War die Empathie für die Ukraine nur "geheuchelt"? Nach Russlands Großangriff zeigt sich Ex-SPD-Chef Platzeck betroffen - und reagiert auf eigenwillige Weise. Er reist etliche Male ins Land des Aggressors - was manche Genossen prompt verteidigen. Sozialdemokratische Historiker sehen das anders.
Die Kritik an den Moskau-Reisen des ehemaligen SPD-Vorsitzenden Matthias Platzeck wird auch in den eigenen Reihen immer lauter. Gegenüber dem "Tagesspiegel" kritisierten mehrere sozialdemokratische Historiker die Besuche des früheren Brandenburger Ministerpräsidenten in Russland. "Matthias Platzecks Reisen sind eine politische Dummheit und zeugen von großer Naivität", sagte Bernd Rother, Historiker, SPD-Parteimitglied sowie Mitglied des Geschichtsforums beim SPD-Parteivorstand. Sämtliche Bemühungen um Diplomatie würden an Wladimir Putin scheitern, erklärte Rother, und sagte weiter: "Es schmerzt, dass ein früherer SPD-Vorsitzender den politischen Kompass so sehr verloren hat."
Auch Jan Claas Behrends, Historiker am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam, kritisierte die Reisen: "Die Hybris von Matthias Platzeck, der als ehemaliger Ministerpräsident Brandenburgs Weltpolitik machen möchte, ist erstaunlich", sagte Behrends. Ihn erschrecke allein die Anzahl der Reisen. Durch die vielen Besuche in Moskau habe sich Platzeck unglaubwürdig gemacht, so Behrends: "Sein Statement vom Beginn der Vollinvasion, er habe Empathie mit der Ukraine, war offenbar geheuchelt, sonst wäre er ja auch nach Kiew gereist." Platzeck sei jedoch nicht der einzige Politiker auf Abwegen, der trotz des brutalen Angriffskriegs auf die Ukraine den Kontakt zu Russland halten wolle. Behrends Fazit: "2022 sagte Platzeck, er habe zu sehr die russische Brille aufgehabt - heute sehen wir: Er hat sie auch danach nicht abgenommen."
Knut Abraham, CDU-Bundestagsabgeordneter und Außenpolitiker der Union, forderte Aufklärung über die Reisen. "Matthias Platzeck muss offenlegen, was er in Russland getrieben und wen er dort getroffen hat", sagte er dem "Tagesspiegel". Abraham weiter: "Wenn er das der Öffentlichkeit nicht zügig erklärt, nehme ich ihm die Floskel von der Pflege diplomatischer Kanäle nicht ab."
Am Freitag hatten der "Spiegel", die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" und die russische Oppositionsplattform "The Insider" berichtet, dass Platzeck seit Ende 2022 neunmal nach Russland gereist war. Platzeck, der lange Vorsitzender des moskaufreundlichen Deutsch-Russischen Forums war, verteidigte die Kontakte und verwies auf die Bedeutung einer "aktiven Diplomatie auf vielen Ebenen und in vielen Spielarten" sowie "Fragen der Abrüstung und Rüstungskontrolle". Zugleich betonte er allerdings, dass er als Privatperson handle, "ohne irgendeinen Auftrag, ohne eine Funktion".
Stegner und Mützenich stehen hinter Platzeck
Rückendeckung bekommt Platzeck - wenig verwunderlich - von Teilen der SPD. Der ehemalige Fraktionschef Rolf Mützenich, der in einem Manifest kürzlich eine Wiederannäherung an Russland forderte, verteidigte die Russlandreisen: "Ich bin Matthias Platzeck wie auch anderen ehemaligen Politikern dankbar, wenn sie uneigennützig durch Integrität und Erfahrung daran mitwirken wollen, den Krieg in der Ukraine in eine Waffenruhe zu überführen und später vielleicht zu einem Ende zu bringen", sagte Mützenich dem "Spiegel". "Matthias Platzeck macht bei jeder Gelegenheit als Erstes die Kriegsverbrechen Putins zum Thema. Das wird bei diesen Formaten nicht anders sein."
"Es wäre sachlich und politisch falsch, wenn nur Vertreter aus anderen Ländern, darunter auch Partner unterhalb der offiziellen Ebene, Gespräche mit der russischen Seite führen", sagte Mützenich. Er sei sich sicher, dass Platzeck allein aus humanitären und friedenspolitischen Gründen das Gespräch mit russischen Vertretern führe - und nicht etwa davon profitieren wolle.
Auch der SPD-Außenpolitiker Ralf Stegner stellte sich vor Platzeck. "Die Verdächtigungen und Beschimpfungen gegenüber Matthias Platzeck sind absolut unpassend", sagte Stegner dem "Spiegel". "Matthias Platzeck ist ein unbescholtener Politiker und setzt sich nun als Privatmann dafür ein, dass der Krieg in der Ukraine endet." Dass Platzeck dafür Gespräche mit der russischen Seite suche, sei richtig. "Es gilt, alle Möglichkeiten auszuloten, um diesen Krieg zu beenden. Wir sollten daher nicht jedes Gespräch verteufeln, nur weil uns das Verhalten des Gegenübers nicht gefällt. So kommen wir nicht weiter", so Stegner. Er war im Frühjahr selbst in die Kritik geraten, weil er zu einem Treffen mit russischen Vertretern in Aserbaidschans Hauptstadt Baku gereist war. Angeblich rein "privat", wie er danach sagte.
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