Wieder keine Woche, deren Schlagzeilen zur Dekoration des Merz'schen Privatanwesens taugen. Doch der Paarlauf mit Sozialdemokraten in unterschiedliche Richtungen ist auch den ganz eigenen Denklogiken von Teilen der SPD geschuldet. Sich aber deshalb nach vergangenen Zeiten sehnen? Nein!
Egal, ob es um Politik, Gesellschaft oder Privates geht: Dem nostalgisch idealisierenden Pauschalgutachten "Früher war alles besser" begegnet man noch regelmäßiger als Markus Lanz seinem Meinungsadjutanten Richard David Precht. Diese Stilblüte der vornehmlichen Allgemeingültigkeit muss jedoch mit Vorsicht genossen werden. Um nämlich reliabel behaupten zu können, früher sei alles besser gewesen, muss der Zeitpunkt dieses "Früher" schon konkret definiert werden. Meint man mit "früher" beispielsweise den Zeitraum vor etwa 90 Jahren, wäre das eine recht eigentümliche Retrospektion. Um sich in die Zeit um 1935 zurückzusehnen, muss man schon einen recht verzerrten Blick auf die deutsche Geschichte vorweisen.
Selbst Alexander Gauland bezeichnet jene Epoche als "Vogelschiss in der Geschichte". Und von einem flatternden Flugobjekt mit Kot beworfen zu werden - da sagt selbst der stolzeste Turbopatriot: Nein, Danke. Getroffen in dem Fall natürlich von einem Vogel, nicht von Gauland, denn Gauland kann ja gar nicht fliegen. Mal abgesehen davon, dass die heimatliebenden Stolzmonat-Ultras aus dem Vordenker-Milieu der AfD dieNazis aus strategischen Gründen als Sozialisten deklarieren. Klar, sagt ja schon der Name: National-SOZIAListen. Das ist wie mit der DDR. Der Arbeiter- und Bauernstaat war, das weiß jeder Historiker und jeder FDJler, eine Demokratie, denn das zweite "D" stand für? Genau: "Demokratische".
Früher war alles besser - der Faktencheck
Um einen etwas weniger moralisch trostlosen Analyseversuch für die These "Früher war alles besser" zu starten, sollte man demnach in eine Zeit zurückgehen, in der es nicht en vogue war, mit dem rechten, schräg nach oben gestreckten Arm seinem Führer zu huldigen. Und die nicht in einem der größten Verbrechen der Weltgeschichte mündete.
Um ein belastbares Urteil abgeben zu können, widmen wir uns also lieber mal einer Zeit, die wir seriös selbst beurteilen können und drehen die Uhr um nur sieben Jahre zurück: Hallo, 2018! Wer erinnert sich nicht gerne? Aber war in diesem "Früher" von 2018 tatsächlich alles besser? Mal sehen: Damals formierte sich ebenfalls eine GroKo. Die vierte Amtszeit von Angela Merkel brachte uns mit Außenminister Heiko Maas, Gesundheitsminister Jens Spahn und Verkehrsminister Andreas Scheuer dann allerdings ein Kabinett, gegen das sogar Team Merz heute wirkt wie John Lennon gegen Ikke Hüftgold. Der erste Zwischenstand lautet also eindeutig:
Früher war alles besser: 0
Früher war alles auch oft nur so mittelgut: 1
Lindner und die Terroristen in der Bäckerei
Wie 2025 war es auch 2018 Christian Lindner, der besagte GroKo überhaupt möglich machte. Damals sprengte der von 10,7 Prozent bei der vorausgegangenen Bundestagswahl offenbar erfolgstrunkene FDP-Chef die sicher geglaubte Jamaika-Koalition mit dem Hinweis, er würde lieber nicht regieren, als falsch zu regieren. Die Enttäuschung, doch nicht Minister zu werden, kompensierte Lindner im selben Jahr per legendärer Rede auf dem FDP-Parteitag, welche ihm reihenweise Rassismus-Vorwürfe einbrachte. Der spätere D-Day-Sachverständige erklärte damals, die Menschen beim Bäcker in der Schlange könnten nicht unterscheiden, ob ein Mensch, der in gebrochenem Deutsch ein Brötchen bestelle, ein hochqualifizierter Entwickler oder ein illegal zugewanderter Ausländer sei. Es sei aber für eine befriedete Gesellschaft notwendig, dass sich Menschen, die beim Bäcker in der Schlange warten, sicher sein können, "dass jeder, der sich bei uns aufhält, sich legal bei uns aufhält".
Die darin suggestiv mitschwingende Unterstellung, jeder brave Teutone könne jederzeit beim Brötchenholen von einem bösen Ausländer in die Luft gesprengt werden, schadete Lindner langfristig gesehen allerdings weniger als eine Aussage von Friedrich Merz aus demselben Jahr. Im September 2018, als die ersten Zweifel an Merkels "Wir schaffen das"-Mantra die Kommentarspalten beherrschten, stand die AfD plötzlich bei 18 Prozent und war damit noch vor der SPD (mit für sie heute kaum noch erreichbaren 17 Prozent) zweitstärkste Partei.
Im folgenden Dezember bewarb sich Friedrich Merz auf den CDU-Vorsitz und kündigte als Wahlversprechen an, er traue sich zu, die AfD-Werte zu halbieren. Heute liegt die AfD mit 25 Prozent teilweise gleichauf mit der CDU und wir wissen: Halbiert hat Merz seither nur die Anzahl seiner Privatflugzeuge. Seinen Luftfuhrpark schraubte er nämlich bodenständig von zwei auf nur noch ein privates und von ihm selbst gesteuertes Flugzeug herunter.
Die Probleme werden immer Merz
Weniger glorreich, das hatte ich bereits vergangene Woche befürchtet, wirkt sieben Jahre später sein Regierungsteam. Es ist zu befürchten, dass relativ mühelos eine weitere Halbierung ins politische Haus steht. Die der Überzeugung des Souveräns nämlich, Merz würde eine erfolgreiche Legislatur hinlegen. Aktuell hat das von ihm gelenkte Kabinettsteam jedenfalls mehr Probleme als die brasilianische Abwehr im WM-Halbfinale 2014. Allein diese Woche gaben sich zahlreiche Meldungen die Medienklinke in die Hand, die nicht unbedingt für die dringend notwendige Image-Neujustierung der aktuellen Regierungsmannschaft sorgen.
Die Jusos etwa, immerhin Nachwuchsorganisation des GroKo-Juniorpartners SPD, kündigen harten Widerstand gegen das geplante Wehrpflichtgesetz an. Und auch das überraschende Querstellen der Union während der Richterwahl von Frauke Brosius-Gersdorf sorgt weiter für Schlagzeilen, die sich Merz mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht einrahmen wird, um sie in der Gästetoilette seines Anwesens im sauerländischen Arnsberg anzuhängen. CSU-Ikone Horst Seehofer etwa, in seiner Karriere immerhin Innen-, Landwirtschafts- und Gesundheitsminister, sieht die Debakel-Schuld nicht beim traditionell für CDU-Desaster verantwortlichen Jens Spahn. Nein, "Mist gebaut" hätte da die "ganze Führung, Parteivorsitzende und Fraktionsvorsitzende", mithin also vor allem auch Merz höchstpersönlich. Und auch die knapp 83,28 Millionen Deutschen abseits von Horst Seehofer sehen die Angriffe auf die hochdekorierte Juristin mehrheitlich kritisch: Mit 57 Prozent lehnt die Mehrheit der Deutschen den Verzicht von Brosius-Gersdorf auf das Amt der Bundesverfassungsrichterin ab.
1000 Prozent Rabatt auf Probleme
Hinzu kommt die weiter schwelende Diskussion um Deutschlands Position im Nahostkonflikt. Zuletzt hat die SPD-Bundestagsfraktion die Bundesregierung öffentlich zu einem Kurswechsel in der Israel-Politik aufgefordert. Ein bemerkenswerter Akt. Im gesamten "Wir fordern die Bundesregierung auf"-Pamphlet wird kein einziges Mal die Hamas erwähnt, die den Krieg begann, seit fast zwei Jahren (auch Deutsche) Geiseln hält und viele internationale Deals für eine Waffenruhe abgelehnt hat.
Interessant in dem Zusammenhang: Ich bin Teil einer WhatsApp-Gruppe, die sich Israel-solidarisch definiert und in der sehr viele Politiker, darunter auch Bundesminister und Mitglieder des Bundestages (nicht zuletzt auch der SPD), Publizisten und Prominente über den Nahostkonflikt austauschen. Vor allem dort aktive Sozialdemokraten, teilweise mit hohen Ämtern in Partei und Regierung, zeigen sich entsetzt über diesen Vorstoß der Fraktion und beteuern dort, es handele sich nicht um eine einstimmige, sondern lediglich um eine mehrheitliche Meinung innerhalb der Fraktion. Und: Die Aufforderung sei ein Angriff auf die eigene Parteispitze und damit auch auf die Regierungskoalition sowie Friedrich Merz. Merke: Es braucht keinen Christian Lindner, um eine Koalition merklich ins Wanken zu bringen.
Zählt man jetzt noch die Baustellen Bürgergeld (erste CDU-Landräte fordern die Abschaffung), Klimabericht (Ziele für 2040 werden höchstwahrscheinlich verfehlt), Sanierung der Autobahnen (kurzfristig werden 450 Millionen Euro benötigt), Gruppenfoto vom Investitionsgipfel (Merz und Lars Klingbeil posieren mit etwa 120 Männern und nur zwei Frauen) und Eurofighter hinzu (Berlin soll einer Lieferung an die Türkei zugestimmt haben, die seit Jahren völkerrechtlich umstritten Kurden bombardiert), muss man attestieren: Friedrich Merz steht vor dramatischen Tagen.
Gibt's da nicht was von Trumpipharm?
Gut, nicht so dramatisch wie die Tage von Donald Trump, der entgegen allen Beteuerungen wohl doch in den als brisant geltenden Epstein-Files auftaucht und davon nun mit skurrilen Einlassungen abzulenken versucht. So kündigt er an, das amerikanische Gesundheitssystem patientenfreundlich zu revolutionieren und 1000 Prozent Rabatt auf Medikamente zu erreichen. Wie genau sich 1000 Prozent Rabatt auswirken, konnten mir auch versierte Mathematiker nicht beschwerdefrei skizzieren. Eine erste unverbindliche Schätzung von mir sieht so aus: Wer bislang für sein Medikament, nennen wir es mal hypothetisch "Ibu-Profan", pro Monat 100 Dollar bezahlen musste, bekommt zukünftig bei jeder Abholung des Medikaments jeweils 900 Dollar ausbezahlt.
Wie Trump diese spektakuläre Reform finanzieren möchte, ist unklarer als der Grund für Ralf Stegners Russland-Geheimtreffen in Baku. Wer Trump in den vergangenen Jahren verfolgt hat, könnte aber eine Vermutung entwickelt haben, wer für dieses pharmazeutische Multi-Milliarden-Geschenk bezahlen soll: Mexiko! Das alles hilft Friedrich Merz in seiner Beliebtheits-Bredouille nur wenig, zeigt aber: Es könnte alles noch viel schlimmer kommen. Und wenn alles noch viel schlimmer kommt, dann trifft womöglich bereits kommende Woche folgende These zu: Früher war alles besser.
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