Das war knapp. Beinahe wäre die SPD mit ihrer absurden Kandidatin fürs Bundesverfassungsgericht durchgekommen. Reichlich spät hat sich die Union quergelegt. Also keine Abstimmung im Bundestag, keine neuen Richter für Karlsruhe.

Die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig, kritisiert die Union heftig. Sie habe bereits mit der Debatte über Frauke Brosius-Gersdorf das höchste deutsche Gericht beschädigt. Andere Lesart: Frau Brosius-Gersdorf als Richterin fürs Bundesverfassungsgericht (BverfG) zu nominieren, war eine Schnapsidee. Trotzig, überheblich und ohne Rücksicht auf die Welt jenseits der eigenen Blase. Die Schnapsidee ist nun beerdigt. Die Grünen zeigen sich entsetzt. Fraktionschefin Britta Haßelmann hält eine Wutrede. Die für sie plötzlichen Vorbehalte gegen die SPD-Kandidatin sieht sie als Angriff auf alle Frauen. Das überzeugt nicht. Auch Frauen können ungeeignet sein; das Geschlecht sagt nichts aus über die Qualifikation.

Aber Frau Haßelmann hat in einem Punkt völlig recht: Die Union hat dem Thema und dem deshalb drohenden Parlamentsdesaster viel zu wenig Bedeutung beigemessen. Lange vor der Abstimmung im Parlament, spätestens im Rechtsausschuss, hätte die Union ihre Ablehnung des SPD-Vorschlags deutlich machen müssen. Das hat sie feige oder bequem bleiben lassen. Statt die nötige inhaltliche Auseinandersetzung zu führen, hat sie alle bestehenden und berechtigten Vorbehalte dem Koalitionsfrieden untergeordnet.

Merz und Spahn scheinen von ihrer Fraktion entkoppelt zu sein

Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz und Fraktionschef Jens Spahn haben anscheinend wenig Gespür für die Gedanken und Schwingungen in ihrem Verein. Anderenfalls hätte mindestens Jens Spahn mitkriegen müssen, was sich zusammenbraut. Vielleicht doch zu sehr in eigener Sache beschäftigt und deshalb einen miserablen Job gemacht? Abgeordnete und Anhänger der Union mögen es nicht, wenn andauernd der Schwanz mit dem Hund wedelt. Wenn die CDU zwar mitregiert, sogar den Kanzler stellt, aber die SPD mit ihren mickrigen 16 Prozent bestimmen will, wo es langgeht - also links. Nee, da wird die Union disruptiv. Wie bei der Richterwahl.

Die nun nicht gewählte Kandidatin steht für vieles, was vielen gegen den Strich geht. Sie fremdelt bei gefühlt fünf von vier Themen mit dem Mehrheitsgeschmack. Das ist ihr gutes Recht. Es ist herrlich in einem Land zu leben, in dem die Meinungsfreiheit lebt. Sie kann sich für eine staatliche Verpflichtung zur Impfpflicht begeistern, obwohl sehr viele ihrer Mitbürger dies als weiteren Beleg nehmen würden, wie unanständig übergriffig der Staat geworden ist. Selbstverständlich kann sie fordern, unser Grundgesetz gendergerecht umzuschreiben. Und beim Thema Abtreibung darf sie notabene ihren kühnen Standpunkt vertreten: Das Recht auf Menschenwürde, auch so ein Grundgesetzartikel, gilt vielleicht erst ab der Geburt. Springt sie hier nicht sogar zu kurz: rumschreien, gefüttert werden, pullern - wo, bitteschön, ist in den ersten zwölf Monaten mehr Würde als in den neun davor? Da wir gerade beim Ehrlichmachen sind: Was ist so ab Mitte 90?

Aktivisten bitte draußen bleiben

Für das Verfassungsgericht selbst sind frisch berufene Richter mit frischen Positionen durchaus ein Gewinn. Die Verfassung ist lebendig, Sichtweisen verändern sich, Gerichte folgen mit ihren Auslegungen und Normierungen der sich wandelnden Gesellschaft. Aber es wird derzeit niemand gebraucht, der polarisiert und provoziert. Bitte Mitte statt Rand. Das hat die SPD nicht kapiert und die Grünen kapieren es offenbar auch nicht. Und die CDU sollte es nun wirklich besser wissen. Gerichte sind nicht die Speerspitze des Wandels. Und sollen es auch nicht sein. Gerichte sind schon gar nicht die Speerspitze des Wandels, der von der Mehrheitsgesellschaft gerade nicht ersehnt wird.

Das Bundesverfassungsgericht ist seinem Wesen nach zuallererst Schutzmauer - für die Bürger. Im Grundgesetz stehen die Abwehrrechte gegen den Staat, und beim Bundesverfassungsgericht können die Bürger klagen, falls der Staat diese Rechte verletzt. Beim nächsten Anlauf zur Besetzung der freigewordenen Stellen im Bundesverfassungsgericht wäre es schön, wenn alle Nominierungsberechtigten versuchen, ihre Vorschläge ohne ideologische Mission einzubringen. Sonst sind wir keinen Deut besser dran als in Ungarn oder bei Trumps Neubesetzung des Supreme Courts. Vor dem Desaster heute, hatte der CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann gesagt: In Zeiten, in denen die radikalen Ränder stark wie nie sind, braucht es ein geschlossenes Votum der Mitte. Hat er recht. Hat nun heute nicht geklappt Weil es auch Kandidatinnen und Kandidaten braucht, die glaubwürdig für diese Mitte stehen.

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