Ali Doğan (SPD) ist seit 2023 Deutschlands erster Landrat mit Migrationshintergrund. Er hat alevitisch-türkische Wurzeln. Der 43-Jährige fordert in einem Interview eine „Doppelstrategie“, die er beim Thema Integration für unerlässlich sieht.

Im Gespräch mit dem „Cicero“ spricht sich der Landrat des Kreises Minden-Lübbecke in Nordrhein-Westfalen für mehr Ehrlichkeit in der Integrationsdebatte aus: „Wir haben viel zu lange geschwiegen, wenn es um ‚schwarze Schafe‘ unter Menschen mit Migrationshintergrund geht.“

Es sei zudem ein Problem, dass jeder kritische Vorstoß sofort als rechtsextrem gewertet werde. Stattdessen brauche es mehr Mut und Offenheit, um solche Themen sachlich anzusprechen. „Dabei hilft mir sicherlich mein Hintergrund als Akzeptanzquelle bei Migrantengruppen und der Mehrheitsgesellschaft. Gerade Menschen mit Migrationshintergrund bestärken mich vielfach“, sagte er dem Magazin. Er meint, dass viele Migranten seine klare Haltung in der Integrations- und Migrationsdebatte befürworten.

Integration durch Partizipation und Abschiebung

Seine nun geforderte „Doppelstrategie“ sieht vor, „tatsächliche Partizipation“ zu fördern – etwa genügend Kita-Plätze zur Verfügung zu stellen, gute Schulen mit ausreichend Personal und Schulsozialarbeit bei den Eingliederungsleistungen einzurichten. Sein Ziel: „Mit jeder Investition in Bildung und Qualifizierung für den Arbeitsmarkt sichern wir unsere eigene Zukunft als hoch entwickeltes Industrieland.“

Der zweite Teil der „Doppelstrategie“: „Wer schwere Straftaten begeht und nur eine ausländische Staatsbürgerschaft hat, muss abgeschoben werden – schnellstmöglich.“ Man tue damit auch anderen Migranten einen Gefallen, denn „soweit ich mein Ohr bei den Migranten habe, glaube ich nicht, dass diese Maßnahmen spalten.“

Viele Menschen mit Migrationshintergrund sähen das so wie er: „Kein verständiger Mensch verschließt sich gegen harte Sanktionen gegenüber gewalttätig straffällig gewordenen Menschen.

Wer rassistisch, antisemitisch und homophob sei, habe in „unserem Land“ nichts zu suchen. Es seien insbesondere Gruppen, die aus „patriarchalen Strukturen“ kommen. „Wir haben leider in Deutschland viel zu viele islamistische Parallelmilieus, auf die wir jahrzehntelang keinen Blick geworfen haben“, so Doğan.„Dazu zählen die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG), die Muslimbrüder oder die türkischen Grauen Wölfe“ – türkische Rechtsextremisten und Anhänger des jetzigen islamistischen Regimes in Syrien.

Der 43-Jährige sieht das bisherige Versäumnis beim Thema Integration beim „blauäugigen Staat“, der er „ist und war“. Es sei ein Fehler gewesen, nicht mit den kurdischen Autonomiebehörden zusammenzuarbeiten: „Wie einfach wäre es gewesen (...) zu identifizieren, ob ein Geflüchteter tatsächlich als Opfer flieht oder selbst Täter gegen Minderheiten war“, sagte er dem „Cicero“. Der Staat dürfe nicht noch mehr versäumen. Die Thematik sei komplex und führe „leider am Ende dazu, dass diejenigen, die ganz einfache und extremistische Antworten liefern, davon profitieren werden“.

Debatte um Integration hält an

Warum die deutsche Integrationsdebatte kaum Realitätsbewusstsein hat, erklärt Güner Balci, Integrationsbeauftragte in Berlin-Neukölln, im Interview mit WELT so: „Politische Themen sind für Politikerkarrieren nicht Erfolg versprechend. Das muss man ganz klar so feststellen. Alles, was man in diesem Bereich als Politiker anfasst, erfordert Durchhaltevermögen, Mut und Fachkenntnis.“

Und das spiegelt sich in den tatsächlichen Handlungen wider. Andreas Schleicher bescheinigt dem deutschen Bildungssystem gravierende Mängel beim Umgang mit Kindern mit Migrationshintergrund. Der Bildungsdirektor der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) findet, „es ist ein riesiges Problem, wenn dadurch ganze Schulen aus dem Gleichgewicht geraten. Das ist in Deutschland leider viel zu oft der Fall.“ Schleicher ist auch für den internationalen Schulleistungsvergleich Pisa verantwortlich. Gut ausgestattete Kitas mit klarem Bildungsauftrag seien der beste Weg, um sicherzustellen, dass alle Mädchen und Jungen die Sprache ausreichend beherrschten, sagte Schleicher der „Stuttgarter Zeitung“. Dazu gehörten verbindliche Sprachtests und frühe Diagnostik.

Auch der Freiburger Professor Bernd Raffelhüschen nennt drei Schlüsselfaktoren für eine gelingende und nachhaltige Migrationspolitik: Geschlecht, Alter und kulturelle Integration. „Meine Studien zeigen: Unser Land profitiert von Migration nur, wenn junge, tatsächlich qualifizierte Menschen kommen. Wir brauchen mehr Frauen und weniger Männer“, betont Raffelhüschen. Aktuell sei das Verhältnis unausgewogen: „Männer kommen zu viele. Hier brauche es ein Gleichgewicht.“

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