Seit kurzem erlaubt Israel wieder mehr Nahrungsmittel-Transporte zu den Hungernden im Gazastreifen. Nun startet Deutschland eine Luftbrücke ins Notgebiet. Warum ist die Lage dort so dramatisch und weshalb hagelt es Kritik an Deutschlands Hilfe aus der Luft? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Wieso nutzen die Hilfswerke nicht mehr Grenzübergänge nach Gaza?

Von Israel aus könnten drei Grenzübergänge nach Gaza zur Verfügung stehen - Kerem Schalom, Erez und Erez-West. Von Ägypten aus gibt es einen weiteren, den Übergang zum Grenzort Rafah. Die israelische Armee IDF hat die vier Grenzübergänge nach Gaza abgeriegelt, um die gesamten Hilfslieferungen auf einen Übergang zu konzentrieren. Das ist der Übergang Kerem Schalom im Dreiländereck Gaza-Israel-Ägypten. Auch Hilfsgüter, die auf der ägyptischen Seite am Grenzübergang Rafah lagern, müssen nach Kerem transportiert werden, damit Israel sie dort kontrollieren kann.

Kerem ist der größte Übergang und am besten ausgebaut. Er wird darum seit jeher stark für Hilfslieferungen genutzt. Vor Kerem stauen sich allerdings die LKW mit Hilfsgütern, da die israelischen Behörden die Ladung jedes Wagens kontrollieren und genehmigen wollen.

Immer wieder erneuern Hilfsorganisationen wie das UN-World Food Programme (WFP) ihre Forderung, mehr Grenzübergänge für Hilfsgüter zu öffnen. Der Gazastreifen ist klein und schmal, und die Bevölkerung hat sich den israelischen Evakuierungsaufrufen folgend fast komplett im Süden des Küstenstreifens gesammelt. Viele Straßen sind wegen der Trümmer nicht mehr befahrbar. Müssen letztlich alle Trucks dieselben Routen zum selben Ziel befahren, staut es sich automatisch auch auf den Straßen hinter der Grenze.

Warum dauern die Kontrollen so lange und was wird gesucht?

Jeder Transporter muss für die Kontrolle komplett entladen werden. Jede einzelne Palette wird am Boden auf ihren Inhalt überprüft. Wenn es nichts zu beanstanden gibt, wird sie auf einen anderen LKW umgeladen. Erst dann geht es über die Grenze. Ein ungeheurer logistischer Aufwand bei Hunderten von Lastwagen.

Den israelischen Behörden geht es zum einen darum, Waffenschmuggel für die Hamas zu verhindern. Aber auch Ladung, die von den Terroristen gekapert und zu ihren Zwecken genutzt werden könnte, wird nicht genehmigt. "Beim letzten Mal wurden von unserem LKW Rollstühle und Gehhilfen beanstandet", berichtet Christian Katzer, Geschäftsführer von Ärzte ohne Grenzen Deutschland (MSF). Die Organisation leistet medizinische Hilfe in Gaza und transportiert auch Nahrungsmittel dorthin.

"Wenn irgendein Teil der Ladung beanstandet wird - wie in dem Fall die Gehhilfen -, darf von dem Lastwagen nichts abgeladen werden, sondern er fährt mit der kompletten Ladung zurück", sagt Katzer ntv.de. Dann müssen die Nothelfer eine neue Genehmigung für die gesamte Ladung des LKWs beantragen. Die Zusage der Israelis dauert mehrere Tage, manchmal auch Wochen.

"Wir haben mit der Genehmigung immer Probleme, weil - wirklich sehr theoretisch - jedes medizinische Gut auch für militärische Zwecke genutzt werden könnte", so Katzer. "Treibstoff zu liefern ist schwierig, aber auch Sauerstoffgeräte, Verbandsmaterial, Anästhesiemittel." Ohne Treibstoff allerdings können Krankenstationen ihre Stromgeneratoren nicht betreiben. Ohne medizinische Güter ist die Versorgung Verletzter nicht möglich.

Katzer kann den Argwohn der israelischen Seite nicht nachvollziehen. "Bislang hat die Hamas keine Transporter von uns systematisch geplündert. Wir hatten auch im Gazastreifen volle Kontrolle über unsere Lieferungen, konnten und können diese in unsere Lagerhäuser bringen und von dort aus auf die Krankenhäuser verteilen." Israel hatte Anfang März erklärt, die Humanitäre Hilfe würde vielfach mit Gewalt von der Hamas an sich gerissen. Darum hatte die Regierung alle Hilfslieferungen zwei Monate lang blockiert.

Wieviel Hilfe kommt nach Gaza durch?

Von Anfang März bis Mitte Mai schlossen die israelischen Behörden den Grenzübergang Kerem Schalom nach Gaza. Zwei Monate lang gelangte keinerlei humanitäre Hilfe zur notleidenden Bevölkerung. Nach Aufhebung der Blockade verweigerte Israel noch immer dem World Food Programme und anderen professionellen Hilfswerken den Zugang nach Gaza. Stattdessen brachte man selbst Hilfsgüter in den Küstenstreifen, allerdings deutlich weniger als notwendig. An den vier Verteilstellen für 2,1 Millionen Menschen kam es immer wieder zu Chaos, Panik und tödlichen Schüssen der israelischen Soldaten und Sicherheitsleute auf unbewaffnete Menschen.

Der internationale Protest war massiv. Zuletzt trugen in der vergangenen Woche 29 Staaten eine Protestnote mit, die Israel dazu aufforderte, sofort umfangreiche Hilfe nach Gaza zuzulassen. Viele europäische Länder wie Frankreich, Großbritannien, Italien, die Benelux- und die Baltenstaaten waren dabei, ebenso Japan, Kanada und Neuseeland. Bundeskanzler Friedrich Merz unterschrieb die Forderung nicht.

In den vergangenen Tagen hat Israel seine Blockade gegen internationale Hilfe nach und nach gelockert. Israel bilanziert, in der vergangenen Woche seien 600 LKW mit Hilfsgütern durchgelassen worden. Für die umfassende Versorgung der zwei Millionen Hungernden wären allerdings 600 bis 700 LKW-Ladungen pro Tag notwendig. Die Situation verbessert sich also nur langsam.

Für den gestrigen Tag bilanzierte man, dass 200 LKW internationaler Organisationen ihre Ladung in Gaza verteilen konnten. 260 LKW durften demnach die Grenze passieren, warten aber im Gazastreifen noch auf die Erlaubnis, ihre Hilfslieferungen ans Ziel zu bringen. "Das ist noch immer bei weitem nicht ausreichend, sondern nur ein Drittel der Hilfe, die benötigt wird", sagt MSF-Deutschland-Chef Katzer. Dennoch wertet er diese erste Öffnung für Internationale Hilfe positiv.

"Wir sehen, dass der Druck auf die israelische Regierung etwas bewirkt", sagt Katzer. "In den vergangenen Tagen gab es wirklich viele Lastwagen. Darum fordern wir, dass der Druck aufrechterhalten wird. Wäre es von Israel gewollt, dann könnte man den Gazastreifen mit Lebensmitteln fluten."

Mit dieser Aussage steht Katzer nicht allein da. Das WFP bekräftigt in wöchentlichen Statements, man habe "genug Nahrungsmittel in der Region oder auf dem Weg dorthin, um die gesamte Bevölkerung Gazas von 2,1 Millionen Menschen fast drei Monate lang zu versorgen".

Deutschland hilft nun per Luftbrücke - warum kommt so viel Kritik?

Während sich die Situation am Grenzübergang Kerem Schalom für die Internationalen Lieferungen nun spürbar verbessert, hat Bundeskanzler Friedrich Merz gestern angekündigt, gemeinsam mit Jordanien Humanitäre Hilfe über eine Luftbrücke nach Gaza zu bringen. Es sollen also Paletten mit Nahrungsmitteln aus Flugzeugen über dem Küstenstreifen abgeworfen werden.

Von NGOs hagelt es Kritik an dieser Maßnahme. Zum einen wegen des immensen Aufwands - logistisch und finanziell. "Hilfstransporte aus der Luft sind bis zu 35-mal teurer als Konvois zu Land, um dieselbe Hilfe zu leisten", erklärt das Centre for Humanitarian Action (CHA), ein deutscher Thinktank für Humanitäre Hilfe. Ein einziger Lastwagen könne dieselbe Hilfe leisten wie ein durchschnittlicher, extrem aufwendiger Transportflug, heißt es in einer Erklärung von heute.

"Man setzt Luftabwürfe daher nur als allerletztes Mittel ein, wenn man auf keine andere Weise oder nicht schnell genug in Konfliktgebiete oder weit entfernte Regionen gelangen kann." In Syrien etwa wählte das WFP während des Assad-Regimes das Mittel der Luftbrücke, um Regionen der Oppositionellen mit Nahrung zu versorgen. Hilfskonvois dorthin hätte der Diktator niemals passieren lassen.

Doch Entfernung oder Erreichbarkeit ist aus Sicht der Hilfswerke kein Problem in dieser Hungerkrise. Es mangelt an der Bereitschaft Israels, noch mehr Hilfe ins Land zu lassen und ihren Kontrollaufwand zu entschlacken oder effizienter zu gestalten.

Ein weiterer Kritikpunkt ist die fehlende Kontrolle über die Abwürfe aus der Luft. Denn die Paletten landen per Fallschirm und werden dann von denjenigen geborgen, die am schnellsten vor Ort sind. Sollte das die Hamas sein, kann sie die Lieferung für die eigene Versorgung sichern oder zu Höchstpreisen verkaufen.

Doch selbst, wenn Zivilisten eine gelandete Palette erreichen, droht die Verteilung chaotisch zu werden. "Bei Hilfe aus der Luft gilt allein das Recht des Stärkeren, sobald sie den Boden erreicht", schreibt das CHA in seiner Stellungnahme. "Sie ist leicht zu stehlen oder zu beschlagnahmen und die schwächsten und bedürftigsten Menschen, Frauen und Kinder, haben die schlechtesten Chancen sie tatsächlich zu erhalten."

Ein weiterer Kritikpunkt: Der Gazastreifen war schon immer dicht besiedelt, nun konzentriert sich die Bevölkerung in einem kleinen Gebiet im Süden Gazas. Selbst wenn dort Flächen geräumt werden, wo Lieferungen aus der Luft landen können, ist das Gefahrenpotential hoch. Manch ein Fallschirm öffnet sich nicht. Andere können vom Wind weitergetragen werden, die exakte Platzierung ist nicht gewährleistet. Für die Menschen am Boden ist das ein Risiko. Unfälle bei Luftbrücken gibt es immer wieder.

Laut der Erfahrung der Wissenschaftler gibt es keine Form der Nothilfe, bei der man schlechter kontrollieren kann, wen sie erreicht, und sicherstellen, dass niemand gefährdet wird. "Dies ist die unsinnigste Luftbrücke, die es je gab."

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