Deutschland und fünf seiner Nachbarstaaten wollen gemeinsam eine Verschärfung der Asylregeln der EU vorantreiben. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) und seine Amtskollegen aus Frankreich, Polen, Österreich, Tschechien und Dänemark veröffentlichten am Freitag nach einem Treffen auf der Zugspitze eine Erklärung unter dem Titel „Gemeinsam illegale Migration wirksam reduzieren“. Die Länder plädieren für eine Stärkung der Außengrenzkontrollen, Ausweitung von Abschiebungen und eine stärkere Zusammenarbeit mit Drittstaaten.
Dobrindt machte bei dem gemeinsamen Auftritt mit seinen Ministerkollegen und EU-Innenkommissar Magnus Brunner deutlich, dass weitere EU-Länder ins Boot geholt werden sollen. Beim nächsten informellen EU-Ministerratstreffen in Kopenhagen solle das Programm den übrigen Staaten vorgestellt werden. Länder wie Italien oder Griechenland, in denen die meisten Migranten in der EU ankommen, nahmen an dem Treffen auf der Zugspitze nicht teil. Im Anschluss an den Gipfel sprach WELT TV mit Dobrindt über den neuen Migrationskurs.
WELT: Herr Dobrindt, heute hat ein Abschiebeflug nach Afghanistan stattgefunden, mit der diplomatischen Hilfe von Katar, mit technischen Kontakten nach Afghanistan. Und man muss sagen, alles immer noch schwierig und aufwendig. Kann man davon ausgehen, dass in Zukunft solche Flüge leichter vonstattengehen oder wird das ein singuläres Ereignis bleiben?
Alexander Dobrindt: Ich bin erst mal sehr froh, dass es uns überhaupt gelungen ist, so einen Abschiebeflug zu organisieren. Das war eine Lücke, auch in der ganzen Migrationswende, dass das noch nicht der Fall war, dass wir Abschiebungen nach Afghanistan organisieren konnten. Und dass das jetzt möglich ist, ja, das ist mit strategischen Partnern, mit Katar zustande gekommen. Zukünftig muss man sich auch in die Lage versetzen, dass man Abschiebungen nach Afghanistan ohne strategischen Partner durchführen kann. Das ist die Notwendigkeit, um dauerhaft Abschiebesituationen organisieren zu können. Wir werden auch dafür sorgen müssen, dass die technischen Kontakte bestehen bleiben und man mit diesen technischen Kontakten – also unterhalb der diplomatischen Beziehungen – dafür sorgt, dass diese Abschiebungen möglich sind.
WELT: Beim letzten Abschiebeflug gab es ein Handgeld für die afghanischen Straftäter. Gab es das diesmal auch?
Dobrindt: Nein, dazu gibt es keine Vorgaben. Und beim letzten Mal in der alten Regierung – der Ampelregierung – wurde eine Vorgabe gemacht über 1000 Euro. Zu Recht hat es da eine große Empörungswelle gegeben. Diese Vorgaben hat es dieses Mal nicht gegeben und deswegen auch dieses Handgeld nicht.
WELT: Auch die Bundesländer, aus denen die Menschen für den Abschiebeflug zusammengefahren wurden, haben in der Hinsicht nichts geleistet?
Dobrindt: Ich weiß nicht, was die Länder geleistet haben. Dazu gibt es auf jeden Fall keine Vorgabe. Das kann jetzt sehr unterschiedlich gewesen sein, aber ich habe keine Meldungen dazu, dass es ein Handgeld von 1000 Euro gegeben hätte. Wir zumindest hätten das nicht entschieden und haben es auch nicht entschieden.
WELT: Kommen wir zu dem Gipfel auf der Zugspitze. Was ist das Gravierendste, das Nachhaltigste, was hier beschlossen wurde?
Dobrindt: Ich glaube, dass es erst mal darum geht, dass wir die Asylverfahren deutlich beschleunigen wollen, dass wir Möglichkeiten schaffen wollen, gegen Schleuser und kriminelle Banden stärker vorzugehen und dass wir Rückführungen stärken. Das sind die drei Elemente, die eine ganz große Rolle spielen. Alles hat unterschiedliche Ausprägungen, aber wenn es darum geht, insgesamt die illegale Migration zurückzudrängen und die Migration neu zu ordnen, sind das die drei wesentlichen Punkte.
WELT: Gefallen ist auch der Begriff von innovativen Lösungen bei Drittstaaten. Was kann man darunter verstehen?
Dobrindt: Da meint man Drittstaatenmodelle, in denen entweder Asylverfahren in Drittstaaten durchgeführt werden, der Schutz in Drittstaaten gegeben oder dafür gesorgt wird, dass abgelehnte Asylbewerber in sogenannten Rückführungszentren außerhalb der Europäischen Union aufgefangen werden. Das ist wohl die einfachste und schnellste Art und Weise, mit Drittstaaten Vereinbarungen hinzubekommen. Das Ziel ist, dass es Schutz nicht nur in Europa, sondern auch außerhalb Europas gibt. Dass abgelehnte Asylbewerber, die nicht in ihre Heimatländer zurückkommen, auch in anderen Ländern untergebracht werden können, in diesen Return-Hubs, Rückführungs-Hubs. Das wollen wir anstoßen. Das ist eine Debatte, die es schon lange gibt in Europa, aber für die es nie eine Mehrheit gegeben hat. Jetzt gibt es möglicherweise eine Chance dafür.
WELT: Das viel zitierte Verbindungselement soll im GEAS, dem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem, gestrichen werden.
Dobrindt: Das Verbindungselement verhindert aktuell, dass man Drittstaatenmodelle durchführen kann. Drittstaatenmodelle erfordern erstens Länder, die als Drittstaaten zur Verfügung stehen, mit denen man solche Vereinbarungen treffen kann. Aber es braucht auch die rechtliche Grundlage dafür. Das Verbindungselement heißt letztlich, dass eine Person eine direkte Verbindung mit dem Land gehabt haben muss, in das man sie zurückbringt. Das verhindert genau solche Möglichkeiten. Und deswegen wollen wir dafür sorgen, dass man auch Menschen zurückführen kann in Regionen nahe ihrer Heimatländer, wenn die Heimatländer nicht bereit sind, diese aufzunehmen.
WELT: Aber nach wie vor ist es schwer, solche Drittstaaten zu finden. Man muss ihnen etwas bieten. Wird das Geld sein?
Dobrindt: Naja, wir haben ja viele Zusammenarbeiten auf unterschiedlichsten Ebenen, beispielsweise im Bereich der wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Und da kann man sich vorstellen, auch Vereinbarungen mit Ländern zu finden, die bereit sind, so was zu machen – dass sie auch für innovative Lösungen bei den Migrationsfragen zur Verfügung stehen. Für einzelne Staaten Europas ist das sicherlich schwer zu organisieren. Die Europäische Union als Ganzes kann sich leichter tun, so was zu organisieren. Und deswegen ist unser Auftrag, dass wir das gemeinsam innerhalb der EU versuchen wollen. Dazu muss man aber eben die rechtlichen Grundlagen schaffen und auch eine Bereitschaft haben, mit den Ländern außerhalb der Europäischen Union, die möglicherweise dafür infrage kommen, in Gespräche zu gehen, auch entsprechende Angebote zu machen.
WELT: Bundeskanzler Merz hat die Zurückweisungen an den Grenzen als vorübergehende Maßnahme bezeichnet. Sie haben das in letzter Zeit auch noch mal angedeutet. Wann können wir damit rechnen, dass diese Maßnahme nicht mehr notwendig ist?
Dobrindt: Es ist eine zeitlich befristete Maßnahme, ja. Sie ist eben temporär, aber wir können heute noch nicht sagen, wann sie beendet ist. Die Binnengrenzkontrollen sind dann nicht mehr notwendig, wenn der Außengrenzschutz richtig funktioniert. Da braucht es allerdings noch etwas Zeit. Deswegen haben wir in unserer Erklärung heute noch mal deutlich gemacht, dass wir uns wesentlich mehr Unterstützung erhoffen für die Länder, die die Außengrenzen schützen müssen. Wir haben bei den Polen beispielsweise gesehen, dass sie das heute schon exzellent an der Grenze zu Belarus machen, dort sehr viel investiert haben, sehr viel Personal aufwenden, um dafür sorgen, dass die illegale Migration dort gestoppt wird. Das passiert nicht in allen Ländern so. Die Gegebenheiten sind auch sehr unterschiedlich. Deswegen braucht es massive Unterstützung aus Europa, nicht nur finanziell, auch personell, auch mit neuen Techniken, beispielsweise Drohnensystemen und Einsatz von Künstlicher Intelligenz. All das wollen wir erreichen, um diese illegale Migration entsprechend zurückzudrängen. Diese Unterstützung bekommen auch diese Staaten an den Außengrenzen der Europäischen Union von uns – das ist zumindest das Ziel. Und wenn man dann an einem Punkt ist, dass die Migrationszahlen niedrig sind und der Außengrenzschutz funktioniert, dann kann man wieder auf die Binnengrenzkontrollen verzichten. Aktuell sind wir uns aber alle einig, dass sie einen hilfreichen Beitrag leisten, die Migration neu zu ordnen.
WELT: Aber das dauert alles noch ein bisschen. Es kann also passieren, dass der Europäische Gerichtshof eine Entscheidung zu den Zurückweisungen trifft, bevor Sie sie beenden.
Dobrindt: Ich habe deutlich gemacht, dass wir eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs an der Stelle wollen. Aber wann sie kommt und wann wir mit einem entsprechenden Fall beim Europäischen Gerichtshof sind, darüber kann man zurzeit noch keine Aussage treffen.
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