Am Morgen will die Union plötzlich die Wahl der SPD-Kandidatin Brosius-Gersdorf zur Verfassungsrichterin verschieben. Nach Sondersitzungen von SPD und Grünen ist die Wahl aller drei neuen Richter ausgesetzt.
Wegen Bedenken der Unionsfraktion gegen die von der SPD vorgeschlagene Frauke Brosius-Gersdorf finden die geplanten Wahlen von drei neuen Bundesverfassungsrichtern heute nicht statt. Auf Antrag von CDU/CSU, SPD und Grünen wurden die Wahlen im Bundestag vertagt. Alle Fraktionen außer der AfD stimmten dafür.
Die Wahl dürfte im September nachgeholt werden. Bundestagspräsidentin Julia Klöckner warb dafür, sie in der nächsten regulären Sitzungswoche nachzuholen, also im September. "Die Fraktionen sind jetzt aufgerufen, sich darüber zu verständigen, mit welchem Vorschlag sie dann in die Wahl gehen möchten", sagte die CDU-Politikerin.
Am Morgen war bekannt geworden, dass die Unionsfraktion die Wahl von Brosius-Gersdorf verschieben wollte. Als Begründung wurden Plagiatsvorwürfe angeführt. Die Union hatte mit Enthaltung gedroht, sollte die Abstimmung über die in der Union umstrittene Kandidatin nicht abgesetzt werden.
Scharfe Kritik von SPD und Grünen
Ursprünglich waren drei Wahlen geplant. Die Union schickte den bisherigen Richter am Bundesarbeitsgericht, Günter Spinner, ins Rennen. Die SPD hatte die Jura-Professorinnen Brosius-Gersdorf und Ann-Katrin Kaufhold nominiert. Als bekannt wurde, dass in der Union die volle Unterstützung für Brosius-Gersdorf fehlt, beriefen SPD und Grüne Sonderfraktionssitzungen ein. Beide Fraktionen entschieden sich für einen Antrag, die Wahlen zu verschieben.
Die schwarz-rote Koalition steckt damit in einem tiefgreifenden Streit um einen Vorgang, der normalerweise kaum öffentliche Beachtung findet - die Wahl von Verfassungsrichtern findet traditionell im Konsens statt. Die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig, kritisierte die Union für den Umgang mit der SPD-Kandidatin. Sie habe "kein Verständnis dafür, wie man mit einer solchen Debatte das höchste Gericht in Deutschland beschädigt", sagte Schwesig im Frühstart von ntv.
Auch von den Grünen kam scharfe Kritik. "Mit dem Bundesverfassungsgericht spielt man kein Roulette", schrieb die Co-Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann bei X. Sie warf sowohl Spahn als auch Merz "Versagen" vor. Bei einer Pressekonferenz sprach sie von einem "Desaster" fürs Parlament.
Plagiatsjäger weist Plagiatsvorwurf zurück
Gegen Brosius-Gersdorf gibt es in der CDU/CSU Vorbehalte. Dabei geht es unter anderem um deren positive Haltung zu einer Impfpflicht während der Corona-Pandemie, andererseits um ihre aus Sicht mancher Abgeordneten zu liberale Haltung zu Abtreibungen. Zuletzt kam auch noch ein Plagiatsverdacht gegen sie auf. Dieser ziehe die fachliche Expertise von Brosius-Gersdorf in Zweifel, hieß es aus der Unionsfraktion. Das sei aber zentrales Argument für die Wahl der Kandidatin gewesen.
Der österreichische Plagiatssucher Stefan Weber hatte am Donnerstagabend Vorwürfe veröffentlicht. Auf Nachfrage sagte er, er habe die Prüfung ohne Auftraggeber vorgenommen. Eine Software habe Übereinstimmungen bei der Dissertation Brosius-Gersdorfs und der Habilitationsschrift ihres Ehemanns gefunden. "Persönlich halte ich es für eher unwahrscheinlich, dass sich ein Habilitand bei einer Dissertation bedient, aber es ist freilich auch möglich", teilte er mit.
Webers Arbeitsweise ist umstritten, er wurde bereits wegen übler Nachrede verurteilt. Am Vormittag schrieb er dann bei X: "Die Sichtweise der #CDU, dass Plagiatsvorwürfe gegen Frau #FraukeGersdorf erhoben wurden, ist falsch."
Umstrittene Position zu Abtreibungen
CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann hatte zur Unterstützung für Brosius-Gersdorf aufgerufen. "Frau Brosius-Gersdorf ist keine Kandidatin der Union, aber eine respektable Kandidatin der SPD - und ganz sicher keine linksradikale Aktivistin", sagte Hoffmann der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Deren Wahl sei auch "kein Angriff auf den Schutz des ungeborenen Lebens". Sie habe in verschiedenen juristischen Schriften klargestellt, dass das Grundrecht auf Leben nicht erst ab Geburt gilt, sondern bereits dem Embryo zustehe.
Im Bericht einer von der Bundesregierung eingesetzten Expertenkommission hieß es in einem von der Juristin verantworteten Kapitel: "Es gibt gute Gründe dafür, dass die Menschenwürdegarantie erst ab Geburt gilt." In der Passage geht es um den Umgang mit ungeborenem Leben und die relevanten Rechte sowie ihre Abwägung gegeneinander.
Nach der Jahrtausendwende arbeitete die heute 54-Jährige einige Jahre als Anwältin. Sie gab juristische Zeitschriften mit heraus und war zwei Jahre lang Mitglied der Zentralen Ethikkommission der Bundesärztekammer. Heute hat die gebürtige Hamburgerin an der Universität Potsdam den Lehrstuhl für Öffentliches Recht, insbesondere Verfassungsrecht und Sozialrecht inne.
Für die geheime Wahl im Bundestag ist eine Zweidrittelmehrheit der anwesenden Abgeordneten nötig. Union, SPD und Grünen fehlen bei voller Besetzung des Bundestages sieben Stimmen zur Zweidrittelmehrheit. Einige Linken-Abgeordnete wollten nun bei der Wahl für den Unionskandidaten Spinner stimmen, um ihm eine Mehrheit ohne die AfD zu sichern. Dies erfuhr die Deutsche Presse-Agentur aus Fraktionskreisen.
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