Es ist 33 Jahre her, dass Kang Chol-hwan aus Nordkorea nach Südkorea geflohen ist. Dennoch beschäftigt er sich noch immer täglich mit seinem Geburtsland – und mit den zehn Jahren, die er in Yodok verbrachte, einem der berüchtigtsten Straflager Nordkoreas. „Die Straflager in Nordkorea sind eine Art Mischung aus Stalins sibirischen Gulags und Hitlers Konzentrationslagern, nur dass sie schon seit über 70 Jahren existieren“, erzählt Kang.
In seinem Büro im 13. Stock eines Hochhauses in Seoul steht eine kleine Freiheitsstatue, aus dem Fenster sieht man die von Wolkenkratzern geprägte Skyline der südkoreanischen Hauptstadt. Ein großer Kontrast zu Pjöngjang in Nordkorea, aus der der 56-jährige Kang stammt. Auf der Landkarte sind die beiden Städte nur 195 Kilometer voneinander entfernt. Aufgrund der seit 80 Jahren andauernden Teilung Koreas liegen sie jedoch auch im Jahr 2025 noch in zwei völlig verschiedenen Welten.
Nicht nur in den Lagern ist das Leben der Nordkoreaner eingeschränkt. Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit und Bewegungsfreiheit gibt es nicht, stattdessen sind die Bürger zur Teilnahme an Propagandaritualen und zur Verrichtung unbezahlter Arbeit verpflichtet. „Eigentlich kann man sagen, dass ganz Nordkorea ein einziges großes Gefängnis ist“, sagt Kang.
Wie anders und repressiv Nordkorea sein würde, ahnten Kangs Eltern und Großeltern nicht, als sie 1961 aus dem japanischen Kyoto, wo sie als Unternehmer Erfolg und Wohlstand erlangt hatten, nach Pjöngjang auswanderten. Kang wurde 1968 in der nordkoreanischen Hauptstadt geboren und wuchs in privilegierten Verhältnissen auf.
Schon damals war Nordkorea unfrei, doch erst nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion prägten Armut und Hunger das Land. Kangs Familie genoss die Privilegien der Elite, wurde jedoch mit der Zeit misstrauisch beäugt, da sie so lange im „kapitalistischen und imperialistischen“ Japan gelebt hatte. Diese Verdächtigungen wurden ihnen schließlich zum Verhängnis.
Im Jahr 1977 wurde der Großvater der Spionage und Feindseligkeit gegenüber dem Regime beschuldigt. Dafür wurde nicht nur er, sondern seine ganze Familie bestraft. Der neunjährige Kang wurde zusammen mit seiner Großmutter, seinen Eltern, seinem Onkel, seiner Tante und seiner Schwester in das berüchtigte Straflager Yodok gebracht. Sein Großvater kam in ein anderes Lager. Sie sollten ihn nie wieder sehen.
„Als wir in Yodok ankamen, wurden die Menschen getrennt: Ein Teil wurde sofort ermordet, die Übrigen mussten Zwangsarbeit leisten“, erinnert sich Kang – ein System, das an die Konzentrationslager der Nazis erinnert. Seine Erfahrungen in Yodok beschrieb er später in dem Buch „The Aquariums of Pyongyang“, das 2000 erschien. Es war einer der ersten Berichte eines Nordkoreaners, der in westlicher Übersetzung veröffentlicht wurde – und für viele Menschen im Westen das erste Mal, dass sie von den Straflagern hörten.
In Yodok mussten Kang und seine Familienangehörigen von morgens bis abends schwere körperliche Arbeit verrichten, berichtet Kang. Obwohl er noch ein Kind war, musste er Bäume fällen und beim Mais- und Kartoffelanbau helfen; andere schufteten in einer Goldmine oder einer Kalkfarm. Er musste mit bloßen Händen menschliche Exkremente aus Latrinen holen, die als Dünger verwendet wurden.
Gleichzeitig bekamen sie so wenig zu essen, dass sie stark abmagerten. Heimlich jagte Kang Frösche, Mäuse und Ratten, um sich zusätzlich zu ernähren. Körperliche Misshandlung war an der Tagesordnung. „Wir lebten nicht in Häusern, sondern in Baracken, die eher wie Hütten aus Lehm gebaut waren“, sagt Kang. Viele Häftlinge überlebten die Lagerbedingungen nicht. Kang und seine Klassenkameraden mussten die Leichen der Verstorbenen begraben.
Nach zehn Jahren wurde Kang 1987 aus der Haft entlassen. Danach kam er mit Nachrichten aus Südkorea in Kontakt – einer anderen Welt. Er hörte südkoreanische Radiosendungen, sang heimlich südkoreanische Lieder und fertigte regierungskritische Zeichnungen an. Nicht, dass Kang diese Informationen gebraucht hätte, um seinen Glauben an das nordkoreanische Regime zu verlieren. Dafür hatte Yodok bereits gesorgt.
Was ihn schließlich zur Flucht veranlasste, war die begründete Angst, erneut in ein Straflager zu kommen. Er teilte seinen Hass auf das Kim-Regime mit einigen Menschen, was wiederum den Sicherheitsdiensten zu Ohren kam. Als klar wurde, dass er erneut verhaftet werden könnte, floh er aus dem Land. 1992 überquerte er die Grenze zu China. Von der Gruppe aus zehn Menschen, mit denen er floh, konnten nur er und eine weitere Person der Verhaftung entgehen.
Nach sechs Monaten erreichte Kang Südkorea, wo er zu einem der bekanntesten Aktivisten für Menschenrechte in Nordkorea wurde. Er leitet eine eigene NGO und schreibt regelmäßig als Journalist für die größte südkoreanische Zeitung „Chosun Ilbo“ über Nordkorea. „Natürlich war es schwierig, mich hier zurechtzufinden, aber nicht so schwierig wie das Leben in Nordkorea“, erzählt er. „Mit harter Arbeit und Durchhaltevermögen kann man hier etwas aus seinem Leben machen.“
Nordkoreaner werden kritischer
Seit dem Erscheinen von „The Aquariums of Pyongyang“ sind 25 Jahre vergangen. Wie blickt Kang nach einem Vierteljahrhundert auf das Buch zurück? „Ich denke, es ist immer noch relevant“, sagt der Autor. „Das System in den Lagern hat sich seit meiner Zeit dort kaum verändert.“
Nach der Veröffentlichung seines Buches wurde Kang von vielen Organisationen um Vorträge gebeten – auch der damalige US-Präsident George W. Bush las das Buch und lud ihn 2005 ins Weiße Haus ein. „Die Menschenrechtsverletzungen in Nordkorea wurden zu einem weltweit bekannten Thema, insbesondere nachdem Bush ihnen ausführlich Aufmerksamkeit schenkte“, sagte Kang. Seitdem weiß die ganze Welt von den Lagern, es erscheinen immer noch neue Berichte darüber.
Was sich inzwischen geändert habe, sei die Art und Weise, wie die Nordkoreaner heute ihre Regierung sehen, sagt Kang. „Das begann in der Hungersnot der 1990er-Jahre, als die Regierung die Verteilung von Rationen einstellte.“ Mehr als eine Million Nordkoreaner sollen damals verhungert sein. „Später entstanden Schwarzmärkte und mehr Bürger kamen mit Informationen von außen in Kontakt. Das hat die Bürger viel kritischer gegenüber dem Regime gemacht“, erklärt der Autor.
Die Menschen hätten sich schließlich selbst einen Schwarzmarkt eingerichtet – was in einem Land, in dem die Eigeninitiative der Bürger normalerweise brutal unterdrückt wird, bemerkenswert ist. „Dieser Markt schuf mehr Freiheit für die Menschen, die auch begannen, mehr miteinander zu reden und alternative Ideen auszutauschen.“
Die wirkliche Veränderung aber sei eingetreten, nachdem auch geschmuggelte südkoreanische Serien, Filme und Musik über diese Märkte gehandelt wurden. Die Nordkoreaner bekamen einen Einblick in die Kultur ihres südlichen Nachbarn, in der nicht nur Wohlstand und Kunst, sondern auch freie Umgangsformen völlig anders waren. „Diese Medien haben einen unbestreitbaren Einfluss darauf, wie die Menschen über das Land denken, in dem sie leben“, sagt Kang.
„Sie sehen, dass sie vom Kim-Regime, das sie jahrzehntelang im Stich gelassen hat, nichts zu erwarten haben und dass die einzige Möglichkeit, ihr Leben zu verbessern, in der Wiedervereinigung mit Südkorea liegt. Oder besser gesagt, wenn Südkorea hierherkommt und die Macht übernimmt.“ Doch im vergangenen Jahr schloss Kim Jong-un eine Wiedervereinigung mit Südkorea aus und bezeichnete das Land als „Feind Nummer eins“.
Denkmäler, Websites und Begriffe, die sich auf die Wiedervereinigung bezogen, verschwanden einfach. „Das liegt daran, dass Kim sich durch den Bewusstseinswandel der Menschen bedroht fühlt, er sieht darin eine Bedrohung für seine Ideologie.“
Und darauf antwortet er mit der einzigen Waffe, die er kennt: mehr Repression. In den letzten Jahren wurden die Strafen für das Ansehen von südkoreanischen Filmen und Serien verschärft.
Im Juni trat in Südkorea mit dem linksliberalen Lee Jae-myung ein neuer Präsident sein Amt an, der sofort eine Handreichung an das nordkoreanische Regime machte. Die Propagandalautsprecher entlang der Grenze wurden abgeschaltet und Aktivisten daran gehindert, Ballons mit Informationen und Hilfsgütern über die Grenze zu schicken.
Am Wochenende begann auch Nordkorea entlang der Grenze zu Südkorea mit dem Abbau von Lautsprechern, die bisher für Propagandasendungen genutzt wurden. Das teilte der Generalstab in Seoul nach Angaben der südkoreanischen Nachrichtenagentur Yonhap mit.
Lee sagt, er sei offen für Gespräche mit Nordkorea – doch die Bereitschaft beruht nicht auf Gegenseitigkeit. Die einflussreiche Schwester von Machthaber Kim Jong-un, Kim Yo Jong, hat den Gesprächsangeboten eine Absage erteilt. „Wir stellen erneut die offizielle Haltung klar, dass unabhängig davon, welche Politik Seoul beschließt und welche Vorschläge es macht, wir kein Interesse daran haben“, sagte Kim Yo Jong laut einem Bericht der staatlichen Nachrichtenagentur KCNA.
Kang hofft, noch erleben zu dürfen, wie Kim Jong-un vor dem Internationalen Strafgerichtshof erscheint. In den letzten Jahren hatte er mehrfach dafür plädiert, den Diktator dort anzuklagen – bislang jedoch ohne Erfolg.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke