Kein EU-Thema ist wichtiger und komplexer als die Verhandlungen über den nächsten siebenjährigen Haushalt. Doch schon der Auftakt gerät zum Eklat: Das Europaparlament ist empört über die Kommission um Ursula von der Leyen. Warum, erklärt der Chefunterhändler des Parlaments bei ntv.de.

ntv.de: Sie beklagen, die Kommission habe dem EU-Parlament keine Dokumente vorgelegt vor der Diskussion im Haushaltsausschuss über den mehrjährigen Finanzrahmen (MEF) zwischen 2028 und 2034 am Mittwoch. Dabei gehören Sie der Europäischen Volkspartei (EVP) an, so wie die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Wieso gelang der Austausch zwischen Ihnen beiden als Parteikollegen nicht?

Siegfried Mureșan: Das war ein Scheitern seitens der Europäischen Kommission, ein interinstitutionelles Scheitern. Das war kein parteipolitisches Scheitern. Fakt ist: Der mehrjährige Finanzrahmen der Europäischen Union für 27 Mitgliedsländer, über den wir Jahre im Voraus beraten, ist eines der wichtigsten Gesetzesvorhaben auf europäischer Ebene. Der MEF muss vom Europaparlament mitverhandelt und abgesegnet werden. Dennoch schickte die Kommission die Dokumente zum Haushaltsentwurf erst gestern am späten Abend an die Abgeordneten, nachdem er bereits öffentlich vorgestellt wurde. Für das Europäische Parlament ist das inakzeptabel. Kritik kam aus allen Fraktionen.

Lag der Fehler wirklich nur bei der Kommission und von der Leyen, hätte das Parlament da nichts tun können?

Nein. Es ist für uns aber unverständlich, dass wir keine offiziellen Unterlagen über die ganze Dauer des Verfahrens von der Kommission erhalten haben, weder Entwürfe noch finale Vorlagen. Nichts.

Von der Leyens Ansehen im Europaparlament ist bereits beschädigt. Rechtsextreme Gruppen hatten einen Misstrauensantrag gegen sie gestellt. Von Parteien der demokratischen Mitte wiederum wird der Kommissionspräsidentin und der EVP vorgeworfen, sich für Gesetzesvorhaben mit rechtsextremen Abgeordneten zusammenzutun. Wird das Parlament von der Leyens Gesetzesvorschläge komplett blockieren, wenn das so weitergeht?

Beim Thema EU-Haushalt müssen die Kommission und das Parlament an einem Strang ziehen, damit die Europäische Union handlungsfähig bleibt. Wenn über so große Summen entschieden wird, sind Transparenz und ein inklusives Verfahren notwendig. Nun hat das Parlament schon zu Beginn der Haushaltsverhandlungen das Vertrauen in die Kommission teilweise verloren. Ich hoffe, dass wir das in den nächsten Monaten wiederherstellen können.

Aber das Parlament sieht seine Rolle im aktuellen Haushaltsentwurf doch als geschwächt an, oder?

Die Kommission hat gestern eine Renationalisierung der Haushalte vorgeschlagen, mehr Kompetenzen für die Mitgliedsländer und eine Schwächung des Europaparlaments. Die Kommission plant, die Vergabe verschiedener Gelder an sogenannte Nationale und Regionale Partnerschaftspläne zu knüpfen. Nötige Reformen und Vergabekriterien will sie dann mit den nationalen Regierungen aushandeln. Ob und inwiefern das Parlament eine Rolle spielen soll, bleibt unklar. Dabei waren die Kommission und das Parlament bei den Haushaltsverhandlungen in der Vergangenheit stets Partner. Das kann wieder möglich werden. Die Kommission muss aufhören, gegen das Parlament zu arbeiten, wie das in den vergangenen Monaten der Fall war.

Was ist die Vision des Parlaments für den nächsten MEF?

Die Europäische Union hat neue Prioritäten, vor allem in den Bereichen Wettbewerbsfähigkeit, Verteidigung, Stärkung der Außengrenzen und Bekämpfung illegaler Migration. Aber auch die traditionellen Prioritäten, vor allem die Fördergelder für gemeinsame Agrarpolitik, bleiben wichtig. Das kommt bislang im Haushaltsentwurf zu kurz, weshalb wir ihm so nicht zustimmen. Zudem kommt es durch die Partnerschaftspläne zu einer Zersplitterung des gemeinsamen EU-Haushalts in 27 unterschiedliche nationale Agenden. Die Vergabe europäischer Mittel wird jede neu gewählte nationale Regierung wieder anders gestalten. Dadurch fehlt die Planungssicherheit für unsere Landwirte, Forscher und alle anderen Empfänger von EU-Geldern.

Wenn die EU nun mehr leisten soll, mit den alten und neuen Prioritäten - woher soll das Geld denn kommen, wenn viele nationale Regierungen eine Aufstockung des EU-Haushalts ablehnen?

Wir im Europäischen Parlament wissen, dass die Haushaltslage in vielen Mitgliedsländern angespannt ist. Deswegen fordern wir erstens nicht einen Minimalwert noch einen Maximalwert für bestimmte EU-Haushaltsposten. Wir wollen nur, dass alle Prioritäten entsprechend finanziert sind. Zweitens wissen wir, dass es für die Europäische Union nicht möglich ist, mehr zu machen mit einem Haushalt auf gleichem oder niedrigerem Niveau. Die Erhöhung der Mittel für neue Prioritäten wie Verteidigung und Wettbewerbsfähigkeit sollten deshalb moderat erfolgen, so dass es am Ende zu einer geringen Erhöhung des Gesamtvolumens des Haushaltes führen wird.

Was sagen Sie zu Kanzler Friedrich Merz, der die Aufstockung des EU-Etats ablehnt?

Ich verstehe, dass Deutschland als ein Nettozahler zu Beginn der Verhandlungen keine pauschale Erhöhung des EU-Haushaltes unterstützen kann. Vor allem die Verhandlungen zum Gesamtvolumen des Haushaltes werden schwierig. Am Ende müssen die Kommission und das Europäische Parlament die Mitgliedstaaten vom Mehrwert der EU in verschiedenen Haushaltsbereichen überzeugen. Im Verteidigungsbereich etwa gibt es Projekte, die wir nur zusammen auf europäischer Ebene organisieren können, wie die gemeinsame Luftabwehr.

Sie werden Merz also vom Mehrwert der EU überzeugen, damit er eine Kehrtwende vollzieht und mehr Geld für Brüssel locker macht?

Das Europaparlament wird transparent, offen und mit gutem Gewissen mit allen Mitgliedsländern verhandeln, auch mit Deutschland. Ich bin zuversichtlich, dass wir am Ende der Verhandlungen nicht nur einen Haushalt haben werden. Wir werden auch ein gemeinsames Verständnis haben, warum dieser Haushalt gebraucht wird, welche Prioritäten wir setzen müssen und warum wir diese ausreichend finanzieren müssen.

Mit Siegfried Mureșan sprach Lea Verstl

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