Nach der Israel-Entscheidung vom Freitag übt eine ganze Reihe von Abgeordneten der Unionsfraktion ungewöhnlich deutlich Kritik. Noch brisanter für den Kanzler: Die CSU geht auf Distanz. Außenpolitische Erfolge geraten in den Hintergrund.

Nicht eingebunden, nur Symbolpolitik, schwerer Fehler - die Kritik an der Israel-Entscheidung von Bundeskanzler Friedrich Merz ist scharf. Noch stärker als im unionsinternen Streit um die Verfassungsrechtlerin Frauke Brosius-Gersdorf wird deutlich, wie enttäuscht einige in der CDU/CSU vom neuen Kanzler sind.

Am Freitag hatte Merz mitgeteilt, die Bundesregierung werde "bis auf Weiteres" keine Ausfuhren von Rüstungsgütern mehr genehmigen, "die im Gazastreifen zum Einsatz kommen können". Es sollte vor allem ein Signal sein; in der Praxis gibt es solche Waffenlieferungen ohnehin kaum.

Betroffen sind in erster Linie Getriebe, die in israelischen Panzern verbaut sind. "Die Entscheidung über weitere Rüstungsgüter ist ausdrücklich auf einen möglichen Einsatz in Gaza beschränkt", hieß es am Wochenende aus Kabinettskreisen. Für Rüstungsgüter der Luft- und Seeverteidigung, die zentral für die Selbstverteidigung Israels seien, gelte die Erklärung ausdrücklich nicht.

"Drecksarbeit, nur ohne deutsche Waffen"

Und dennoch schlug die Entscheidung hohe Wellen bei CDU und CSU. "Israel macht ab heute die Drecksarbeit für uns, nur ohne deutsche Waffen", schrieb der Vorsitzende der Jungen Union, der CDU-Bundestagsabgeordnete Johannes Winkel, auf X. "Das ist die Drecksarbeit, die Israel macht für uns alle", hatte Merz im Juni über die israelischen Angriffe gegen den Iran gesagt. Winkel suggerierte mit seinem Satz: Der Kanzler misst mit zweierlei Maß. Für die Außenwahrnehmung spielt es keine Rolle, ob die Einschätzung des JU-Chefs fair ist oder nicht. Wichtig ist: Eine ganze Reihe von CDU-Abgeordneten nimmt mittlerweile kein Blatt mehr vor den Mund, wenn es um Kritik am Kanzler geht. Das ist ungewöhnlich.

Dabei war die Entscheidung vom Freitag keine aus heiterem Himmel, wie im Umfeld des Bundeskanzlers betont wird. Merz' Appelle in Richtung Israel waren schon vorher zunehmend dringlich geworden. Reaktionen blieben indessen aus, im Gegenteil: Am Freitag beschloss das israelische Sicherheitskabinett die Ausweitung des Militäreinsatzes im Gazastreifen.

Kurz darauf kam die Erklärung des Kanzlers. Ein Grund war offenbar das Gefühl, die israelische Regierung anders nicht mehr erreichen zu können. In einem internen Papier des Kanzleramts heißt es denn auch, Merz' Erklärung vom Freitag ziele darauf, "den wieder und wieder formulierten deutschen Bitten Nachdruck zu verleihen, eine diplomatische Lösung des Konfliktes zu suchen".

Umfragewerte auf dem Weg nach unten

Der Kritik des JU-Chefs schlossen sich mehrere Unionspolitiker an. Manche öffentlich, andere nicht. Merz gehe offenbar den gleichen Weg, den einst Ex-Kanzlerin Angela Merkel eingeschlagen hatte, sagte ein einflussreicher Unionsabgeordneter dem "Stern": Er stoße die eigene Partei vor den Kopf, gewinne dafür aber in der Bevölkerung an Beliebtheit.

Wenn das der Plan gewesen sein sollte, dann ging er nicht auf. Im aktuellen RTL/ntv-Trendbarometer sind die Umfragewerte der Union noch schlechter als in der Vorwoche.

Dabei liegt Merz mit seiner Entscheidung auf der Linie der öffentlichen Meinung. Eine Mehrheit der Deutschen plädiert sogar für die Anerkennung eines palästinensischen Staates, wie eine aktuelle Forsa-Umfrage zeigt - ein Schritt, den Merz ablehnt. Aber in der Bewertung von Politikern geht es nicht nur um deren Positionen, sondern auch um Faktoren wie Durchsetzungsfähigkeit. Die außenpolitischen Erfolge des Kanzlers, die es ja auch gibt, werden von den Bürgern nicht oder nicht mehr honoriert.

Spahn nennt Entscheidung "vertretbar"

An Durchsetzungsfähigkeit fehlt es dem Kanzler sogar in seiner eigenen Fraktion, wie deutlich wurde, als die Unionsfraktion auf den letzten Drücker die Wahl der Juristin Brosius-Gersdorf zur Richterin am Bundesverfassungsgericht absagen musste. Zu spät hatten Merz und sein Fraktionschef Jens Spahn gemerkt, dass es für die Hochschullehrerin keine Mehrheit gibt, zu wenig kannten sie die Stimmung in ihrer Fraktion. Gefolgschaft trotzdem durchsetzen, das war offenkundig keine Option.

Wählern gefällt es nicht, wenn Koalitionen streiten. Deshalb ist es kein Wunder, dass die Zufriedenheit mit Merz auf einen Tiefststand gesunken ist. Knapp 100 Tage nach seinem Amtsantritt sind 67 Prozent der Deutschen nicht zufrieden mit der Arbeit des Bundeskanzlers. Keine zwei Jahre ist es her, dass der CDU-Chef dem damaligen Kanzler Olaf Scholz ein gepfeffertes "Sie können es nicht" entgegenschleuderte. Ob zu Recht oder zu Unrecht: Mittlerweile scheint sich in der Bevölkerung der Eindruck zu verfestigen, dass Merz es ebenfalls nicht kann.

Und nicht nur dort. Es sind nicht nur die üblichen Verdächtigen, die sich zu Wort melden. Der parlamentarische Staatssekretär im Bundesforschungsministerium, Matthias Hauer, schrieb am Freitag auf X, er halte es "für einen schweren Fehler und ein verheerendes Signal, dass Deutschland seine Waffenlieferungen an Israel einschränkt" - als Staatssekretär ist Hauer immerhin Regierungsmitglied. Am Montag ruderte Hauer zurück: Er habe nicht in Abrede stellen wollen, dass "Deutschland und unser Bundeskanzler" an der Seite Israels stehen.

Jene, deren Job es wäre, den Kanzler zu verteidigen, wirken wenig enthusiastisch oder schweigen. Fraktionschef Spahn sprach von einer "vertretbaren Entscheidung" des Kanzlers. Fraktionsgeschäftsführer Steffen Bilger sagte bei ntv, man sei ja in einer Koalition und müsse die Entscheidung "akzeptieren". Wer solche Unterstützer hat, braucht keine Kritiker.

Der eigentliche Fehler: Söder war nicht eingebunden

Der hessische Ministerpräsident Boris Rhein begrüßte am Montag zwar "ausdrücklich, dass der Kanzler klargestellt hat, dass es keinen Wechsel in der deutschen Israel-Politik gibt". Vor allem aber betonte er, die hessische CDU stehe "uneingeschränkt an der Seite Israels". Solche Stimmen dürften kaum dazu beitragen, die Disziplin in der Unionsfraktion zu stärken - im Gegenteil.

Rhein bezog sich auf einen Merz-Auftritt in der ARD, mit dem dieser die Wogen glätten wollte. Dort hatte der Kanzler gesagt, die Grundsätze der deutschen Israel-Politik seien unverändert. Er macht auch deutlich, dass er die Entscheidung "nicht alleine getroffen" habe.

Dennoch ist klar: Die CSU wurde nicht ausreichend eingebunden. CSU-Chef Markus Söder scheint vorher weder gefragt noch informiert worden zu sein.

Das könnte der eigentliche Fehler gewesen sein - zudem einer, den Söder so bald nicht vergessen wird. Zwar betont der bayerische Ministerpräsident gern, wie gut er sich mit Merz versteht. Aber er macht auch immer wieder klar, wen von den beiden Parteivorsitzenden er als den starken Mann in der Union sieht: sich selbst.

CSU hält Merz' Entscheidung für "bedenklich"

Im Interview für ein "Heute Show Spezial" sagte Söder über die Abstimmungen der Unionsfraktion mit der AfD im vergangenen Januar, er sei ja kein Bundestagsabgeordneter: "Das war damals in der Sache korrekt, aber wir hatten alle große Bauchgrimme dabei, aber das war damals eine Entscheidung des Kanzlerkandidaten." Er fügte hinzu: "Und der Kanzlerkandidat hat im Wahlkampf immer recht."

Das Interview mit Söder wurde aufgezeichnet, bevor die Israel-Entscheidung fiel. Danach wäre Söder wohl noch deutlicher auf Distanz zu Merz gegangen. Auffällig ist jedenfalls, dass Söders Statthalter in Berlin in den Kanon der Kritik einstimmte. CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann sagte der "Bild"-Zeitung, die CSU sei an dieser Entscheidung "nicht beteiligt" gewesen und halte sie für "bedenklich".

So viel Distanzierung muss Merz zu denken geben, zumal Söders CSU ohnehin ein gefährlicher Partner für ihn ist. Ihre Teilnahme an der Koalition hat sie sich teuer bezahlen lassen. Als sich die Koalition zwischen der Ausweitung der Mütterrente und der Senkung der Stromsteuer für Privathaushalte entscheiden musste, fiel die Entscheidung im Sinne der CSU. Die Prügel bezog vor allem Merz.

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