Gut möglich, dass wir Deutschen stärker an manchen Klischees über Frankreich festhalten als die Franzosen selbst. Dazu gehört auch das Rauchen, das vielen bis heute als untrügliches Zeichen rebellischer Genusssucht gilt, die im krassen Gegensatz zum Langlebigkeitskult des Silicon Valley steht. Aber auch in Frankreich werden die Raucher weniger, auch wenn es noch immer überdurchschnittlich viele sind.
Das Land zählt laut der jüngsten Eurobarometer-Umfrage mit einer Quote von 27 Prozent der Erwachsenen zu den zehn EU-Nationen mit den meisten Rauchern. Innerhalb der OECD gehört Frankreich zu den Ländern mit hohen Raucherquoten. Prävention, hohe Preise, Verbote, all das hatte dort weniger Effekt als anderswo.
Das mag damit zusammenhängen, dass Zigaretten niemals nur Zigaretten waren. Sie sind Ausdruck des Zeitgeists, Teil der Kultur. Es gab Zeiten, da stand man inmitten von Kippen, wenn man am Tresen eines Pariser Bistros seinen Kaffee trank. Der Zigarettenstummel wurde achtlos fallen gelassen und mit dem Fuß ausgetreten. Hin und wieder nahm der Wirt den Besen zur Hand und fegte die Kippen in eine Ecke.
Es schien, als hing in jeder Küche das Plakat mit den drei rauchenden Chansonniers Jacques Brel, Léo Ferré und Georges Brassens. Kein Filmklassiker ohne „clope“, ohne Zigarette. Untrennbar damit verbunden: der Mund von Brigitte Bardot, die heisere Stimme von Jeanne Moreau. Im Thriller „Der eiskalte Engel“ gibt es eine Szene, zwei Minuten lang, in der Alain Delon nichts anderes tut als zu rauchen. Und Jean-Paul Belmondo liegt in „Außer Atem“ sterbend auf der Straße, während er lustvoll den Qualm seiner allerletzten Zigarette ausstößt.
Inzwischen wird uns eingeredet, dass diese französischen Genussmenschen, die nicht an morgen denken, nur noch in der Netflix-Serie „Emily in Paris“ existieren. Denn die spindeldürre Emily, die aus Amerika nach Paris gezogen ist und sich keinem Exzess hingibt, doziert vor ihren Kollegen der Werbeagentur, dass Zigaretten Diabetes und Krebs verursachen. „Aber was wären wir ohne Genuss?“, fragt ihr Kollege. „Deutsch“, lautet die trockene Antwort von Emilys französischer Chefin Sylvie.
Es wird fröhlich weiter geraucht
Regeln sind deutsch, Genuss ist französisch. Und nun wird den Franzosen das Rauchen verboten? Deutsche, so hört man im Nachbarland, blasen ihren Frankreich-Urlaub ab, weil die Pariser Regierung das Rauchen an Stränden untersagt. Es klingt, als hätte sich das Land des Savoir-vivre mit einem Schlag in einen Polizeistaat verwandelt.
Hiermit sei Entwarnung gegeben. Die Packung Gauloises Blondes kostet 12,50 Euro, aber es wird weiter fröhlich gequalmt in Frankreich. Auf den Terrassen der Cafés und Bistros darf geraucht werden. Auch auf der Straße. Nur nicht mehr vor Schulen, an Bushaltestellen, an Stränden, überall dort, wo sich Kinder aufhalten könnten. Die Franzosen nehmen das hin.
Niemand geht auf die Barrikaden. Als das Gesetz am 1. Juli in Kraft trat, versicherten viele Bürgermeister, dass es nicht ihre Aufgabe sei, solche Verbote durchzusetzen.
Es ist mit anderen Worten also ein sehr französisches Gesetz: Man legt es nach eigenem Ermessen aus, es gibt Spielraum. Dem deutschen Urlauber fehlt dafür vielleicht das Vorstellungsvermögen. Er bleibt in seiner heimischen Raucherecke und schmollt.
Martina Meister berichtet im Auftrag von WELT seit 2015 als freie Korrespondentin in Paris über die französische Politik.
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