Eine Frau wird beim Joggen im Wald von einem Mann verfolgt und gefilmt – und kann den Voyeur dafür anschließend nicht anzeigen. Das erlebte im Februar Yanni Gentsch in Köln. Gentsch konfrontierte den älteren Mann noch vor Ort und forderte ihn auf, das Video zu löschen. Ein von ihr gefilmtes Video des Vorfalls wurde seitdem allein auf Instagram mehr als 15 Millionen mal angesehen. Der Mann behauptete darin, Gentsch trage mit ihren Laufleggings die Schuld für sein Verhalten, schließlich sei das keine „normale“ Hose.
Dass Gentsch keine Anzeige erstatten konnte, liegt in der derzeitigen Ausgestaltung des Paragrafen 184k Strafgesetzbuch. Jener 2020 von der damaligen großen Koalition geschaffene „Upskirting“-Paragraf verbietet das Fotografieren von Genitalien, Gesäß und weiblicher Brust mit oder ohne Unterwäsche – allerdings nur, wenn explizit etwa unter den Rock oder in den Ausschnitt fotografiert oder gefilmt wird.
Mit einer Petition an Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) will Gentsch das ändern. „Heimliches, sexuell motiviertes Filmen muss strafbar sein – egal, ob mit oder ohne nackte Haut“, heißt es im Petitionstext, den mittlerweile mehr als 82.000 Menschen unterzeichnet haben. Der nordrhein-westfälische Justizminister, Benjamin Limbach (Grüne), will das Anliegen auf der nächsten Justizministerkonferenz unterstützen. Gentsch schreibt: „Ob im Freibad im Bikini oder beim Joggen mit enger Hose: Wir wollen uns sicher fühlen! Mit einem Gesetz im Hintergrund, das uns wirklich schützt.“
Das Bundesjustizministerium teilt auf Anfrage mit, „die Entwicklungen im Bereich von bildbasierter sexualisierter Gewalt sehr ernst“ zu nehmen. Den Fall der gefilmten Joggerin halte man für „digitalen Voyeurismus“. Im Koalitionsvertrag einigten sich CDU/CSU und SPD darauf, Gesetzeslücken im Strafrecht hinsichtlich „bildbasierter sexualisierter Gewalt“ zu schließen und gegebenenfalls weitere Erscheinungsformen zu erfassen. „Das Bundesjustizministerium prüft derzeit, wie diese Vorgaben am besten umgesetzt werden können“, sagt ein Ministeriumssprecher WELT und „Politico“.
Unterstützung aus Koalition und Opposition im Bundestag
Im Bundestag gibt es eine breite Zustimmung für Gentschs Anliegen. „Wer heimlich andere Menschen sexuell motiviert filmt, verletzt ihre Intimsphäre und überschreitet eine klare Grenze“, sagt Susanne Hierl (CSU), rechtspolitische Sprecherin der Unionsfraktion. Man nehme die Petition ernst und prüfe mit dem Koalitionspartner, ob der bestehende Straftatbestand angepasst werden müsse.
Der Koalitionspartner macht Druck. Die Sozialdemokraten halten die aktuelle Gesetzeslücke für „unerträglich“ und sehen „klaren“ Handlungsbedarf. „Wer andere heimlich filmt und dabei sexualisierte Motive verfolgt, greift massiv in deren Persönlichkeitsrechte ein – das muss strafbar sein“, sagt Carmen Wegge, Sprecherin der SPD-Fraktion für Recht und Verbraucherschutz. Der „Upskirting“-Paragraf sei nur ein erster Schritt. „Kleidung oder Kamerawinkel dürfen nicht darüber entscheiden, ob ein übergriffiges Verhalten strafrechtlich verfolgt werden kann“, so Wegge zu WELT und „Politico“. „Niemand soll sich im öffentlichen Raum verstecken müssen, weil andere meinen, aus Lust oder Machtfantasien heimlich filmen zu dürfen.“
Unterstützung kommt auch aus der Opposition. Die Forderung nach einer Verschärfung des bestehenden Strafrechts sei „gerechtfertigt und sollte unterstützt werden“, so Tobias Matthias Peterka, rechtspolitischer Sprecher der AfD-Fraktion. Es müssten „sämtliche Umstände“ genannt werden: „Es kann nicht sein, dass Frauen und Mädchen allein aufgrund ihres westlichen Kleidungsstils Opfer von Belästigungen werden. Die aktuelle Berichterstattung über derartige Übergriffe in Freibädern müsste eigentlich Warnung genug sein.“
Die Petition schlage einen „Baustein bei der Bekämpfung sexualisierter Gewalt“ vor, sagt Lena Gumnior, Obfrau der Grünen-Fraktion im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz. „Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung ist kein Recht zweiter Klasse – es ist genauso schützenswert wie das Recht auf Eigentum beim Diebstahl im Supermarkt.“ Es brauche ein „kollektives Verständnis von Grenzen, Einvernehmlichkeit, Selbstbestimmung und Konsens“, Frauen sollten sich anziehen können, wie sie wollen, ohne Angst vor Übergriffen haben zu müssen. „Dem Strafrecht kommt hier auch eine kommunikative Wirkung in die Gesellschaft hinein zu: Wer sexuell motiviert und ohne Konsens fotografiert oder filmt, greift gezielt in das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung ein. Das muss strafbar sein“, so Gumnior.
Die Linke schließt sich zwar der Kritik an Voyeur-Aufnahmen an, lehnt eine Gesetzesverschärfung allerdings ab. „Das heimliche Filmen anderer Personen in sexueller Absicht ist für die Betroffenen herabwürdigend, beeinträchtigt sie in ihrer Freiheit und stellt ohne Zweifel eine Verletzung des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung dar“, sagt Luke Hoß, der für die Linke im Rechtsausschuss des Bundestags sitzt. Jenes Verhalten sei „Ausdruck eines tiefergehenden gesellschaftlichen Sexismus“, dem in allen Erscheinungsformen entgegenzutreten sei.
Für „wirksame und langfristige Prävention“ brauche es bildungspolitische Maßnahmen, wie „antipatriarchale Erziehung in Kindergärten und Schulen“, so Hoß. „Wir müssen auf eine Gesellschaft hinarbeiten, in der Männer nicht auf die Idee kommen, Frauen ungefragt zu filmen.“ Die Linke stehe Verschärfungen des Strafrechts jedoch „grundsätzlich kritisch gegenüber“, denn härtere Strafen führten oft nicht zu weniger Straftaten.
Politikredakteur Kevin Culina berichtet für WELT über Gesundheitspolitik, die Linkspartei und das Bündnis Sahra Wagenknecht. Er berichtet zudem regelmäßig über Strafprozesse und Kriminalität.
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