Der russische Diktator strebt einen Zusammenbruch der Nato an, um Europa zu dominieren. Bislang ist er mit seinem Plan auf Kurs. Es ist erstaunlich, wie wenig Europa Putin entgegensetzt. Dabei gäbe es eine erfolgversprechende Strategie.
In der deutschen Öffentlichkeit wird - ganz im Sinne der russischen Propaganda - ein Gefühl vermittelt, die Ukraine sei zum Untergang verdammt, was immer der Westen tue. Das Szenario eines militärischen Sieges des überfallenen Landes mit westlicher Unterstützung wird als unrealistisch, ein russischer Gewinn des Krieges als unvermeidlich dargestellt - gerne unter Hinweis auf die "europäischen Statisten" und die "kriegsmüden" USA, die sich auf China konzentrierten. Die Amerikaner, heißt es, wären besser beraten, die Arktis und andere Einflussbereiche mit Putin zu teilen, um einen Keil zwischen Russland und China zu treiben. Unsinn. Denn die Regime in Moskau und Peking sind gemeinsam stärker.
Nach und nach setzt sich die gefährliche These durch: Lasst Russland ein wenig gewinnen, ein Stückchen Ukraine einverleiben - dann hält Putin still. 2008 hörten wir: Putin will nur Abchasien und Südossetien, dann hält er still. 2014 annektierte Putin die Krim, krallte sich den Donbass. Westliche Politiker wie Angela Merkel kniffen erst ein Auge, dann auch das andere zu - und erklärten: Putin werde nicht weiter gehen, sondern brav sein, weil wir ihm sein Gas abkaufen. 2022 stellte sich bekanntlich heraus, dass Putin noch weiter geht und die ganze Ukraine erobern möchte. Erstaunlicherweise macht sich dennoch die Stimmung breit: Gebt ihm die Ost-Ukraine, danach hält er still.
Das ist eine grobe Fehleinschätzung. Zur Erinnerung: Putin forderte die Nato im Dezember 2021 auf, sich an die Grenzen von 1997 zurückzuziehen. Zeitgleich verlangte er für Russland ein Vetorecht gegen die Aufnahme neuer Mitglieder in das Militärbündnis - mit anderen Worten: ihm Macht über die früheren Staaten des Warschauer Paktes zu geben, was das Gebiet der ehemaligen DDR einschließt. Sein Ziel ist keineswegs allein die Eroberung der Ukraine, sondern das Ausschalten einer konkurrierenden Macht, um seine Idee von der reanimierten Sowjetunion durchzusetzen.
Trumps Ultimatum offenbart Ohnmacht und Angst
Schon deshalb wäre es ein Fehler, den Forderungen nachzugeben, Russland die Ukraine oder auch nur ein Stück von ihr zu überlassen. Der Westen würde damit Putins Aggression belohnen und seine Unfähigkeit demonstrieren, den Diktator entschlossen - im Notfall mit militärischer Gewalt - zu bekämpfen. Nicht nur Russland bekäme dann grünes Licht zu rauben, was Putin begehrt. China würde sich ermuntert fühlen, es ihm gleich zu tun. Damit wäre das Ende der Weltordnung besiegelt, die über Jahrzehnte Konflikte wie den um Taiwan in Schach hielt.
Trump tat lange so, als hätte er mit dem "Krieg in Europa" nichts zu tun, versprach aber, ihn innerhalb eines Tages zu beenden. Lange brauchte der US-Präsident, um zu erkennen, dass Putin der Kriegstreiber und kein "netter Bursche" ist. Abrücken will Trump von ihm dennoch nicht, dazu bewundert er ihn zu sehr. Das 50-Tage-Ultimatum bedeutet lediglich: Putin kann weiter in der Ukraine morden - und dann schauen wir mal, was wir machen. Mit seinem Kurs offenbart Trump vor der ganzen Welt seine Ohnmacht und Angst vor Putins Atomwaffen, übrigens eine von Russland Tag für Tag getriggerte, die in Europa Wirkung zeigt.
Da sich der Westen nach wie vor nicht dazu entschließt, die Ukraine mit allen nötigen Mitteln zu unterstützen, wird eine wie auch immer geartete Niederlage der Ukraine vor allem die Schwäche der Nato offenbaren, ihre Unfähigkeit, sich gegen Aggressionen zu wehren. Kein baltischer Staat kann sich im Fall eines russischen Angriffs darauf verlassen, von allen anderen Nato-Ländern verteidigt zu werden, obwohl sie dazu verpflichtet wären. Doch selbst wenn Putin noch (!) vor einem Überfall auf das Baltikum zurückschreckt, wird er weiter an seinem Ziel arbeiten, die Nato zu beerdigen, weil er in ihr einen Feind sieht, der ihn und sein imperialistisch orientiertes Regime bedroht.
Mit dem "Schutz russischer Minderheiten" würde es anfangen
Schritt für Schritt wird er daran arbeiten, nach den hybriden Mustern, die die Welt längst kennt. Er wird versuchen, die baltischen Länder durch ökonomische, politische und bewaffnete Provokationen oder künstlich erzeugte Unruhen zu destabilisieren. Er wird die Wiederherstellung der Ordnung und den "Schutz russischer Minderheiten" fordern und heimlich weiter eskalieren. Dann wird Putin Truppen entsenden, um alles zu richten. Damit die Nato nicht eingreift, wird der Kreml-Chef mit Atombomben drohen. Spätestens jetzt wird die Weltöffentlichkeit sehen, ob das westliche Militärbündnis zusammenhält oder zum Papiertiger wird. Reagiert die Nato nicht, ist es ihr Ende - und Putin am Ziel.
Mehr noch: Nach dem Zerfall der Nato werden die europäischen Länder, da sie sich nicht mehr auf die USA verlassen können, gezwungen sein, nach Putins Regeln zu spielen. Dann wird sich sein Einflussbereich nicht nur auf Ost-, sondern auch auf weite Teile Westeuropas ausdehnen. Das ist Putins großer Plan hinter dem Krieg in der Ukraine. Die einzige Möglichkeit, ihn zu vereiteln, besteht darin, das Regime in Moskau zu beseitigen. Die dazu nötige, umfassende Strategie muss mehr als eine starke militärische Unterstützung der Ukraine beinhalten.
Das Ziel muss Putins Sturz sein
Die westlichen Länder müssen scharfen wirtschaftlichen, politischen, diplomatischen und militärischen Druck auf Russland ausüben und versuchen, einen Keil ins Moskauer Establishment zu treiben, indem mit einzelnen Mitgliedern der Elite verhandelt wird, um Putin zu stürzen. Nach einem Friedensschluss mit der Ukraine werden die Sanktionen beendet. Das ist weniger utopisch, als es klingen mag. Denn Putins Gefolge besteht nicht nur aus Fanatikern, die bereit sind, sich für ihre Ideen zu sterben. Die allermeisten wollen lange und glücklich in ihren Palästen leben.
Der Westen muss aber endlich verstehen, dass Putin ein Betrüger und Großmaul ist. Wir haben gesehen, wie er auf den Einmarsch ukrainischer Truppen in die Region Kursk reagiert hat: nämlich gar nicht. Wir sehen, wie er auf die Zerstörung eines bedeutenden Teils der strategischen Luftwaffe Russlands durch ukrainische Drohnen reagiert hat - überhaupt nicht. Immer wieder ist im Westen, vor allem in Deutschland, gewarnt worden, dass mit dieser oder jener Lieferung bestimmter Waffen an die Ukraine Putins rote Linie überschritten werde. Doch auch hier gilt: Nichts ist passiert. Er schickt lediglich einen seiner Spießgesellen vor, der mit Atomwaffen droht, damit die Angst nicht nachlässt.
Aus dieser Perspektive und Position der Stärke heraus muss der Westen mit Putin sprechen: Nicht wie Trump ihm mal nach dem Mund reden, dann wieder sinnlos lange Ultimaten setzen, sondern eine klare Ansage machen: Genug, Herr Putin, es reicht, holen Sie Ihre Armee nach Hause! Die Alternative dazu ist die stille Niederlage und Demütigung der USA, Europas und der Nato, was umso überraschender und paradoxer ist, als der Westen über alle Mittel und Fähigkeiten verfügt, um dies zu verhindern. Stand heute ist Putin seinem Ziel, der Nato den Garaus zu bereiten, ein entscheidendes Stück näher gekommen. Es ist erstaunlich, dass das immer noch nicht überall in den Machtzentren der westlichen Welt verstanden worden ist.
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