraine aufstocken, die über zusätzliche Mittel aus dem Kongress bewilligt würde statt über Deals mit den Europäern. Alle Druckpunkte bleiben aber wirkungslos, wenn Trump sie nicht einsetzt. Und er scheut davor zurück, sie gegen Putin einzusetzen. Ansonsten ist seine Verhandlungsstrategie nicht kohärent, deshalb fallen Prognosen schwer. Das ist die Gefahr, der sich auch die Europäer bewusst sind: Dass es bei aller Vorabstimmung und Nachbesprechungen, die man auf europäischer Seite durchführen kann, am Ende eben doch ankommt auf Trump persönlich, sein Wohlbefinden an dem Tag - und auf seine persönlichen Interessen, die vielleicht nicht mit den nationalen Interessen der USA übereinstimmen, wie sie traditionell galten.

Im November sprach Selenskyj erstmals von der Möglichkeit einer zeitweiligen russischen Kontrolle über besetzte ukrainische Gebiete. Selenskyj lehnte nur formaljuristische Gebietsabtretungen ab. Was könnte die Ukraine zwingen, auf diese Weise Gebiete abzutreten?

In Kiew wurde zum Teil früher als in europäischen Hauptstädten erkannt, dass aktuell eine wachsende Unwahrscheinlichkeit darin besteht, von Russland kontrollierte Gebiete militärisch zu befreien. Das ist der Kontext, in dem man diese Äußerung von Selenskyj im November sehen muss. Man kann sich darum bemühen, das auf diplomatischem Wege zu erreichen, aber auf absehbare Zeit wird das alles militärisch nicht zu befreien sein. Dann gibt es aber die Frage der Anerkennung dieser territorialen Realität, wie sie im Moment existiert, politisch und völkerrechtlich.

Und die Antwort auf diese Frage will niemand geben?

Bei dieser Frage ist man deutlich zurückhaltender, sowohl in Kiew als auch in den europäischen Hauptstädten. Nato-Generalsekretär Mark Rutte hat darauf verwiesen, dass Westeuropa während des Kalten Krieges die Besatzung der drei baltischen Staaten durch die Sowjetunion de jure nie anerkannt hat. Wenn das bei der Ukraine auch der Fall sein sollte, würden sich komplexe Fragen ergeben über die Behandlung solcher Subjekte in der internationalen Politik. Dazu bräuchte man viel Detailkenntnis und völkerrechtliche Expertise - beides Dinge, die ich bei Trump nicht sehe.

Mit Rafael Loss sprach Lea Verstl

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke