Fünf Jahre ist es her, dass Deutschland vor allem eines dringend brauchte: Masken. Gesundheitsminister Spahn beschaffte sie, allerdings viel zu viele und viel zu teuer. Der Fall ist kompliziert. Zeit durchzuatmen und die Fakten zu sammeln.
Anfang 2020 kam das Coronavirus nach Deutschland und schnell wurde klar: Deutschland braucht jetzt massenhaft Masken. Die Menschen begannen, sich selbst welche zu nähen. Der damalige Gesundheitsminister Jens Spahn setzte schließlich Himmel und Hölle in Bewegung, um sie zu beschaffen. Bald trafen himmlisch viele Masken ein, allerdings für höllisch viel Geld. Seit Wochen steht Spahn im Kreuzfeuer. Aber was wird ihm konkret vorgeworfen?
Wie war das mit der Maskenbeschaffung?
Auch Spahns schärfste Kritiker räumen ein: Im Frühjahr 2020 erlebte Deutschland eine absolute Ausnahmesituation. Aus Sicht der CDU ist dies Erklärung genug. Sie stimmt Spahn zu, wenn er sagt: Damals galt: Haben ist besser als brauchen. Man wusste nicht, wie lange der Engpass dauern würde, also galt: nehmen, was man kriegen kann - um Leben zu retten. Spahn sagt selbst, mit dem Wissen von heute hätte er vieles anders gemacht. Am Ende beschaffte er Masken für knapp sechs Milliarden Euro, von denen zwei Drittel nie gebraucht wurden. Wegen Rechtsstreitigkeiten mit Lieferanten drohen dem Bund weitere Strafzahlungen in Höhe von 2,3 Milliarden Euro.
Was wird Spahn vorgeworfen?
Vier Punkte stechen hervor: Er hat die Maskenbeschaffung an sich gezogen. Er setzte zum Kauf das sogenannte Open-House-Verfahren ein. Er beauftragte die Firma Fiege mit Sitz in seinem Nachbarwahlkreis und er machte fragwürdige Geschäfte mit der Schweizer Firma Emix - jener Firma, die der Tochter eines früheren CSU-Politikers sage und schreibe 48 Millionen Euro für die Vermittlung dieser Geschäfte zahlte. Aber dazu später mehr.
Warum zog Spahn die Beschaffung an sich?
Die Sonderermittlerin Margaretha Sudhof kritisiert in ihrem Bericht, Spahn habe die Beschaffung der Masken in sein Ministerium geholt, obwohl es dafür nicht den "Arbeitsmuskel" gab, also das richtige Personal dafür. Beim Zoll, beim Verteidigungs- und beim Innenministerium habe es dagegen Beschaffungsämter gegeben, die dafür zuständig gewesen seien. Spahn sagt dagegen, die Beschaffungsämter seien erfolglos gewesen. Sie hätten regelmäßig Masken bestellt, die dann aber nie eintrafen. Was stimmt: Tatsächlich wurden zugesagte Lieferungen immer wieder in letzter Minute von Meistbietenden weggekauft. Daher habe er sich persönlich dahintergeklemmt, sagt Spahn. Sudhof schreibt, die anderen Ministerien hätten seine Bedenken nicht geteilt. Die Grünen meinen, er habe sich als großer Krisenmanager aufspielen wollen und sei kläglich gescheitert.
Wie war das mit der Firma Fiege?
Um all die Masken zu lagern und zu verteilen, brauchte die Regierung Hilfe von Unternehmen. Spahn setzte gegen Widerstände durch, die Firma Fiege aus dem Münsterland zu beauftragen - aus seinem Nachbarwahlkreis. Manchmal werde so getan, als sei das "eine Pommesbude mit zwei Lkws", sagte Spahn kürzlich. Es ist tatsächlich ein Konzern mit 20.000 Mitarbeitern. Entscheidend sei für ihn gewesen, dass Fiege sofort loslegen wollte, sagt Spahn. Der Chef des Logistikers, Jens Fiege, saß damals im Wirtschaftsrat der CDU, letztlich eine Lobbyorganisation mit Premiumzugang zur Christdemokratie. Das hat ein Geschmäckle, mehr aber nach jetzigem Stand nicht. Schwerer wiegt, dass das Innenministerium bereits die Konzerne DHL und die DB-Tochter Schenker als geeignete Partner genannt hatte. Tatsächlich war Fiege spätestens überfordert, als die Maskenmassen aus dem Open-House-Verfahren eintrafen. DHL und Schenker stiegen schließlich doch mit ein, als sich die Lkw vor dem Fiege-Lager in Thüringen stauten.
Was war so schlimm am Open-House-Verfahren?
Das Open-House-Verfahren ist der Kern des Maskenproblems. Spahn entschied sich im März 2020 dafür. Es war so etwas wie die Atombombe der Maskenbeschaffung. Der Bund garantierte, alle Masken zu kaufen, die ihm bis zu einem Stichtag im April geliefert würden - zum Preis von 4,50 Euro pro Stück. Die Zahl der Angebote an den Bund explodierte. Laut Sudhof war schnell klar: Selbst, wenn nur 20 Prozent der Masken geliefert würden, wäre das anfangs dafür vorgesehene Geld aufgebraucht gewesen. Aus diesem Verfahren resultieren fast alle Rechtsstreitigkeiten, weil der Bund für massenhaft fehlerhafte Masken oder zu spät gelieferte Masken nicht zahlen will.
Wie war das mit Emix?
Die Schweizer Firma Emix beauftragte die Tochter des früheren CSU-Politikers Gernot Tandler, Andrea Tandler, deutschen Ministerien von Emix beschaffte Masken anzubieten. Das war Mitte April 2020, als das Open-House-Verfahren bereits lief. Tandler wiederum kontaktierte Spahn via Monika Hohlmeier, die Tochter von Franz-Josef Strauß, CSU-Übervater und langjähriger Ministerpräsident Bayerns.
Spahn bestellte am 21. April bei Emix 100 Millionen Masken zum Stückpreis von 5,40 Euro. Also noch einmal deutlich teurer als der ohnehin schon hohe Preis, der im Open-House-Verfahren geboten wurde. Macht zusammen 540 Millionen Euro. Für diesen Deal bekam Andrea Tandler 48 Millionen Euro. Emix lieferte noch weitere Masken, insgesamt flossen 2020 und 2021 rund 750 Millionen Euro an die Firma. Viele Masken waren allerdings mangelhaft. Anders als andere Unternehmen bekam Emix aber laut Sudhof dreimal die Möglichkeit nachzubessern. Außerdem kam das Gesundheitsministerium Emix demnach im Streit darüber entgegen, wie viele Masken tatsächlich mangelhaft waren.
Dieses Geschäft treibt die Grünen besonders um. Warum wurden Masken noch einmal teurer gekauft als im Open-House-Verfahren? Spahn sagt, damals sei noch nicht absehbar gewesen, wie viele Masken tatsächlich geliefert werden würden. Emix habe schon zuvor zuverlässig an Bayern und Nordrhein-Westfalen geliefert. Tandler wurde 2023 zu einer Haftstrafe verurteilt, weil sie ihre immense Provision nicht ordentlich versteuert hatte. Damit aber hat Spahn nun überhaupt nichts zu tun.
Kann Sudhof als SPD-Mitglied wirklich neutral sein?
Ermittlerin Sudhof ist selbst SPD-Mitglied und wurde von SPD-Gesundheitsminister Karl Lauterbach beauftragt, den Fall zu untersuchen und diesen Bericht zu schreiben. Reflexhaft attackierte sie dafür die CDU. Bundeskanzler Friedrich Merz warf ihr vor, Spahn gar nicht gesprochen zu haben. In der Tat kann man sich fragen, warum das nicht geschah. Auch schlägt Sudhof in ihrem Bericht teils einen süffisanten Tonfall an, schreibt von "Team ich" und "Team Staat" oder: "So nahm das Milliardendrama seinen Lauf". Doch insgesamt hat der Bericht Substanz. Die heute 66-Jährige war für die SPD stets die Fachfrau in der zweiten Reihe, eine Juristin für alle Fälle. Als Parteipolitikerin fiel sie aber nicht auf. Spahn zweifelt ihren Bericht auch nicht direkt an. Er sagt eher, das knapp 170 Seiten lange Papier enthalte nichts Neues. Der Bundesrechnungshof habe das alles schon einmal zusammengetragen.
Warum sagen die Grünen nun, Spahn lüge systematisch?
Spahn hatte in einem ARD-Interview gesagt, bei ihm seien keine Warnungen aus dem Verteidigungs- oder Innenministerium davor eingegangen, die Maskenbeschaffung zu übernehmen. "Bei mir persönlich nicht", sagte er Mitte Juni. Anschließend sagte die Moderatorin, es habe auch Warnungen aus dem Gesundheitsministerium gegeben. Spahn ging aber nicht auf die Warnungen ein, sondern erklärte noch einmal, warum er die Maskenbeschaffung übernommen hatte. Im mittlerweile ohne Schwärzungen verfügbaren Bericht verweist Sudhof auf mehrere Warnungen per E-Mail aus dem eigenen Haus, die Spahn erreicht haben müssten. Wusste er also doch vom Abraten, zumindest von dem der eigenen Mitarbeiter? Ob das eine Lüge wäre, ist zumindest strittig. Spahn hatte ja nur gesagt, aus den anderen Ministerien, Inneres und Verteidigung, hätten ihn keine Warnungen erreicht.
Für Ärger sorgt dabei auch die späte Freigabe des Berichts. Gesundheitsministerin Nina Warken gab ihn erst gar nicht, dann nur stellenweise geschwärzt frei. Mittlerweile ist er frei verfügbar. Sie gab vor, es ginge bei den Schwärzungen um Datenschutz und Prozessrisiken. Zunächst geschwärzt waren auch die Passagen zu den Emix-Geschäften, und das nahezu vollständig. Wollte die CDU-Ministerin Spahn schützen? Genau diesen Vorwurf bestreitet Warken.
Wird es einen Untersuchungsausschuss geben?
Grüne, Linke und AfD sind dafür. Sie wollen wissen: Wie war das genau mit dem Unternehmen Fiege? Warum bekam Emix so große Aufträge zu so horrenden Stückpreisen? Wäre das Innenministerium besser in der Lage gewesen, Masken zu beschaffen - und wusste Spahn das? Musste es sein, beim Open-House-Verfahren 4,50 Euro zu bieten? Es gibt derzeit keine Hinweise, Spahn könnte sich persönlich bereichert haben. Offen behauptet das auch niemand Ernstzunehmendes.
Aber ein Untersuchungsausschuss könnte auch diese Fragen klären und letztlich auch entlastend wirken. Spahn und die CDU hoffen wohl darauf, dass sich das Thema von selbst erledigt. Und dass die SPD stillhält. Solange sie mit der Union regiert, wird sie keinem U-Ausschuss zustimmen. Der Partei ist der Koalitionsfriede offensichtlich wichtiger. Für Spahn ist das ein ziemlich großes Glück.
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