Nach heftiger Kritik auch aus der eigenen Partei und der CSU am Kurswechsel von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) in der Israel-Politik ist die Parteispitze um Schadensbegrenzung bemüht. In einem Papier, das mit „Hintergrund zur Erklärung des Bundeskanzlers“ überschrieben ist und WELT vorliegt, wird neben der Begründung für das gegen Israel verhängte Embargo bestimmter Waffensysteme deutliche Kritik an Israels Regierung und ihrem militärischen Vorgehen im Gaza-Streifen geübt.

Die Entscheidung des israelischen Sicherheitskabinetts vom 7. August, die Militäroffensive im Gaza-Streifen beträchtlich auszuweiten und eine Belagerung von Gaza-Stadt einzuleiten, berge „erhebliche Risiken für die Sicherheit der Geiseln, die von der Hamas festgehalten werden, darunter auch weiterhin deutsche Staatsangehörige“. Sie drohe, die bereits „katastrophale humanitäre Lage im Gaza-Streifen weiter zu verschärfen. Es kann zu vielen weiteren zivilen Opfern kommen.“

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Weiter heißt es in dem Papier, das aus der Bundesparteizentrale Konrad-Adenauer-Haus an die Vorstandsmitglieder verschickt wurde, es sei aus Sicht der Bundesregierung fraglich, ob durch eine Ausweitung der militärischen Operationen in Gaza die Chancen auf ein Waffenstillstandsabkommen erhöht werde. „Wie diese Entscheidung den Israelis und den Palästinensern einem Leben in Frieden und Sicherheit näherbringen soll, erschließt sich nicht“, lautet das Fazit.

Das Papier enthält außerdem eine Warnung mit Blick auf die Entwicklung der inneren Sicherheitslage in Deutschland und Europa – wobei Israel in entscheidende Mitverantwortung genommen wird: „Diese Eskalation trägt auch zur Verschärfung gesellschaftlicher Konflikte in Deutschland und Europa bei, die wir auch im Sinne unserer Verpflichtung gegenüber dem Staat Israel vermeiden müssen.“

Diese Passage sorgt in Teilen der Unionsfraktion für Empörung. „Damit wird Israel verantwortlich gemacht für die Eskalation der Sicherheitslage, zum Vorgehen propalästinensischer Gruppen und ihrer Verantwortung kein einziges Wort“, entrüstet sich ein Mitglied des Auswärtigen Ausschusses gegenüber WELT.

Die Bundesregierung „hofft“ nun, dass die israelische Regierung weiter zu Verhandlungen über einen Waffenstillstand bereit ist, heißt es in dem Papier weiter. Sie „erwartet zudem, dass die israelische Regierung in Gaza einen umfassenden Zugang für humanitäre Hilfslieferungen gewährt, auch für Organisationen der Vereinten Nationen“. Die israelische Regierung stehe in der Verantwortung, die humanitäre Lage im Gaza-Streifen umfassend und nachhaltig zu verbessern.

Das Papier wurde kurz vor einer außerordentlichen Sitzung der Arbeitsgruppe Auswärtiges der Unionsfraktion im Bundestag verschickt. In dieser Sitzung am Sonntagnachmittag wollen die Abgeordneten Beweggründe für die Entscheidung des Kanzlers erfahren. „Wir würden gerne wissen, wie es zu diesem Beschluss, an dem wir nicht beteiligt waren, gekommen ist“, sagt ein Mitglied des Ausschusses WELT.

Das Papier war dem Vernehmen nach zunächst nur für die Kabinettsmitglieder gedacht, wurde dann aber am Sonntag auch an die Mitglieder des Bundesvorstands verschickt. Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses erfuhren zum Teil beiläufig über interne WhatsApp-Gruppen von dem Papier. „Ist das eine Art, wie man uns vor einem derart wichtigen Treffen vorab informiert?“, fragt ein Ausschussmitglied verärgert.

„Ausdrücklich auf möglichen Einsatz in Gaza beschränkt“

Der Kanzler und die Parteispitze versuchen in ihrer schriftlichen Erklärung, die Entscheidung des teilweisen Embargos zu relativieren: „Schon bisher sind Waffen und Munition, die im Gaza-Streifen genutzt werden, an Israel nicht geliefert worden. Die Entscheidung über weitere Rüstungsgüter ist ausdrücklich auf einen möglichen Einsatz in Gaza beschränkt“, heißt es. Außenminister Johann Wadephul (CDU) hatte ein solches Embargo schon vor Wochen gefordert – und aus der Union heftige Kritik zu hören bekommen.

Die Frage ist nun, welche Rüstungsgüter nicht mehr an Israel geliefert werden sollen; also ob man genau trennen kann, was die israelische Armee in Gaza einsetzen kann und was sie zur Verteidigung des jüdischen Staats braucht. Israel sieht sich weiterhin einer massiven Bedrohung von Staaten in der Region ausgesetzt, allen voran der Iran, der islamistische Milizen finanziert. Kanzler und CDU-Spitze versuchen, das so zu erklären: „Es gibt Einsatzbereiche, die diese Formulierung nicht abdeckt. Das gilt etwa für Rüstungsgüter der Luft- und Seeverteidigung, die zentral für die Selbstverteidigung Israels sind.“ Das heißt, die Bundesregierung beansprucht für sich die Deutungshoheit darüber, was Israel zur Selbstverteidigung benötigt.

Zuletzt übt die CDU-Spitze scharfe Kritik an der israelischen Regierung mit Blick auf das Vorgehen des Landes in der Westbank. „Die Bundesregierung beobachtet sehr genau die politische Entwicklung im Westjordanland. Annexionsdrohungen, auch aus dem israelischen Kabinett heraus, sowie illegale Siedlungen und Gewalt von Siedlern gegen Palästinenser untergraben die Aussichten auf eine auf dem Verhandlungsweg erzielte Zwei-Staaten-Lösung“, heißt es in dem Papier. „Die Bundesregierung tritt daher weiter Bemühungen entgegen, israelische Souveränität über die besetzten palästinensischen Gebiete zu erlangen.“

Nikolaus Doll berichtet für WELT über die Unionsparteien sowie über die Bundesländer im Osten.

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