Zuerst brachte ein Bus knapp 30 Asylbewerber in die umstrittene Sammelunterkunft in Rott am Inn – während das Landratsamt Rosenheim fälschlicherweise mitteilte, dort werde noch niemand untergebracht. Dann kam der Bus erneut, holte die Migranten wieder ab und brachte sie in eine Schulturnhalle, die schon seit mehr als zwei Jahren als Aufnahmeeinrichtung dient. Die „Erstbelegung“ einer Unterkunft im Gewerbegebiet von Rott, über die noch ein Rechtsstreit tobt, scheiterte damit am Mittwoch fürs Erste.
Wie das Chaos entstanden ist, lässt sich einstweilen nur teilweise entwirren. Der Vorgang fügt sich allerdings in die Auseinandersetzung um die Unterkunft, die seit Jahren schwelt. Das Landratsamt hat das Gelände von einem privaten Eigentümer gemietet und bezahlt seit Langem eine monatliche Miete in ungenannter Höhe. Nutzen kann sie es eigentlich nicht, weil die Gemeinde Rott gemeinsam mit einer Bürgerinitiative gerichtlich und in der Öffentlichkeit dagegen vorgeht.
Auch politisch schlug der Fall Wellen: Das Landratsamt ist im Auftrag der übergeordneten Bezirksregierung von Oberbayern tätig und die wiederum im Auftrag der bayerischen Staatsregierung. Der Petitionsausschuss des Landtags besichtigte das Gelände. Beteiligt an der Debatte waren auch Ministerpräsident Markus Söder und Innenminister Joachim Herrmann (beide CSU).
Dass die ersten Asylbewerber am Mittwoch trotz noch ungeklärter Gerichtsverfahren nach Rott kommen könnten, deutete sich bereits am Vorabend an. Da habe es eine Besichtigung des Geländes gegeben, an der auch Vertreter von Polizei und Feuerwehr teilgenommen hätten, teilte ein Sprecher der Kreisverwaltung auf WELT-Anfrage mit. Auch der parteilose Bürgermeister von Rott, Daniel Wendrock, nahm daran teil.
Wendrock sagte, er habe außerdem eine E-Mail aus der Ausländerbehörde des Landkreises erhalten. In der sei zwar nicht eindeutig angekündigt worden, dass die ersten Bewohner am Mittwoch gebracht werden sollten – es habe darin aber geheißen, dass das möglich sei. Der Sprecher des Landkreises bestätigt das.
Am Morgen beobachteten Nachbarn dann „geschäftiges Treiben“ auf dem Gelände. Sie habe gesehen, wie Möbel in das Gebäude getragen wurden, sagte die Eigentümerin einer Gewerbehalle. Auch die Security sei sichtlich verstärkt worden. Das Gelände liegt zwischen Hallen und Gebäuden von Unternehmen in dem Gewerbegebiet. Nächster Nachbar ist eine Spedition. Die Eigentümer der Nachbargrundstücke engagieren sich überwiegend in der Bürgerinitiative gegen die Unterkunft.
Am Vormittag hielten sich dann knapp 30 Asylbewerber auf dem Gelände auf, überwiegend Frauen und Kinder. Die Polizei hatte einen Einsatzwagen geschickt. Der WELT-Reporter musste sich ausweisen. Die Beamten sagten, sie seien vorsorglich vor Ort. Die Polizei stehe mit der Ausländerbehörde in Verbindung. Diese habe mitgeteilt, am Mittwoch „erfolgt die Erstbelegung“.
Durcheinander ohne nachvollziehbare Erklärung
Während die Asylbewerber auf dem Gelände zu sehen waren, verschickte allerdings das Landratsamt eine E-Mail, in der etwas anderes steht. Dem Landkreis Rosenheim sei ein „Bus mit Flüchtlingen zugewiesen“ worden. Diese Personen seien allesamt in einer Turnhalle in Raubling untergebracht worden. Die Unterkunft in Rott werde erst dann genutzt, wenn der Bezirksregierung ein Gutachten über die Quecksilberbelastung des Gebäudes vorliege und sie das mit dem Rotter Bürgermeister besprochen habe.
Gemeinde und Bürgerinitiative hatten auf diesem Gutachten bestanden. In dem betreffenden Gebäude war früher eine Glühlampenfabrik untergebracht, die mit Quecksilber gearbeitet haben soll.
Am Mittag fuhr dann erneut ein Bus vor und lud die Asylbewerber wieder ein. Diesmal soll die Fahrt tatsächlich nach Raubling zur umfunktionierten Turnhalle gegangen sein. Wie das Durcheinander entstand, wusste auf WELT-Nachfragen niemand schlüssig zu beantworten. Er selbst habe das Quecksilber-Gutachten bisher nicht gesehen, sagte Bürgermeister Wendrock. Der Landkreis-Sprecher bestätigte die Angaben.
Die Bürgerinitiative äußerte sich in einer schriftlichen Mitteilung „überrascht“ darüber, dass das Landratsamt Menschen „noch vor Abschluss der laufenden Klageverfahren“ in das Gewerbegebäude einziehen lasse.
Fragen von WELT zum aktuellen Zuzug von Asylbewerbern ließ der Landkreis unbeantwortet. Erst am Dienstag hatte Ministerpräsident Söder nach der Sitzung des bayerischen Kabinetts auf der Zugspitze mit Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) als Gast davon gesprochen, dass die Zahlen massiv zurückgingen. Die Grenzkontrollen wirkten. Bayern vermelde sogar verstärkt freiwillige Ausreisen von Asylbewerbern, seit der Freistaat Sozialleistungen über eine nur regional einsetzbare Bezahlkarte ausgebe. Damit sei ein wichtiger Anreiz für den Zuzug entfallen.
Christoph Lemmer berichtet für WELT über bundes- und landespolitische Themen, vor allem aus Bayern.
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