Geht es um Straftaten, hat NRW einiges zu bieten: mit Köln, Düsseldorf, Dortmund drei der zehn „kriminellsten“ Städte Deutschlands. Die Städte mit dem prozentual höchsten Diebstahlaufkommen. Das republikweit dichteste Netz an offenen Drogenszenen. Und der – gemessen an den Pro-Kopf-Straftaten – gefährlichste Hauptbahnhof der Republik in Dortmund.
Öffentlicher Verfall und politische Ohnmacht
Kaum verwunderlich, dass Sicherheit zu den Top-Themen des laufenden NRW-Kommunalwahlkampfs gehört. Dabei setzt sich über Parteigrenzen hinweg eine Erkenntnis durch: Erstaunlich viele (natürlich nicht alle) Kriminalitätsphänomene lassen sich vor allem in Städten auf eine Frage zurückführen: Was tun mit Drogensüchtigen im öffentlichen Raum? Noch keine Kommune hat eine befriedigende Antwort gefunden – obwohl offene Drogenszenen, Beschaffungskriminalität, aggressive süchtige Bettler und Verfallsambiente sie schon lange beschäftigen. Das wiederum erweckt den Eindruck kollektiver Ohnmacht: Das Problem kennt jeder – gelöst hat es keiner.
Kaum übersehbar ist jedenfalls, dass die vermehrte Anwesenheit von Drogensüchtigen aufs Sicherheitsgefühl der Bürger drückt – weil sie gleich mehrere unangenehme Folgen auslöst. So beobachtet Mönchengladbachs CDU-Oberbürgermeisterkandidat Christof Wellens, das ungelöste Problem mit Drogenabhängigen führe „dazu, dass es rund um die Bahnhöfe Zonen gibt, die nach Dunkelheit von der Bevölkerung gemieden werden. Damit einher geht eine Vermüllung von Gebieten, die zunehmend verwahrlosen“. Obendrein blühe die Beschaffungskriminalität.
Verheerende Angsträume
Ähnliches berichtet die Polizei etwa aus der Dortmunder Bahnhofsgegend. Zugleich löst das teils aggressive Betteln der Abhängigen Ängste aus – so beklagen es Lokalmedien vieler Städte. Einzelhandelsverbände schimpfen, dass Kunden ihre Geschäfte wegen der Junkie-Treffs mieden. Die Polizei beobachtet vielerorts vermehrt Diebstahl, Raub und Einbruch. Und über Parteigrenzen hinweg warnt die Lokalpolitik, (nicht allein, aber auch) durch die Süchtigen-Szenen entstünden immer größere „Angsträume“. Die wiederum beeinträchtigen „die Lebensqualität massiv“, sagt Julia Klewin, SPD-Oberbürgermeisterkandidatin in Essen. Vielen Menschen sei das Sicherheitsempfinden verloren gegangen. „Es gibt zu viele dunkle Ecken, unbeleuchtete Wege und verwahrloste Orte. Solche Angsträume werden von vielen gemieden.“
„Auf dem Weg, den öffentlichen Raum zu verlieren“
Tatsächlich nimmt laut Studien mindestens jede zweite Frau erhebliche Umwege in Kauf, um bestimmte Areale nach Einbruch der Dunkelheit zu umgehen. Auch Hagens CDU-Oberbürgermeisterkandidat Dennis Rehbein warnt, unter anderem das vermehrte Auftreten Suchtkranker führe dazu, dass „sich viele Bürger in Hagen insbesondere in den Abendstunden nicht mehr sicher“ fühlen. Das belegen auch Umfragen der dortigen Lokalzeitung. Um sich zu fürchten, sei auch nicht maßgeblich, ob es tatsächlich zu stark erhöhter Kriminalität an diesen Plätzen komme, so Rehbein. Die Süchtigen-Szenen flößen auch dann Angst ein, wenn es nicht permanent zu Straftaten kommt. Weshalb Dortmunds CDU-Oberbürgermeisterkandidat Alexander Kalouti warnt, die Städte seien „auf dem Weg, den öffentlichen Raum zu verlieren“. Es müsse etwas geschehen.
Kameras, Polizei und Licht – reicht nicht
Es ist auch einiges geschehen. In Dortmund zum Beispiel wird neben anderen Orten seit März auch der Bahnhofsvorplatz mit Kameras überwacht. Auch in Essen wurden Kriminalitäts-Hotspots mit vielen Gewaltdelikten und Drogenhandel unter Beobachtung durch Kameras gestellt, etwa die Drogenszene um den Porscheplatz. Dort konnte die Zahl der Drogendelikte deutlich gesenkt werden. Weshalb nun auch in anderen Kommunen wie Hagen die verstärkte Videoüberwachung zumindest von der CDU-Opposition gefordert wird.
In vielen Städten arbeiten Lokalpolitiker aber längst an Antworten auf die Drogenszene. Dabei vertrauen sie auf verstärkte Präsenz von Polizei und Ordnungsdienst, auf gründlichere Müllbeseitigung, weil Verwahrlosung eine zu Kriminalität einladende Atmosphäre schaffe. Und auf bessere Beleuchtung oder auf Umbau schlecht einsehbarer Wege, Unterführungen, Parks. In den meisten Kommunen streiten Regierung und Opposition also nicht darum, ob dieser Weg eingeschlagen werden soll, sondern darum, wie zielstrebig er beschritten wird.
Das ewige Katz-und-Maus-Spiel
Dieses Vorgehen ist fast immer erfolgreich. Der Erfolg beschränkt sich jedoch meist auf wenige Straßenzüge oder einzelne Plätze. 50 Meter weiter sieht es anders aus. Denn Kameraüberwachung, Streifen und ausgeleuchtete Räume sorgen nicht für das Verschwinden, sondern für das Verdrängen von Süchtigen und Kriminellen. In Dortmund sieht es am Hauptbahnhof nun zwar etwas weniger dramatisch aus, an der benachbarten Marien-Treppe und am Fußballmuseum hingegen sind nun mehr enthemmte Junkies anzutreffen. Und in Essen wurde zwar der Rheinische Platz mit Videoüberwachung und Polizeipräsenz befriedet, die Szene sammelt sich seitdem aber ein paar Straßen weiter.
Die Essener Sozialdemokratin Klewin befürchtet „einen Verdrängungseffekt. Dieses ‚Katz-und-Maus-Spiel‘ – heute wird ein Platz gesäubert, morgen taucht das Problem zwei Straßen weiter auf – ist eine der größten Herausforderungen.“ Dieser Effekt lässt sich auch für ganze Stadtteile beobachten. So ernannte Dortmunds Polizei 2014 die Nordstadt zum Schwerpunkteinsatz-Gebiet und platzierte dort etliche zusätzliche Beamte – mit Erfolg. Die Zahl der Straftaten sank bis 2022 um gut 35 Prozent. In der Nordstadt. Im gesamten Stadtgebiet schnellte sie jedoch hoch. 2024 verzeichnete die Stadt die höchste Anzahl an Straftaten seit 2016. Was aber nutzen sinkende Fallzahlen in einem Stadtteil, wenn sie in der Gesamtstadt steigen?
Ein „Wohnzimmer“ für Drogensüchtige?
Gleichwohl sind Kameras, Präsenz von Polizei und Ordnungsdienst, Beleuchtung, Entmüllung und Umbauten zumindest für CDU, SPD und FDP unverzichtbar – während sich die Grünen mit mehr Kameras und mehr Polizei etwas schwerer tun. Das letzte Wort in der Debatte um Gefahren des Süchtigen-Milieus sind diese Mittel jedoch für keine Partei.
Die Grünen befürworten vielerorts mehr Drogenkonsumräume, in denen es geduldet wird, Crack, Heroin oder Fentanyl in kleinen Mengen zu konsumieren. Druck, sich von bestimmten öffentlichen Orten fernzuhalten, wollen sie keinesfalls auf Süchtige ausüben. Auf den Punkt brachten dies die Kölner Grünen. Sie erklärten, Drogenkonsumenten sollten ihre Stadt als „Wohnzimmer“ erleben. Etwas differenzierter wirkt die SPD. Ihre Kandidaten sind eher geneigt, Suchtkranke einerseits zu vertreiben, wo sie unerwünscht sind, sofern ihnen andererseits mehr Hilfen angeboten werden. So fordert SPD-Frau Klewin parallel zu Verdrängungsmaßnahmen auch „mehr Streetworker, Suchtberatung, in Zusammenarbeit mit dem Land eventuell Drogenkonsumräume oder Ausstiegsprogramme.“
Nach Schweizer Vorbild
Am klarsten bekennt sich die CDU (und die AfD) in vielen NRW-Kommunen zu einer Kombination von Repression und Hilfe, um Drogenszenen als Problemquelle trockenzulegen. Ob in Köln, Dortmund oder Mönchengladbach – überall orientieren sich Christdemokraten am sogenannten Zürcher Modell. Auch in Zürich litten Bürger unter ausufernden Drogenszenen. Dann setzte die Stadt eine Doppelstrategie um. Einerseits wurde konsequent jede öffentliche Drogenszene aufgelöst. Notfalls mit Gewalt wurden Junkies von der Straße vertrieben. Andererseits wurden dezentral im gesamten Stadtgebiet attraktive Räume für Hilfsangebote, Drogenkonsum und Aufenthalt der Junkies eingerichtet als Alternative zur Straße. Dieses Angebot dürfen aber nur in der Stadt gemeldete Süchtige nutzen, um keinen Magneteffekt zu erzeugen.
„Kein Wohnzimmer!“
Das schwebt auch Dortmunds CDU-Kandidaten Kalouti vor. „Wir brauchen wieder einen sicheren öffentlichen Raum – und die Suchtkranken brauchen mehr aufsuchende Sozialarbeiter und besser ausgestattete Konsum- und Aufenthaltsräume. Aber die sollten nur Dortmundern offenstehen. Bislang ist unsere Stadt ein Anziehungspunkt für Drogensüchtige aus dem ganzen Umland. Das muss aufhören.“ Auch mit dem Zürcher Modell werde man zwar nicht alle Abhängigen erreichen. Aber: „Wenn wir einen Teil von der Straße bekommen, wäre das schon ein Erfolg. Unsere Stadt soll für enthemmte Drogenkonsumenten doch kein Wohnzimmer sein“.
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